Die ersten vorfühlenden Fragen kommen meistens Mitte November. Dann, je näher das Fest rückt, werden sie drängender: Na, schon was auf dem Wunschzettel für Weihnachten? In meiner Familie wird traditionell viel geschenkt. Das ist entsprechend vorzubereiten. Wunschlisten vereinfachen diese Organisation ungemein. Bloß habe ich bei solchen Anrufen in der Regel nichts auf der Pfanne. Oder es gibt etwas, was ich meiner Mutter auftrage, vielleicht auch noch meinem Bruder, aber was bleibt dann meinem Vater? Oder meiner Frau? So viele Wünsche habe ich gar nicht jedes Jahr, dass ich damit jonglieren könnte. Die Wahrheit ist: Irgendetwas in mir sträubt sich gegen Listen. Ich finde, es nimmt dem Schenken etwas, wenn man genau weiß, was man bekommen wird. Nennen wir es ruhig: Magie.
Natürlich gehen umgekehrt auch Wünsche bei mir ein. Irgendwann ergeben sie eine lange Liste, die es abzuarbeiten gilt wie den Einkaufszettel im Supermarkt. Das macht das Leben leichter, keine Frage. Aber sollte Weihnachten nicht mehr sein als der Austausch bestellter Waren zur Herstellung gegenseitiger Zufriedenheit? Ich mag Weihnachten. Die moralischen Appelle derer, die das nicht tun, lassen mich kalt. Ein Kaufrausch? Meinetwegen. Eine Inszenierung von Harmonie im Zeichen des Konsumismus? Geschenkt. Ich schenke gern. Mir macht es Spaß, mich einmal im Jahr ins Getümmel zu begeben, um etwas Schönes für meine Lieben zu finden. Was ich langweilig finde, ist die Rolle des Sendboten.
Wunschzettel unterminieren das Prinzip der Freiwilligkeit beim Schenken. Wer Geschenke bestellt, hinterlässt beim Geber eine Bringschuld. Ich fühle mich fortan verpflichtet, die aufgetragenen Aufgaben zu erledigen. Man will ja niemanden enttäuschen. Nur: Das Weihnachtsfest ist durchritualisiert genug, da könnten mehr Spontaneität und Freiheit nicht schaden.
Es gibt Ausnahmen: Kinder dürfen Wunschzettel schreiben. Mein Stiefsohn übergab uns mal einen, auf dem sogar die Bestellnummer des Legokastens samt Teile-Zahl und Preis in Grundschülerschrift notiert war. Den hat er natürlich bekommen. Kinder können noch nicht ermessen, dass auch unerwartete Geschenke von Herzen kommen können. Sie denken, sie hätten etwas falsch gemacht, wenn der Weihnachtsmann statt des ersehnten Rollers einen Chemiebaukasten bringt. Auch die Oma möchte man nicht blind in den Weihnachtstrubel schicken, ohne ihr wenigstens einen Wink mit auf den Weg zu geben. Sie ist in ihrem langen Leben genug beschwerliche Wege gegangen.
Theodor W. Adorno fand schon 1951 in seinen Minima Moralia: »Die Menschen verlernen das Schenken!« Wirkliches Schenken habe sein Glück in der Imagination des Beschenkten: »Es heißt wählen, Zeit aufwenden, aus seinem Weg gehen, den anderen als Subjekt denken: das Gegenteil von Vergesslichkeit.« Und damit meinte er nicht die Punkte auf einem Wunschzettel.
Die Geschenke, über die ich mich am meisten gefreut habe, kamen immer wie aus heiterem Himmel. Einmal schenkte mir meine Tochter einen selbst gebastelten Käfig aus Papier zum Aufhängen, darin ein kleines Vögelchen. Sie hat ihn nicht in der Schule gebaut, sondern allein, geheim und mit viel Geduld in ihrem Zimmer. Ich hüte ihn wie meinen Augapfel. Oder das kleine selbst gemachte Büchlein in schwarzem Leinen von meiner Frau, mit selbst geschossenen Fotos und ihren Lieblingskurzgeschichten der Weltliteratur: Dieses Geschenk würde ich unbedingt aus meinem brennenden Haus retten. Stand auf keiner Liste. Kam einfach so. Freie Geschenke machen Arbeit, auch wenn man sie nur kauft und nicht bastelt. Dafür zeigen sie, dass Schenken eine Sprache ist, die ohne Worte auskommt, aber viel erzählt. Über den Geber, aber auch über den anderen und darüber, was man in ihm sieht. Zugegeben: Nicht immer weiß man, was dem anderen gefallen könnte. Es gibt ein Risiko.
Wie siegessicher ich war, als ich dieses sündteure Necessaire zum Aufklappen fand, von diesem angesagten Lederschneider aus Paris. Wie traurig, als es nach einem Jahr immer noch unbenutzt im Schrank lag. Doch das muss man aushalten können. Dafür zählen die Treffer umso mehr.
Psychologisch betrachtet, ist das Schenken eine höchst komplexe soziale Aktion: Der Schenkende gibt nicht nur, er nimmt auch. Aus der Freude, die er stiftet, zieht er Selbstbestätigung. Der Beschenkte wiederum nimmt nicht nur, er muss auch geben: Dankbarkeit, nun ja. Vor allem aber Demut. Für mich gehört dazu auch die Aufgeschlossenheit, sich auf Unerwartetes einzulassen. Man sollte Enttäuschungen weglächeln können und sich auch mal mit Unpassendem arrangieren. Es gibt Bücher, die stehen in dreifacher Ausgabe in meinem Regal. Ich finde, die Höflichkeit gebietet, ein Geschenk anzunehmen und nicht umzutauschen. Selbst über geistlose Geschenke kann man noch den Mantel des Schweigens legen. Lieber ein Weihnachten voller Überraschungen als eine Bescherung, bei der alle zufrieden den Daumen heben, weil genau geliefert kam, was bestellt wurde. Da hätten sie den Kram gleich selbst bei Amazon kaufen können. Da gibt’s auch die Option Geschenkpapier.
Ich denke, das passgenaue Geschenk passt genau in unsere Zeit. In einer Überflussgesellschaft steigen die Erwartungen ununterbrochen. Nicht nur, weil schon alle alles haben. Man kriegt auch alles. Irgendwo auf Ebay lässt sich auch der ausgefallenste Wunsch auftreiben. Und je mehr Objekte es gibt, die man kennt und begehrt, desto weniger Objekte bleiben übrig, die man nicht kennt und von denen man noch gar nicht weiß, dass man sie begehren würde – und wie sehr man sich darüber freuen würde, sie überraschend geschenkt zu bekommen von jemandem, der die Fantasie hatte, sich uns mit diesem Objekt zusammenzudenken. Ich habe nichts gegen den Onlinehandel, im Gegenteil, er bereichert auch mein Leben. Nur: Seit man alles online bestellen kann, füllen sich die Straßen mit Paketautos. Die eine Hälfte bringt das Zeug, die andere holt die Retouren wieder ab. Und dann geht alles von vorn los. Was nicht passt oder gefällt, wird zurückgeschickt, meistens kostenlos. Und für diese Freiheit sind wir nicht gewappnet – sie führt zu Perfektionsansprüchen, sie lässt nichts gelten als die beste Option.
Der Optimierungsanspruch hat Stück für Stück so ziemlich jeden Bereich unseres Leben durchdrungen. Apps überwachen unseren Schlaf, Coaches beraten uns in Karrierefragen. Unsere perfekt buschige und symmetrische Nordmanntanne stecken wir in einen Hightechständer, den Testsieger von Stiftung Warentest. Ich bilde mir ein, auch die Wunschlisten werden immer dezidierter. In so einer Welt können unerbetene Geschenke schnell als Systemfehler betrachtet werden. Dann müssen die Paketautos wieder kommen.
Der Spiritus Rector der Wunschlistenschreiber heißt Joel Waldfogel und ist Ökonom. Er behauptet, Schenken sei schlecht investiertes Geld, weil es beim Beschenkten weniger Zufriedenheit herstelle, als wenn dieser sich Dinge selbst aussuchen könnte. Sein Buch Warum Sie diesmal wirklich keine Weihnachtsgeschenke kaufen sollten wird gern zitiert, um die Ineffizienz der Schenkerei anzuprangern. Und das ist der Punkt. Ich mag das Schenken lieber, wenn es ineffizient ist.
Foto: Peter Atkins/Fotolia.de; Illustration: Hudson Christie