Ein Matcha Latte gegen Bodyshaming

Für unsere Autorin gibt es keine problematischen Körper – diese Einstellung hat sie auch stets ihrer Tochter vermittelt. Doch seit Shirin Davids Sommerhit über den skinny Bikinibody hat sich etwas verändert.

Das Schönste am Kinderhaben ist, dass man bei Utopien noch mal live dabei ist. Kinder haben so schöne Ansichten über die Welt und bringen sie gelegentlich so herzzerreißend überzeugt rüber, dass man nicht weiß, ob man sich kaputtlachen oder vor Rührung losheulen soll. Und eine Sache ist geradezu magisch: Kinder glauben, was man ihnen sagt. Und das – ich war selbst überrascht – ziemlich lange. Natürlich muss man damit sehr vorsichtig umgehen. Ich hatte mir immer geschworen, das nicht auszunutzen. Bis auf die Sache mit dem Christkind wollte ich keine unsinnigen Geschichten erzählen, nur damit mein Kind irgendetwas tut oder lässt. Ein Erziehungsstil, für den meine Mutter mir einmal lakonisch prognostizierte: »Du wirst dich noch totdiskutieren.« Es stimmt, bei uns wird viel geredet. Ich versuche immer mehrere Per­spektiven zu vermitteln: meine Meinung, aber – sofern das nicht zusammenfällt – auch den gesellschaftlichen Konsens, damit mein Kind die Möglichkeit hat, sich der sozialverträglichen Mehrheitsmeinung anzuschließen.

In einer Sache – neben dem Christkind – habe ich aber etwas getrickst. Und zwar was Körperbilder angeht. Die Wahrheit wäre gewesen, dass die Gesellschaft Dicksein bestraft: In der Schule kriegen dicke Mädchen schlechtere Noten, dicke Frauen verdienen schlechter. Dicke werden in der Schule gemobbt und später im Leben als faul gebrandmarkt. Dick zu sein, das geben Mütter früh an ihre Töchter weiter, ist ein Problem. Ich bin mir sicher, viele machen das nicht absichtlich, es passiert einfach, indem sie über ihren Bauch klagen, über die Beine, den Po, wenn sie Diät machen oder abends gar nicht mehr mitessen, indem sie ständig über ihren Körper reden oder Sport eher als notwendige Selbstoptimierung begreifen und nie als Sinneserfahrung. Indem sie im Sommerurlaub nicht ins Wasser gehen, aber vom Beckenrand aus andere Frauenkörper kommentieren, die ihrer Ansicht nach auch lieber keinen Bikini tragen sollten. Nachhaltige Körperunzufriedenheit von Mädchen beginnt mit der Frau in ihrem Haushalt. Kein Kind denkt so ganz von allein über sich.

Also, was dieses Thema angeht, habe ich eventuell eine kleine Parallelwelt erschaffen. Bei uns zu Hause sind alle Körper unproblematisch. Ich rede selten über meinen Körper, aber wenn, dann – ähnlich wie Olaf Scholz ohne jede Rückkopplung mit der Realität – uneingeschränkt positiv. Was er alles kann und wie kraftvoll er sich anfühlt, ich klage nicht über seine Form oder sein Gewicht. Bei uns gibt es keine verbotenen Lebensmittel und keine verbotenen Essenzeiten. Das führt mitunter zu lustigen Szenen. Einmal zeigte meine Tochter auf ein Dessous-Plakat an der Bushaltestelle und sagte überzeugt, das Model sehe fast so aus wie ich. Sie meinte die Haarlänge. Als ihr neulich mal mein Gürtel nicht passte, meinte sie ganz ernsthaft, sie müsse noch etwas zunehmen. Zunehmen, das war für sie wie wachsen. Einfach eine logische, positive körperliche Veränderung. Da musste ich natürlich grinsen.

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Nun, das ist ein halbes Jahr her. Ein Cluburlaub auf Mallorca, ein Schulwechsel und ein Shirin-David-Sommerhit liegen dazwischen. Und nun kam dieses Kind mit der neu gewonnenen Ansicht nach Hause, es sei zu dick. Und wolle ab jetzt nur noch Salat essen. Es ist ein trauriger Moment, wenn in einem Mutter-Tochter-Haushalt voller Liebe dann doch noch der gesellschaftlich verinnerlichte Frauenhass einzieht. Das Ende der Utopie.

Erst mal setzen. Erst mal einen Matcha Latte anrühren. Nichts beruhigt mehr, als mit dem weichen Bambusbesen durch das glasierte Schälchen zu streichen. Ein kleiner Zen-Garten in der Küche. Ich habe mir warme Milch untergerührt statt eiskalter, denn der Sommer ist ja ganz offensichtlich jetzt vorbei.