»Luftschokolade? Ein schlauer Marketinggag!«

Zu Ostern wird jeder Deutsche im Schnitt ein Pfund Schokolade essen. Warum passen Mensch und Kakao so gut zusammen? Und was hat es mit der Osterhasenverschwörung auf sich? Der US-Lebensmittelwissenschaftler Richard Hartel erforscht das süße Leben.

Hat der Mann auf diesem Bild einen an der Waffel? Ach, er liebt eben Süßigkeiten - wie so viele: Jedes Jahr werden in Deutschland rund 15 Milliarden Euro für Naschzeug ausgegeben. Unangefochten auf Platz eins steht Schokolade mit einem Marktanteil von dreißig Prozent.

SZ-MAGAZIN: Was war Ihr Lieblingsessen als Kind?
Richard Hartel: Wenn Sie jetzt Schokolade hören wollen, muss ich Sie enttäuschen. Ich war nicht die Sorte Kind, die ihre Nase am Schaufenster des Süßigkeitenladens platt gedrückt hat.

Sie sind Professor an der University of Madison im US-Bundesstaat Wisconsin. Dort leiten Sie eines der weltweit ältesten Forschungszentren für Süßigkeiten, Schokolade ist Ihr Spezialgebiet. Was ist für Wissenschaftler so spannend daran?
Mich interessiert, wie Stoffe ihren Aggregatzustand ändern, also härter oder weicher werden. Kakaobutter ist von allen in der Natur vorkommenden Fetten das wohl spannendste, es hat nur drei Triglyzeride, die eine wirklich schöne Einheit bilden. Und die Partikel halten bei Raumtemperatur etwa achtzig Prozent ihrer Kristallisation …

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Schön, dass Sie ins Schwärmen kommen, aber…
Wenn Sie mir nicht folgen können, macht das nichts. Denn die Wirkung kennen Sie: Kakaobutter, der Grundstoff von Schokolade, bleibt bei Raumtemperatur fest – und beginnt erst bei etwa 37 Grad Celsius zu schmelzen und sein Aroma zu entfalten. Das entspricht der Körpertemperatur des Menschen. Schokolade und Mensch sind also eine perfekte Kombination. Kein Wunder, dass der wissenschaftliche Name für die Kakaopflanze Theobroma ist – das heißt übersetzt Speise der Götter.

Was gibt es bei Schokolade zu erforschen?
Jede Menge. Wir beginnen gerade erst zu verstehen, wie sich die Fermentation der Kakaobohnen auf den Geschmack auswirkt. Das geschieht bisher meistens recht planlos, denn viele Zulieferer fermentieren auf ihre eigene Art. Ein Kollege von mir entwickelt eine Kühltechnik, die Schokolade gleichmäßiger hart werden lässt. Andere Menschen erforschen Kunststoffe, wir eben Schokolade.

Bezahlt das die Industrie?
Nein, wir sind unabhängig. Meine Arbeitsgruppe forscht nicht an konkreten Produkten, die man verkaufen kann. Wir wollen verstehen, welche Prozesse sich bei der Herstellung von Schokolade abspielen. Die Firmen haben eigene Forschungsabteilungen, aber viele Dinge kriegen die eben nicht so gut hin wie wir.

Was zum Beispiel?
Wie man die Haltbarkeit von Schokolade verlängert. Bisher ist es ja so, dass sich nach ein paar Monaten ein weißer Film auf der Schokolade bildet.

Schimmel?
Nein, das sieht nur ein bisschen so aus. Es sind Fettmoleküle der Kakaobutter, die Kristalle bilden. Das ist nicht schädlich, wird aber allgemein als unappetitlich empfunden. Darum werfen viele Leute Schokolade weg, die man noch gut essen könnte. Wir arbeiten an einer Methode diese Kristallisation zu verlangsamen. Es könnte also sein, dass es dank unserer Forschung bald Schokolade gibt, die länger hält.

Ist es Zufall, dass ein Schoko-Osterhase immer kurz vor Ostern im folgenden Jahr verfällt, also nur genau eine Saison lang zu verwenden ist?
Das werde ich oft gefragt. Aber dahinter steckt keine große Schokoladenverschwörung. Auch wenn man sie perfekt lagert, also ein wenig unter Raumtemperatur, trocken und lichtgeschützt, verdirbt Schokolade nach etwa einem Jahr. Darum macht ein Freund von mir, der bei einer großen Schokoladenfirma arbeitet, auch jedes Jahr den Witz, Schokohasen seien eingeschmolzene Nikoläuse.

Stimmt das denn?
Ich glaube nicht. Schokolade wird durch häufiges Aufwärmen nicht besser. Einmal könnte man die umgeschmolzenen Hasen vielleicht in eine neue Form pressen, aber letztlich lohnt sich der Aufwand kaum.

Sieht gute Schokolade unter dem Mikroskop anders aus als schlechte Schokolade?
Auf jeden Fall. Billige Schokolade hat sehr große Kristallstrukturen und Partikel. Denn die Bohnen fein zu mahlen kostet Geld. Damit man sie nicht im Mund spürt, müssen sie kleiner als zwanzig Mikrometer sein. Bei teurer Schokolade sind die einzelnen Partikel deutlich kleiner, das macht sie besonders zart. Die Schokostücke, die in Keksen landen, sind billig und grobkörnig. Aber es fällt keinem auf, wenn der Mund voller Brösel ist.

Was ist der heilige Gral der Schokoladenforschung?
Eine Schokolade, die nicht schmilzt. Denn in vielen Ländern ist es einfach zu warm, um Schokolade zu verkaufen: Die Raumtemperatur ist höher als die Schmelztemperatur von Schokolade. Das hat bisher keiner geschafft. Denn das Problem ist ja: Die Schokolade schmilzt dann auch nicht mehr im Mund – und ist damit keine richtige Schokolade mehr.

2014 haben Schokoladenfirmen Alarm geschlagen: Kakaobohnen werden knapp. Zeitungen schrieben von einer »Schokoladenkrise«. Ist da was dran?
Ich bin kein Bohnenhändler, aber vieles spricht dafür: Die Nachfrage steigt, aber die Kakaobohne ist schwer anzubauen, sie wächst nur an sehr wenigen Orten auf der Welt. Und bevor der Baum erste Früchte trägt, dauert es fünf Jahre. An vielen Orten, an denen Kakao gedeiht, gibt es Probleme, in Westafrika zum Beispiel. Korruption, schlechte Arbeitsbedingungen, Dürren, all das wirkt sich auf den Handel aus.

Momentan kostet eine Tafel Zartbitter beim Discounter sechzig Cent. Wird sich das ändern?
Ich glaube kaum. Die großen Firmen wollen Schokolade als Massenprodukt verkaufen. Irgendwann werden sie wohl ihre eigenen Plantagen betreiben, um völlige Kontrolle über den Anbau zu haben. Denn momentan kaufen sie oft Bohnen, bei denen niemand genau weiß, wie sie behandelt wurden. Dabei macht es einen großen Unterschied aus, ob die Bohnen aus Westafrika, Brasilien oder Malaysia kommen und wie sie getrocknet wurden.

Wie schwierig ist es, diese Unterschiede auszugleichen? Schokolade aus dem Supermarkt schmeckt ja immer gleich.
Die Firmen haben eine ganze Armada von Schokoladentestern. Klingt wie ein Traumjob, aber in Wirklichkeit testen sie keine Schokolade, sondern nur die Qualität der Bohnen. Welche Sorten man mischen kann, um immer den gleichen Geschmack hinzubekommen, ist sehr komplex.

Kommen die Firmen auf Sie zu und sagen: Machen Sie eine Schokolade, die mit weniger Kakaobohnen auskommt?
Nein. Aber es gibt einen riesigen Markt für Ersatzschokolade, die statt Kakaobutter billigeres Pflanzenfett verwendet. Damit werden zum Beispiel Kuchen überzogen. Das darf dann aber nicht Schokolade heißen, sondern »kakaohaltige Fettglasur«.

Schmeckt sie auch anders?
Ich lasse meine Studenten am Anfang des Semesters verschiedene Süßigkeiten probieren, darunter auch eine Fake-Schokolade. Mehr als die Hälfte schmeckt keinen Unterschied. Die Industrie ist sehr gut darin, Schokolade zu imitieren.

Ist weiße Schokolade wirklich Schokolade?
Ja, es gibt einen Lebensmittelstandard, der genau vorschreibt, was in weißer Schokolade enthalten sein darf. Nämlich das Gleiche wie in brauner Schokolade – ohne die festen Bestandteile der gemahlenen Kakaobohne, die der Schokolade ihre braune Farbe verleihen.

Was ist mit Luftschokolade?
Ein schlauer Marketinggag: Schokolade mit lauter kleinen Luftbläschen drin, die dann mehr kostet als normale Schokolade. Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz in der Nahrungsmittelindustrie: Je mehr Luft du verkaufst, desto mehr kannst du verdienen.

Ist es ein Vorurteil, dass Amerikaner keine gute Schokolade hinkriegen?
Absolut. Es gibt einen Unterschied zwischen billig und teuer, aber gute Schokolade aus den USA ist nicht schlechter als gute Qualität aus Deutschland oder der Schweiz. Auch wenn diese Länder ihre Schokolade natürlich für die beste halten.

Immer wieder steht in der Zeitung: Wissenschaftler erklären, dass Schokolade gesünder ist als gedacht. Ist da was dran?
Ein Kollege hat eine große Studie dazu gemacht. Sein Ergebnis: Schokolade ist von allen Süßigkeiten eine der verträglichsten, denn sie enthält Polyphenole und wirkt positiv auf das Herz-Kreislauf-System. Außerdem sind in Schokolade einige Stoffe, die einen als angenehm empfundenen Einfluss auf das Nervensystem haben. Vor allem Theobromin: Es ist chemisch mit Koffein verwandt, wirkt aber milder. Allerdings enthält Schokolade Zucker und viel Fett. Letztlich isst der Mensch aus zwei Gründen: Wir brauchen Kalorien und eine psychologische Befriedigung. Und kaum etwas vereint diese Bereiche so perfekt wie Schokolade.

Jetzt klingen Sie wie ein Werbetexter.
Da kennen Sie mich aber schlecht. Ich esse selbst kaum Schokolade.

Warum nicht?
Weil ich seit dreißig Jahren beruflich damit zu tun habe. Es wäre schlimm, wenn ich mein Forschungsobjekt mal satt hätte. Außerdem wäre ich irgendwann zu dick.

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Richard Hartel ist Süßigkeiten-Forscher und Autor des (nur auf Englisch erhältlichen) Buches »Candy Bites. The Science of Sweets«. In seinem Institut steht eine riesige Eismaschine.

(Foto oben: EF 145.4 (2014) by James Ostrer from series »Wotsit All About«)

Foto: James Ostrer