»Möchst’ heim?«, fragt er sie. »Geh, trink noch einen Wein mit mir.« Sie schaut skeptisch. »Ich besorg uns noch einen Rotwein«, sagt er. Sie sagt spitz: »Ja, wenn du’s schaffst und nicht wieder überall hängen bleibst.« Es wird ernst. »Geh, sei net so gschnappig«, sagt er und knufft sie in die Seite.
Es ist wieder einer dieser Abende, an denen Günther Beckstein kein Ende findet, Landtagsempfang in Schloss Schleißheim. Erst bleibt er beim Ministerkollegen hängen, dann will ihn unbedingt noch eine Dame von den Landfrauen fotografieren. Aufstrebende junge Herren drängen in die Nähe des künftigen Ministerpräsidenten, sie wollen rechtzeitig auf ihre Qualitäten hinweisen. Günther Beckstein stürzt sich in jedes Gespräch. Seine Frau steht zwei, drei Meter neben ihm, ihre Mundwinkel sinken fast unmerklich nach unten. Sie schaut ihn an. Ein langer Blick, mit einem ganz besonderen Funkeln. Im gleichen Moment dreht er sich zu seinen Leibwächtern um. »Schnell, bringen Sie mir zwei Gläser Wein«, ruft er ihnen zu. »Sonst bin ich in Lebensgefahr.« Er kneift seine Augen zusammen, zu diesen kleinen schmalen Schlitzen, die ihn aussehen lassen wie einen schalkhaften, aber schuldbewussten Jungen. Und dann stoßen Herr und Frau Beckstein an diesem Abend doch noch aufeinander an. Günther Beckstein, 63, der im Oktober neuer Ministerpräsident Bayerns werden soll, hat eine sehr eigenwillige Frau an seiner Seite. Eine Frau, die nicht bis tief in die Nacht auf Empfängen ausharren will, weil sie am nächsten Morgen wieder rausmuss: Punkt acht steht sie in ihrer Schule. Eine Frau, die Leistung fordert, von sich selbst, von ihren Schülern, von ihrem Mann: Dem sagt sie im Auto nach der Festzeltrede, dass ihn kein Mensch versteht, wenn er den Begriff »Public Private Partnership« nicht ordentlich erklärt. Becksteins Frau ist Lehrerin. Durch und durch. Und das will sie auch bleiben.
»Sie macht nicht automatisch das, was ich sag«, sagt Beckstein. Man meint, ein leises Seufzen zu hören. »Das ist manchmal anstrengend«, sagt er. »Aber nicht langweilig«, sagt sie.
Sie wird es auch den Bayern nicht einfach machen. Die werden sich umgewöhnen müssen. Vorbei die Zeiten, wo sie den Ministerpräsidenten quasi im Doppelpack bekamen: zwei Stoibers zum Preis von einem, Edmund für die staubigen Akten und die trockene Politik, Karin fürs Menschliche und den Glanz. Vorbei die Zeiten, als die Stoibers die Fortsetzung der Monarchie mit demokratischen Mitteln pflegten: ein elegantes Paar, schöne Töchter zum Vorzeigen, eine »Royal Family«, perfekt auf jedem Parkett. Und alles zur höheren Ehre der CSU.
Damit ist jetzt Schluss. Marga Beckstein, Lehrerin, Seminarleiterin, Mesnerin, geboren vor 62 Jahren in Nürnberg, wird keine geländegängige, allzeit einsatzbereite Landesmutter werden. Sie weiß das. Ihr Mann weiß das. Nur die Bayern wissen das noch nicht. Ein paar ahnen es. Klaus Erler zum Beispiel, Elektriker in Nürnberg, oder auch der Ex-König von Bulgarien, seine Königliche Hoheit Simeon II. Aber zu dem kommen wir gleich noch.
Klaus Erler ist ein gestandenes Mannsbild, Ende 60, früher gehörte ihm ein großes Elektrogeschäft in Nürnberg. Jetzt leitet er den Kirchenvorstand der evangelischen Paul-Gerhardt-Gemeinde im Arbeiterviertel Nürnberg-Langwasser. Hier wohnen die Becksteins. Vor drei Jahren wollte Erler ein neues Gemeindehaus bauen. Aber Marga Beckstein wollte das nicht. Auch sie sitzt im Kirchenvorstand. Sie hat ihre Meinung gesagt, das macht sie immer. Dass die Gemeinde sich finanziell übernehme. Erler hat auch seine Meinung gesagt: dass es sich nicht mehr lohne, das alte Gemeindehaus zu renovieren. Zwei Jahre lang haben sie gestritten. Dann kam die Abstimmung: Marga Beckstein unterlag, das neue Gemeindehaus wurde gebaut. »Das war ein ordentlicher Kampf, den sie mir da geliefert hat«, sagt Erler. Man merkt, dass das gesessen hat. »Aber sie ist fair: Jetzt, wo das Haus steht, hat sie gratuliert und gesagt, dass es gut geworden ist.« Nicht nur er hat zu spüren bekommen, dass man schon gute Argumente braucht, um eine Marga Beckstein zu überzeugen.
Bei einem dieser Adelsempfänge derer von Sachsen-Coburg-Gotha in Franken saß Marga Beckstein neben einem Herrn namens Simeon Sakskoburggotski. Der freundliche Herr mit der hohen Stirn und dem gepflegten Bart stellte sich als Ex-König von Bulgarien, Simeon II., vor. Schön, so eine edle Vergangenheit, meinte sie, aber die sei ja nun vorbei. Was er denn jetzt mache, wollte Marga Beckstein wissen. Kurz, was arbeitet eigentlich ein Ex-König? Der Herr dachte eine Weile nach, dann fand sich eine Antwort: Er verwalte die Latifundien der Familie. Marga Beckstein scheint so skeptisch geblickt zu haben wie beim Empfang in Schloss Schleißheim, als ihr Mann versprach, ganz schnell einen Wein zu holen. Später kam der Ex-König doch zu einer etwas ausfüllenderen Tätigkeit: Er wurde 2001 zum Ministerpräsidenten Bulgariens gewählt. Als Margas Ehemann dort auf Dienstreise war, ließ Simeon Sakskoburggotksi schöne Grüße ausrichten. Der Herr Innenminister möge seiner Frau doch sagen, dass er jetzt eine richtige Arbeit habe.
Wenn jemand protestantisches Arbeitsethos verkörpert, dann ist es Marga Beckstein. Beruf und Glaube, das ist ihr wichtig. Und nur weil ihr Mann jetzt Ministerpräsident werden soll, wird sie da keine Abstriche machen. Natürlich wird sie weiter als Mesnerin in der Kirchengemeinde arbeiten, für den Silvesterabend hat sie sich schon bereit erklärt, die Glocken zu läuten und die Kerzen anzuzünden. Und natürlich will sie auch weiter arbeiten. »Ich sehe keine Notwendigkeit, meinen Beruf aufzugeben«, sagt sie. Sie werde ihren Mann begleiten, »wo es sinnvoll und nötig ist«. An diesem Abend hat sie ihn ins »Hotel Maritim« in Nürnberg begleitet, zum 80. Geburtstag der Lebkuchenfirma Schmidt. Diesmal ja, aber sie werde doch nicht ständig die Landesmutter spielen, sagt sie bestimmt. Günther Beckstein hört seiner Frau zu. Er kneift die Augen zusammen, er presst die Lippen aufeinander. Man sieht, dass die beiden über dieses Thema schon diskutiert haben. Und man sieht auch, dass Beckstein seine Frau bisher nicht überzeugen konnte, dass der Lehrerberuf und der Job als Landesmutter nicht gleichzeitig zu schaffen sind.
Ein paar Minuten später begrüßt die Seniorchefin von Lebkuchen Schmidt den Herrn Innenminister und »künftigen Ministerpräsidenten«. Und sagt: »Es ist eine besondere Ehre, dass Frau Beckstein heute dabei ist – das macht sie nicht so oft.« Die Lebkuchen-Chefin macht eine Kunstpause. »Aber das wird sich nicht mehr lange durchhalten lassen.« Am Ehrentisch grinst Herr Beckstein Frau Beckstein an.
Das Ehepaar Beckstein führt eine im CSU-Sinn untypische Ehe. Er hat immer gearbeitet. Sie hat immer gearbeitet. Schon als Beckstein noch Anwalt in Nürnberg und junger Landtagsabgeordneter war, mussten sie sich von den CSU-Altvorderen dumm anreden lassen: In anderen Familien habe keiner einen Job, die Becksteins hätten gleich drei – Anwalt, Abgeordneter und Lehrerin. Natürlich war damit nicht gemeint, dass Beckstein einen seiner zwei Jobs aufgeben sollte. Sondern seine Frau den ihrigen. Günther Beckstein hat sie darauf angesprochen. »Wenn du mir versprichst, dass du zweimal die Woche um fünf Uhr nachmittags daheim bist«, sagte sie. Sie hat weitergearbeitet.
Drei Kinder haben die Becksteins: Ruth, Frank und Martin. Alle drei machen gerade ihren Doktor, die Tochter in Tiermedizin, der mittlere Sohn in Jura, der Jüngste in Politischer Wissenschaft. Man kann nicht behaupten, dass aus den Kindern nichts geworden sei. Aber den Vorwurf »Rabenmut-ter« musste sich Marga Beckstein immer wieder anhören. Das muss genervt haben. Wie als Antwort sitzen in ihrem Garten in Nürnberg lauter Raben – aus Keramik, selbst getöpfert. Raben, die so frech schauen, dass man sofort versteht, was Marga Beckstein ausdrücken will. »In der Natur gedeihen Raben ganz prächtig«, sagt sie.
1973 haben Marga und Günther Beckstein geheiratet, er mit Elvis-Tolle, sie im langen weißen Kleid. In der Kirchengemeinde haben sie sich kennengelernt, beim Streiten. Sie, die linke Weltverbesserin, er, der konservative CSU-Mann. Und seitdem haben sie weitergestritten. Wenn es um Sport ging. »Beim Skifahren ist sie bei mir in eine harte Schule gegangen«, sagt Günther Beckstein. »Stimmt gar nicht«, sagt sie. »Ich habe dir zum Trotz Skifahren gelernt, auf einer anderen Abfahrt.« Wenn es um Politik ging. Viel zu konservativ war er ihr am Anfang. Heute sagt sie: »Ich habe mich seiner Meinung mehr angenähert als er sich meiner.« Und wenn es um das Menschliche in der Politik ging. Als ihr Mann im Kampf mit Erwin Huber um die Führung in Bayern erklärte, er wolle unter einem Ministerpräsidenten Huber nicht im Kabinett sitzen, da sagte Marga zu ihrem Günther: »So verhält man sich nicht.« Ihr Eingreifen hat den Bruch zwischen Huber und Beckstein verhindert – und die Einigung von Kreuth erst möglich gemacht.
Günther Beckstein hatte sein Leben lang zwei wichtige Größen: In der Politik war es Edmund Stoiber, im Privaten ist es seine Frau. Und oft klammert Beckstein mit seiner Frau das Politische und das Private zusammen. Wenn er vor den Landfrauen redet, gesteht er ihnen, dass er einmal im Jahr von seiner Frau zum Einkaufen gezwungen wird, damit er noch mitkriegt, wie viel die Sachen eigentlich kosten. Die Landfrauen kichern wissend. Vor den Lehrern sagt er, aus der Schulpolitik müsse er sich heraushalten, da kenne sich seine Frau besser aus. Die Lehrer lachen freundlich. Und auf Empfängen vor seiner Wahl zum Ministerpräsidenten sagt er, er dürfe auf keinen Fall was über die Kabinettsliste sagen, sonst bekomme er wieder blaue Flecken von den vielen Rippenstößen seiner Frau. »Beckstein Opfer häuslicher Gewalt«, frotzelte da die Zeitung Der Neue Tag.
Es sind nicht die Jubelarien, für die Beckstein seine Frau liebt. Es ist ihr unbestechlicher Blick. »Sie ist eine Gesprächspartnerin, an der er seine eigene Position überprüfen kann«, sagt die Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler, die die Becksteins seit Langem kennt. »Eine kluge Partnerin, eine Freundin im besten Sinn, hellwach, voller Selbstironie.« Aber Marga Beckstein sei nun mal keine, die ihrem Günther nach dem Mund redet.
Manchmal hört man schon heraus, dass Günther Beckstein ein wenig mehr Bewun-derung zu Hause gefallen würde. »Vielleicht hätte er das gern«, sagt Marga Beckstein. »Aber man muss nehmen, was man kriegt.«
Gerade steht Beckstein in der VIP-Lounge des Frankenstadions in Nürnberg, bei einer Firmenfeier. Beckstein gibt sich als treuer Nürnberg-Fan. »Jetzt bringt er gleich seine Schauspieleinlage«, wispert Marga Beckstein, es ist ihr ein bisschen peinlich. Und tatsächlich führt Beckstein eine kleine Parodie auf die ungeliebten Fußballer des FC Bayern München auf, denen es bei jedem Schritt nur ums Geld gehe – ganz anders als den Kollegen des Nürnberger Clubs natürlich. Das ist nicht so nach dem Geschmack von Marga Beckstein. Doch dann wird ihr Mann ernst. In schlechten Zeiten, sagt er zu den Firmenchefs, hätten sie von ihren Mitarbeitern Opfer verlangt. Nun, wo es der Firma wieder gut gehe, müsse das Unternehmen die Mitarbeiter auch am Erfolg beteiligen. Hört sich an wie ein Herz-Jesu-Marxist. »Hört sich nicht nur so an«, sagt Marga Beckstein. »Er ist so.« Das scheint ihr zu gefallen.
»Bär« nennt sie ihn. »Bär« nennt er sie, nicht Liebling und schon gar nicht Muschi. Zwei Bären, die sich die Höhle in Nürnberg teilen, einen Bungalow mit einem kleinen Garten. Die gemeinsam auf Berge steigen, gemeinsam weite Reisen unternehmen. Zwei Bären, die aber beide ihr eigenes Leben führen. Er zwischen München, Berlin, Brüssel. Sie zwischen Schule, Kirche, Zuhause. »Die Marga sitzt nicht daheim und wartet, bis sie die Suppe raustragen kann«, sagt ihr Schwager, Becksteins Bruder Hellmut. Das »Gluckenhafte« liege ihr nicht. Sie ist lieber selbst unterwegs, übersetzt beim Ausflug der Kirchengemeinde nach England – »perfekt«, lobt Kirchenvorstand Erler. Sie ist im Redaktionsteam des Gemeindeboten. Und sie arbeitet in ihrem Beruf. Nichts ärgert sie mehr, als wenn sie wieder einmal als Religionslehrerin bezeichnet wird. Sie ist Seminarleiterin, betont sie. Sie gibt den Grundschullehrern, die auf die Volksschulkinder losgelassen werden, den letzten Schliff – in allen Fächern, auch in Mathe und Deutsch. Und sie will, dass die jungen Lehrer den Job ernst nehmen. So wie sie ihren Job ernst nimmt. Und ihr Mann seinen.
Natürlich hält Marga Beckstein nichts von Horoskopen. Und ihr Mann weiß noch nicht einmal, wie das Sternzeichen seiner Frau heißt. »Irgendwas mit Hörnern«, sagt er. Sie hat sich aus ihrem Steinbock-Horoskop nur einen einzigen Satz gemerkt: »Wohl dem, der Sie an seiner Seite hat.« Marga Beckstein findet den Satz richtig.