(Foto: Johan Gunséus / synk.nu)
Schweden kann brutal sein. Ikea versorgt uns ja nur mit den Gute-Laune-Klischees: ein Land voll blonder Kinder, die an funkelnden Seen rumspringen, Midsommar, endlose Tage, alles herrlich da oben im Norden. Dass die ganze Heiterkeit spätestens im Herbst in unglaubliche Trübnis kippt, wird in der Regel diskret verschwiegen. Och ja, bisschen dunkel halt, nå und?
Die Realität sieht so aus: Jetzt, im Januar, wirds überhaupt erst am späten Vormittag hell, besser gesagt »hell«. Das tote Grau, das der Himmel zeigt, würde in anderen Ländern bestenfalls als Straßenbelag durchgehen. Zum Mittagessen kann man mit etwas Glück seinen Teller ohne künstliche Beleuchtung sehen, danach dämmert es schneller wieder, als man nach der Dessertkarte fragen kann.
Kein Wunder, dass Schweden ein ernstes Depressions-Problem hat. Jedes Jahr kommen die neuen Statistiken rein: Spätestens zu Weihnachten hängt das halbe Land in den Seilen, die Leute verlieren jeden Antrieb, saufen überteuerten Alkohol, jagen ihre Kinder raus auf triste Flutlichtspielplätze, stolpern im Dunkeln, finden runtergefallene Schlüssel nicht, verlieren jede Hoffnung und fragen nach dem Sinn des Lebens – aber, ach, vergeblich.
Es wurde Zeit, dass was passiert. Also haben sie in der Stadt Umeå (500 Kilometer nördlich von Stockholm, ganz besonders finster) einfach die Bushaltestellen mit riesigen Tageslichtlampen ausgestattet. Solche Lampen werden schon seit Jahren als Therapiemittel eingesetzt, Psychologen wissen: Künstliches Licht, das exakt das Farbspektrum von Tageslicht nachbildet, hilft bei der Behandlung von Depressionen. Insbesondere bei der Variante, die als Winterdepression bekannt ist – denn unser Körper bildet bei einsetzender Dunkelheit das Schlafhormon Melatonin: je mehr Dunkelheit um uns, desto mehr Finsternis in uns.
Die Schweden versuchen schon seit Jahren, etwas gegen die endlose Nacht zu tun. In Stockholm gibt es Lichtcafés, von schlauen Wirten so beleuchtet, dass es halbwegs nach Sommernachmittag aussieht. Aber denen geht es um Umsatz, logisch. Die Tageslichthaltestelle dagegen ist eine Erfindung aus dem Geist der Nächs-tenliebe. Das städtische Energieversorgungsunternehmen, das die Lampen installiert, hat nichts davon, es will einfach den Umeånern Gutes tun.
Ob das Ganze was bringt: abwarten. Experten sind eher skeptisch. Professor Ulrich Hegerl, Depressionsspezialist am Uniklinikum Leipzig, sagt: »Das kann sicher nicht schaden. Aber Lichttherapie ist bes-tenfalls eine leichte Unterstützung. Um Therapie und Psychopharmaka kommen die Betroffenen auch mit beleuchteten Bushaltestellen nicht rum.«
Und es gibt ein ganz praktisches Problem: Das, was Therapeuten als »Lichtdusche« bezeichnen, sollte aus medizinischer Sicht bis zu einer Stunde pro Tag dauern. So lang wartet kein Mensch freiwillig auf den Bus. Muss die Verkehrsgesellschaft von Umeå ihre Fahrpläne brutal ausdünnen? Das würde die trüben Schweden erst recht in die Schwermut treiben.
Aber vielleicht geht es den Umeånern sowieso um was ganz anderes. In Deutschland leuchten ja die meisten Bushaltestellen auch – weil überall Plakate hängen. Wenn wir neben einer Unterwäschewerbung auf den Bus warten: schön. Wenn der Spiegel vor unserer Nase mit seinem hundertsten Hitler-Cover wirbt: nicht so schön. Am schönsten wäre es, wenn das Werbegedröhne mal Pause hätte. Gut möglich, dass die Umeåner genau das genießen: kalt, dunkel, der Bus kommt nicht – aber wenigstens keine blöden Media-Markt-Sprüche.
Der Einfluss einer werbefreien Umwelt auf die Psyche ist bisher kaum erforscht. Eines aber ist bekannt: Als typische Zeichen von Winterblues gelten Langschlafen und Naschlust. Da könnten doch eigentlich bei uns die Verkehrsbetriebe Liegesofas und Schokolade bereithalten. Dann wäre ich für eine Stunde Bushaltestelle täglich sofort zu haben.
Foto: Johan Gunseus/synk.nu