Die meisten Paare tun es immer wieder, aber sie sprechen nicht gern darüber. Weil es ihnen vor den anderen Paaren peinlich ist, und erst recht vor den Singles. Es findet überwiegend abends hinter geschlossenen Vorhängen statt und ist vielleicht eines der letzten Tabus in einer modernen Partnerschaft: das gemeinsame Fernsehen. Nicht das gesellschaftlich akzeptierte Seriengucken, nicht das ironische Spätnachts-Verkaufskanal-Kichern, sondern das banale »Oh, schon halb neun, kommt
heute irgendwas?«-Fernsehen, das irgendwann bei den Auswanderern auf Vox hängenbleibt. Es ist das hässliche Fernsehen, gemeinsam auf dem Sofa, nach dem nur noch Zähneputzen kommt.
Dieses Fernsehen hatte noch nie einen guten Ruf und schon gar nicht, wenn man zu zweit, jung, ungebunden und gesund ist. Dann hat man als Pärchen gefälligst andere Dinge zu tun, wenn man sich schon zu Hause aufhält. Sex haben zum Beispiel. Oder interessante Sachen kochen und dabei sehr viel lachen. Oder wenigstens dem Partner aus dem New Yorker vorlesen. Das sind jedenfalls die Dinge, die glückliche Akademiker-Pärchen in einer Til-Schweiger-Welt machen. Dass sie einfach nebeneinander vor der Glotze hocken und alle halbe Stunde den Satz »Schon wieder Werbung!« sagen, das sieht man nie, das erzählt auch keiner. Wenn man sich selbst dabei ertappt, vielleicht sogar freitagabends, während die restliche Stadt auf den Tischen steht und andere Paare auf Taxirückbänken knutschen, dann nimmt man erschrocken die Hand des anderen und weiß: Jetzt ist nicht mehr Rock ’n’ Roll. Jetzt ist kleines Glück. Kein schöner Moment.
Denn nichts, so glaubt man zu wissen, steht so sinnbildlich für die Banalisierung der Liebe wie eine Häufung von miteinander verbrachten Fernsehabenden. Die Eltern, das fällt einem ein, saßen genauso abends zusammen vor dem Fernseher und verscheuchten matt ihre Kinder, um mal ein bisschen Ruhe zu haben. Die Großeltern saßen genauso bis zuletzt vor dem Fernseher, um noch irgendwas anderes als Ruhe zu haben. Und jetzt ist man also selber angekommen, da ändert auch die Tatsache nichts, dass man das Fernsehprogramm mittlerweile mit einer App studiert.
Aber gegen die Ächtung des gemeinsamen Fernsehabends sollte mal jemand in Revision gehen. Er ist keinesfalls so schlecht wie sein Ruf. Man muss nur ein bisschen aufpassen. Einfachste Regel: Der Fernseher darf nie den größten Gesprächsanteil an so einem Abend bekommen. Er soll wie ein guter Sidekick in einer Late-Night-Show in der Ecke sitzen und inspirieren. Zweitens: Nicht dem Diktat des Programmschemas folgen! Wer sich auf Pro7-Comedy-Abende einschwören lässt oder gar auf die Werbepause wartet, um sich wieder dem Partner zuzuwenden, der ist auf dem besten Weg, den Apparat zum Impresario seiner Beziehung zu machen. Richtig gut kann ein laufender Fernseher dann sein, wenn er wie ein Straßenbahnfenster ist. Denn jeder weiß: Die schlichteste Straßenbahnfahrt kann mit einem geliebten Menschen an der Seite ein schönes Erlebnis sein, weil man das, was man dabei sieht, als Paar fortwährend decodiert und umdeutet. Ein anregender Fernsehabend funktioniert genauso: Eine Titanic-Doku auf 3sat kann zum Ausgangspunkt gigantischer Reisepläne werden. Und der Werbespot mit dem Typen, der über Autos springt? Anstoß für eine Diskussion über die bärtigen Männermodels an jeder Ecke, die einen darauf bringt, dass es bei Wes Anderson in jedem Film so einen gibt, was schließlich dazu führt, dass man das Anderson-Werk Darjeeling Limited in den DVD-Player legt und indisches Essen bestellt. Aktivfernsehen!
In dieser Atmosphäre ist der Fernseher kommunikativer als die Zeitung am Frühstückstisch, in der beide Köpfe versinken; fernsehen ist letztlich auch beziehungsfördernder als ins Kino zu gehen oder in den Club. Dort ist die Aufmerksamkeit des Paares ja vom Geschehen absorbiert; jeder erlebt für sich, und man muss am Kinoausgang pflichtschuldig fragen, wie der andere den Film nun fand.
Fernsehen lässt sofortigen Meinungsaustausch zu, und das Paar lernt etwas übereinander. Sie bleibt krampfhaft hängen bei: Plasberg, RAF-Dokumentationen und Mallorca/Ibiza-Auswanderern. Er schaltet sofort weiter bei: Plasberg, Aliens und Tagesthemen-Live-Schalten. Wenn man mal gemeinsam die Ursachen dieser TV-Reflexe ergründet, spart man sich wahrscheinlich ein paar Therapiestunden.
Fest steht, der Fernseher ist nur eine lächerliche, bunte Schaubude, den Jahrmarkt drumherum muss das Paar selber aufbauen. Am besten bis zu dem Punkt, an dem einem von beiden auffällt: »Huch, der Fernseher läuft ja noch.« Das ist zwar etwas anstrengender, als nur stumm-erschöpft zu glotzen, aber immer noch viel einfacher, als jeden Freitag Theaterkarten zu besorgen. Außerdem darf man dabei weiche Kleidung tragen.
Foto: Tabor Gus/Corbis