»Warum der Mensch schenkt? Weil er muss!«

Der Soziologe Holger Schwaiger über Geben und Gebenlassen.

 
SZ-Magazin:
Herr Schwaiger, was muss man tun, damit ein Geschenk gut ankommt?
Holger Schwaiger: Sie müssen die schwierige Eigenschaft beherrschen, sich in den anderen einzufühlen, das geht nur durch ständiges Fine-Tuning. Also immer dranbleiben, sich immer wieder mit der Persönlichkeit des anderen beschäftigen.

Jetzt, vor Weihnachten, fragt sich jeder: Wie finde ich die idealen Geschenke?
Tut mir leid, da gibt es kein Rezept. Es wäre natürlich praktisch, wenn man das ideale Geschenk mathematisch berechnen könnte, aber der Mensch verändert sich ständig, und die Beziehungen zwischen Menschen verändern sich auch ständig. Das müssen wir alles immer mitbewerten – es hilft nichts.

Sie haben ein Buch über das Schenken geschrieben – der Untertitel lautet: »Entwurf einer sozialen Morphologie aus Perspektive der Kommunikationstheorie«. Worum geht’s?
Es geht um einen ganz einfachen Gedanken: Wer schenkt, kommuniziert. Er stellt eine Aussage in den Raum, und der Beschenkte muss darauf irgendwie reagieren. Im Unterschied zum Gespräch haben wir es aber nicht mit einem Wort zu tun, sondern mit einem Gegenstand. Dadurch lässt sich die Kommunikation nicht so leicht ignorieren.

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Na ja, man kann doch einfach die Reaktion verweigern.
Können Sie eben nicht! Wenn Sie schweigen, reagieren Sie auch. Und lehnen Sie mal ein Geschenk ab – das ist eine Antwort, mit der schon extrem viel gesagt ist.

Sie schreiben, das Schenken sei bislang kaum erforscht. Warum ist das so?
Weil solche Untersuchungen teuer sind, man muss ja viele Leute befragen. Wenn, dann gibt es meistens Auftragsforschungen, da will die Buchbranche oder die Blumenbranche wissen, ob ihre Artikel als Geschenk geeignet sind. Immerhin, eine Erhebung anlässlich der Frankfurter Konsumgütermesse hat vor Kurzem ergeben, dass im Schnitt jeder Deutsche in den letzten zwölf Monaten 400 Euro für Geschenke ausgegeben hatte. Rein rechnerisch bringen die Deutschen also jedes Jahr Geschenke im Wert von rund 27 Milliarden Euro an den Mann. Und für Geschenkverpackung geben wir noch mal
2,3 Milliarden Euro aus.

Ganz simpel gefragt: Warum schenkt der Mensch überhaupt?
Ganz simpel geantwortet: weil er muss. Die klassischen Schenktheorien besagen, dass es unter Freunden und Verwandten einfach erwartet wird. Noch dazu gibt es die soziale Verpflichtung, ein Geschenk auch anzunehmen. Wenn Sie das nicht tun, gerät die Beziehung zum Schenker sofort ins Wanken.

Sie zitieren Sigmund Freud, der in etwa sagt: Schon das Kleinkind schenkt, nämlich das, was in seiner Windel ist. Wie soll man denn bitte das verstehen?
Na ja, die Eltern geben dem Säugling Zuneigung und Nahrung, aber das Kleinkind hat nichts, was es zurückgeben kann. Seine einzige Möglichkeit liegt darin, den Eltern den Wunsch zu erfüllen, nicht einfach die Windeln vollzumachen, sondern zu warten, bis es auf dem Topf sitzt. Das Kleinkind hat nichts anderes anzubieten, also verzichtet es auf die Bestimmungshoheit über seine Darmtätigkeit. In diesem Sinne versteht Freud das Exkrement als das »erste Geschenk«.

Hm.
Nun, das ist Freud.

Wann ist ein Geschenk missglückt?
Wenn der Beschenkte überhaupt nicht nachvollziehen kann, was das Geschenk mit ihm zu tun haben soll. Dann haben Sie seine Vorlieben und Abneigungen, vielleicht sogar seine ganze Lebenseinstellung völlig falsch eingeschätzt. Die Anzeichen können da von sehr subtil bis völlig offensichtlich reichen. Der Beschenkte nimmt das Geschenk gar nicht erst symbolisch in Besitz, er probiert die Krawatte nicht mal an. Oder deutlicher: Er schenkt es sofort weiter.

Warum ist es tabu, Geld zu schenken?
Neue Untersuchungen belegen, dass Geldgeschenke in Deutschland tatsächlich eher selten sind. Sie werden sozial geächtet, weil man glaubt, der Schenker habe sich nicht mal die Mühe gemacht, auf die Persönlichkeit des Beschenkten einzugehen. Er gibt zu erkennen, dass er nur einer lästigen Pflicht folgt. Hinzu kommt, dass es dem Schenker nicht mal was ausmacht, wenn alle mitkriegen, dass ihm die Beziehung zu Onkel Heinz oder Tante Hilde gerade mal 20 Euro wert ist. Bei einem gut ausgewählten Geschenk dagegen spielt der Preis keine Rolle.

Wie hat sich das Schenken im Lauf der Zeit verändert?

Früher hat man Geschenke nicht gekauft, sondern selbst gefertigt. Da hat der Schmied sein schönstes Messer einem Freund oder Geschäftspartner geschenkt, der Töpfer hat sein feinstes Geschirr seiner Geliebten verehrt. Man kann sagen, die Menschen haben etwas von sich gegeben, im eigentlichen Sinne des Wortes. In modernen Gesellschaften dagegen wird eher aus dem Geldbeutel geschenkt. Der Straßenbahnschaffner gibt ja nicht seiner Frau die schönste Fahrkarte. Vielmehr versucht man, ein passendes Geschenk zu kaufen, das andere hergestellt haben.

Dr. Holger Schwaiger, 42, ist Dozent am Institut für Soziologie der Universität Erlangen und Trainer für Interkulturelle Kommunikation. Das Buch »Schenken. Entwurf einer sozialen Morphologie aus Perspektive der Kommunikationstheorie« war zugleich seine Dissertation.

Das heißt, wir schenken immer unpersönlicher, auch wenn wir uns noch so viele Gedanken machen …
Ja, leider – und trotzdem hat der moderne Schenker die Chance, mit dem Geschenk auch eine Aussage über sich selbst zu machen. Wo der Schmied früher sein handwerkliches Geschick unter Beweis stellte, kann der Mensch sich heute inszenieren und bestimmte Aussagen über sich machen: Er kann sein Wissen um die Persönlichkeit des Beschenkten ausdrücken. Er kann sich als Kenner besonders erlesener Bücher oder Weine ausweisen. Er kann mit teuren Geschenken protzen, um seinen Wohlstand zu demonstrieren. Das gab es auch früher schon, manche Indianerstämme haben sich auf diese Weise fast um ihre Existenz gebracht.

Wie das?
Die Stämme versuchten sich teilweise in einem wahren Geschenkekrieg immer wieder zu überbieten, dem sogenannten Potlatch. Man wollte zeigen, dass man es sich leisten kann, alles zu verschenken, Schätze, Besitztümer, sogar Essensvorräte. Die ruinierten sich dabei völlig.

Kann man da wirklich von Geschenken sprechen?
Natürlich, die hatten nur eine extremere Vorstellung davon als wir heute. Noch mal anders war es zum Beispiel bei den Ureinwohnern Neuseelands: Die betrachteten die Gabe als beseelt. Sie ist mit dem Menschen spirituell verbunden. Der Beschenkte weiß, dass Gabe und Geber eine Einheit sind – und kann daher auf Dauer die Rückgabe nicht verweigern.

In der kapitalistischen Gegenwart wächst jeder auf mit dem Gedanken, dass sich alles irgendwie lohnen muss. Ist Schenken überhaupt noch zeitgemäß?
Natürlich! Auch wenn ein Geschenk nur einen geringen ökonomischen Wert hat, kann es doch hohe andere Werte in sich tragen, es kann sagen: »Ich habe an dich gedacht« oder: »Ich möchte, dass du an mich denkst«. Da sind wir wieder mitten in der Kommunikation.

Aber aus rein ökonomischer Sicht ist Schenken ein Verlustgeschäft.

Wenn Sie es ganz streng ökonomisch sehen, nein. Das Schenken hört ja nicht bei der Geschenkübergabe auf: Der Empfänger nimmt das Geschenk an, er zeigt Freude und Überraschung – das sind ja auch Werte, die Sie als Schenker zurückkriegen. Und spätestens wenn der Beschenkte sich ein Gegengeschenk einfallen lässt, sind Sie wieder quitt.

Aber man kann ja nicht beim Schenken schon aufs Gegengeschenk spekulieren.
Ach, was für ein romantischer Gedanke. Was Sie ansprechen, nennt man in der Wissenschaft die »reine Gabe«. Aber diese Idee ist letztlich nur Verblendung – jeder weiß doch, dass nie völlig uneigennützig geschenkt wird. Die Psychologie geht davon aus, dass schon das Gefühl, eine »reine Gabe« geschenkt zu haben, ein Gewinn für den Schenker ist.

Erwarten deshalb so viele Menschen beim Schenken übertrieben viel Dankbarkeit?
Der Soziologe Georg Simmel hat festgestellt, dass Dankbarkeit »der einzige Gefühlszustand ist, der unter allen Umständen sittlich gefordert und geleistet werden kann«. Alles andere, Zuneigung, Respekt, Mitgefühl, ist immer situationsbedingt. Für den Dank dagegen gibt es sogar Gesetze: Es ist möglich, ein Geschenk im Fall des sogenannten groben Undanks zurückzufordern.

Macht das jemals irgendwer?
Oh ja, es gibt Fälle, in denen Eltern ihren Kindern sehr große Geschenke machen, eine Wohnung zum Beispiel, und dann mit Schrecken zusehen, wie die diese Wohnung kaputtwohnen. So was landet dann vor Gericht. Wie gut danach allerdings die familiären Bande sind, steht auf einem anderen Blatt.

Was ist, wenn man sich über ein Geschenk nicht freut? Darf man das zeigen?
Ob man es darf oder nicht, ist eher eine Frage für den Knigge als für den Soziologen. Aber so viel ist sicher: Wenn Sie Undank zeigen, wird’s auf jeden Fall kompliziert.

Können Geschenke auch eine Belastung für den Beschenkten sein?

Natürlich, er soll sich freuen, er soll dankbar sein, er soll sich ein Gegengeschenk ausdenken. Da entsteht immer eine Schuld, die abgetragen werden muss.

Und bei ganz übertriebenen Geschenken?

Da wird’s noch schlimmer, vor allem dann, wenn der Beschenkte gar keine Chance hat, je etwas Gleichwertiges zurückzuschenken. Dann befinden wir uns sogar an der Grenze zur Beleidigung – das Geschenk ist dann einfach nur noch eine Demütigung.

Weihnachten steht vor der Tür. Welche Fehler müssen wir beim Schenken dringend vermeiden?
Wir alle schenken zu wenig! Wenn Sie nur zu besonderen Anlässen etwas schenken, ist das jedes Mal ein großer Akt. Wenn Sie Ihren Nächsten immer wieder ein bisschen was schenken, bleibt die Kommunikation dauerhaft lebendig. Schauen Sie mal, ob Sie vor Weihnachten nicht noch hier und da ein kleines Geschenk dazwischenschieben können.

Fotos: Getty; jala/photocase.com