Moralprogramm

Die Union will Prostituierten ihre Arbeit während der Schwangerschaft verbieten, so steht es in ihrem Wahlprogramm. Ein Berufsverbot also. Unsere Kolumnistin glaubt: Was fürsorglich daherkommt, ist in Wahrheit sex- und frauenfeindlich.

Foto: Paula Winkler

Fangen wir mal mit dem Positiven an, denn da sind wir schnell durch: Die politische Diskussion über Sexarbeit ist differenzierter geworden und bezieht mittlerweile Expert*innen stärker ein, statt das Thema ausschließlich als moralische Frage zu behandeln. Daher fordern weder die CDU noch die SPD in ihren Wahlprogrammen zur Bundestagswahl ein Sexkaufverbot, das auch als »nordisches Modell« bezeichnet wird, obwohl es innerhalb der Parteien Politiker*innen gibt, die Sexarbeit gern völlig verbieten würden.

Noch vor rund einem Jahr hat sich eine Gruppe von CDU- und SPD-Abgeordneten an die Ministerpräsidentenkonferenz gewandt. Die Parlamentarier-Gruppe schrieb in ihrem Brief, Sexarbeit könne die »epidemiologische Wirkung eines Super-Spreaders« entfalten. Im gleichen Zug forderte die Gruppe, Sexarbeit auch über die Pandemie hinaus zu verbieten. Diese Äußerungen empfanden einige Sexarbeiter*innen zum einen als verletzend, da sie auf diese Weise als »Krankheitsträger*innen« markiert und stigmatisiert wurden, obwohl sie in ihrem Beruf grundsätzlich auf Hygiene und ihre Gesundheit achten müssen, um ihn ausüben zu können. Zum anderen verunsicherte sie die Forderung nach einem generellen Verbot, da sie zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehreren Monaten nicht mehr über ihre gewohnte Arbeit ihr Geld verdienen konnten. Einige Sexarbeiter*innen fielen ins finanzielle Nichts, da sie nicht einmal Anspruch auf Hartz IV hatten. Staatliche Hilfen bekamen diese Sexarbeiter*innen nicht. Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. richtete einen Nothilfefonds ein. Doch die Frage, wie Sexarbeiter*innen ihren Lebensunterhalt verdienen können, wenn ihnen ihr Beruf verboten würde, wird in Debatten über ein Sexkaufverbot meistens großzügig ausgespart oder unzureichend beantwortet. Undine de Rivière, die als Escort und Domina arbeitet, kommentierte die Situation der Sexarbeiter*innen in der Pandemie so: »Erst hat man uns den Beruf verboten, und jetzt will keiner helfen.«

Die Pandemie lieferte also einen Vorgeschmack darauf, wie es Sexarbeiter*innen erginge, wenn der Kauf von Sex verboten würde. Erfahrungen mit dem »nordischen Modell« in Schweden zeigen, dass die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen nicht abnimmt, wenn die Inanspruchnahme illegal wird. Dafür wird die Arbeit für die Prostituierten gefährlicher, ihre Ausbeutung nimmt zu, und sie fühlen sich gesellschaftlich noch weniger akzeptiert als vorher. Das wiederum kann bewirken, dass ihr Vertrauen zu Sozialarbeiter*innen und Behörden abnimmt und sie sich in Notsituationen seltener Hilfe suchen. Ein Sexkaufverbot trägt also kaum zum Schutz von Prostituierten bei, sondern eher zum guten Gefühl der Befürworter*innen, auf der richtigen Seite zu stehen und Frauen zu schützen (um männliche, trans und nicht-binäre Sexarbeiter*innen geht es in den Diskussionen so gut wie nie), aber für die Verschlechterungen, die eine Illegalisierung mit sich bringen, haben sie kaum Lösungen. Dass weder Union noch SPD gerade das »nordische Modell« in ihren Wahlprogrammen fordern, zeigt also, dass sie die Probleme sehen, die ein Sexkaufverbot mit sich brächte, und diesen Schritt bislang nicht gehen wollen.

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Hier treffen zwei vermeintliche Tabus aufeinander: käuflicher Sex und Sex in der Schwangerschaft

Das Wahlprogramm von CDU und CSU hat dennoch einige Vorschläge zur weiteren Regulierung von Sexarbeit und beschreibt, dass gegen Zwangsprostitution, Zuhälterei und Menschenhandel mehr getan werden müsse, was zweifelsfrei stimmt. Allerdings hat die Union auch eine neue Idee, wie man bislang legale Sexarbeit weiter einschränken könnte. »Wir wollen Prostitution von Schwangeren verbieten«, heißt es in ihrem Programm. Man kann über diese Stelle schnell hinweglesen und nicken, denn Schwangere sind im gesellschaftlichen Bewusstsein als besonders schutzbedürftig verankert, und es gibt bereits gesetzliche Regeln, die berufstätige Schwangere vor gefährlichen Arbeitssituationen schützen sollen. So gesehen klingt es zunächst fair, den Schutz auf schwangere Sexarbeiter*innen ausdehnen zu wollen. Doch schwangeren Sexarbeiter*innen ein Berufsverbot zu erteilen, ist aus mehreren Gründen problematisch. Die Idee entpuppt sich eher als Vehikel, um Sexarbeit zumindest ein bisschen mehr zu verbieten als vorher.

Zunächst müsste die Union erklären, ab wann eine Schwangere mit Sex kein Geld mehr verdienen dürfte. Müsste sie sich bei einer verspäteten Monatsblutung bereits testen lassen, um sicher zu sein, nichts Verbotenes zu tun? Müssten Kund*innen sich einen tagesaktuellen Schwangerschaftstest vorlegen lassen, damit sie sich nicht strafbar machen? Wer prüft das? Dürften nur »sichtbar Schwangere« ihren Beruf nicht weiter ausüben – und wo fängt die Sichtbarkeit einer Schwangerschaft an? Schließlich ist es von Person zu Person völlig unterschiedlich, ab wann eine Schwangerschaft äußerlich zu erkennen ist.

Aus meiner Sicht steckt etwas anderes dahinter, Sex mit schwangeren Sexarbeiter*innen verbieten zu wollen, als ihnen einen Gefallen zu tun. Hier treffen zwei vermeintliche Tabus aufeinander: käuflicher Sex und Sex in der Schwangerschaft. Beschäftigungsverbote für Schwangere sind nämlich nur dann zu ihrem Schutz, wenn der Fötus oder sie selbst über die Arbeit gesundheitlich gefährdet würden. Doch Sex in der Schwangerschaft schadet weder den aktiv Beteiligten noch dem Baby. Solange sich eine Schwangere dabei wohlfühlt und keine unerwünschten Schmerzen hat, ist Sex unbedenklich. Sexuelle Handlungen in der Schwangerschaft als gefährlich oder schädlich darzustellen, ist unwissenschaftlich und verweist im Kern auf ein patriarchales Frauenbild, das Schwangeren ihre Sexualität absprechen will und die Bedürfnisse und Rechte einer Schwangeren einer moralischen Vorstellung unterordnet. Zusätzlich wird diese sowohl sex- als auch frauenfeindliche Sichtweise mit der Falschbehauptung begründet, eine Schwangere schade damit ihrem Baby und handele fahrlässig. Diese Sichtweise suggeriert: Andere wissen besser als die Schwangere selbst, was gut für sie und ihr Kind ist.

Schwangerschaft ist keine Krankheit. Ob sie arbeiten können oder nicht, müssen Schwangere selbst entscheiden dürfen. Wer Sexarbeit in der Schwangerschaft verbieten will, müsste sehr genau begründen, warum, und sich ebenso zur Sexualität in der Schwangerschaft per se positionieren. In der Logik der Forderung, schwangeren Sexarbeiter*innen ihre Arbeit zu verbieten, müsste das Programm der Union ebenso beinhalten, alle Paare, die ein Kind erwarten, darüber aufzuklären, welche Risiken mit Sex in der Schwangerschaft einhergehen, und von nun an auf Sex zu verzichten. Nur würde das eben schwierig, da es keine wissenschaftliche Basis für diese Empfehlung gibt. Hebammen empfehlen Geschlechtsverkehr sogar als natürliche Methode der Geburtseinleitung, wenn der errechnete Termin überschritten ist, um zunächst keine Medikamente geben zu müssen. Die international renommierte Hebamme Ina May Gaskin schreibt in einem ihrer Bücher über Sex kurz vor der Geburt: »Falls Ihr Partner nicht gerade ein ungewöhnlich schlechter Liebhaber ist, ist dies die angenehmste Methode der Geburtseinleitung.«

Versuchen wir eine wohlwollende Auslegung der Idee, Schwangeren die Sexarbeit zu verbieten: Die Union möchte schwangere Sexarbeiter*innen unterstützen, die ihren Beruf in dieser Zeit nicht ausüben wollen oder es aufgrund von Beschwerden nicht können. Diesen Schwangeren Angebote zu machen, wäre absolut legitim und eine gute Sache. In diesem Fall müsste es jedoch Ideen für politische Maßnahmen geben, wie diese Unterstützung konkret aussehen soll. Denn ein Berufsverbot ist zunächst eine Einschränkung, keine Hilfe – und speziell für Selbstständige existenzgefährdend. Denn das Mutterschutzgesetz gilt grundsätzlich nicht für Selbstständige, da sie keinen Arbeitgeber haben, der für ihre Sicherheit sorgen muss. Selbstständigen Schwangeren kann demnach kein Beschäftigungsverbot erteilt werden, und gleichermaßen bekommen sie im Gegensatz zu angestellten Schwangeren auch keine Lohnfortzahlung. Einer Selbstständigen, die in der Schwangerschaft per Gesetz nicht mehr arbeiten darf, bleibt nur die Wahl, von Ersparnissen zu leben, von Familie oder Freund*innen mitfinanziert zu werden oder Hartz IV zu beantragen. Sie verliert ihre finanzielle Unabhängigkeit. Viel wahrscheinlicher wäre jedoch, dass schwangere Sexarbeiter*innen weiter arbeiten würden, aber dann illegal. Ähnlich wie beim Sexkaufverbot des »nordischen Modells« oder den Verboten in der Pandemie wäre demnach zu befürchten, dass ausgerechnet Schwangere durch die Illegalisierung schlechtere Arbeitsbedingungen hätten als vorher.

Eine gute Lösung könnte zum Beispiel das Grundeinkommen sein

Ginge es der Union also um den Schutz von schwangeren Sexarbeiter*innen und am besten noch um den Schutz von selbstständigen Schwangeren insgesamt, müsste sie eine Einkommensersatzleistung für Selbstständige entwickeln, die in dem Fall greifen würde, dass sie in der Schwangerschaft nicht mehr arbeiten könnten. Doch momentan sieht die Situation für schwangere Selbstständige, die durch eine Schwangerschaft nicht mehr voll einsatzfähig sind, so aus, dass sie mit den finanziellen Verlusten allein klarkommen müssen und die Regeln für Krankengeld sowie Mutterschaftsgeld für Selbstständige eher prekär sind. Wer finanziell einigermaßen abgesichert sein will, sollte nicht als Solo-Selbstständige, sondern besser angestellt schwanger werden. Auch das spricht Bände über das Frauenbild im Arbeitskontext.

Man könnte für Schwangere tatsächlich viel verbessern. Der Kündigungsschutz für angestellte Schwangere greift beispielsweise nur bei unbefristeten Verträgen. Läuft der Vertrag einer Schwangeren zufällig aus, wenn sie im siebten Monat schwanger ist, dann ist sie arbeitslos. Die ALG-Monate wiederum zählen mit null Euro in die Berechnung des Elterngeldes hinein, sodass der Verlust eines Jobs vor der Geburt eines Kindes sich finanziell mehrfach nachteilig auswirkt. Unter jüngeren Menschen gibt es daher den zynischen Spruch: »Das beste Verhütungsmittel sind befristete Arbeitsverträge.« Was Schwangeren guttäte, wäre jedenfalls auch, keine finanziellen Sorgen zu haben. Wo sind die politischen Ideen für dieses Ziel?

Eine gute Lösung könnte zum Beispiel das Grundeinkommen sein. Doch das Arbeitsverbot für Sexarbeiter*innen ist die einzige Stelle im Wahlprogramm der Union, an der Schwangere erwähnt werden. Weder die Rechte von angestellten Schwangeren noch die prekäre Versorgungslage mit Hebammen, die Schwangere in der Regel schon vor der Geburt beraten und begleiten, sind im Programm der Union erwähnt. Schwangerschaft ist für die Union bei dieser Wahl offenbar nur ein Verbotsthema.

Erläuterung zum Genderstern (*):
Die Autorin verwendet den *, etwa wenn sie von Sexarbeiter*innen oder Politiker*innen spricht, um deutlich zu machen, dass sie männliche, weibliche, trans, inter, und queere Menschen des jeweiligen Berufsstands meint. Sie spricht außerdem von »schwangeren Sexarbeiter*innen«, weil sie ebenfalls trans, inter und queere Schwangere meint.