Ich habe da diesen gewöhnungsbedürftigen Kumpel an der amerikanischen Ostküste. Wir sitzen sehr gern zusammen am Tresen, und weil wir ja ein großes Stück voneinander entfernt wohnen, müssen wir uns dafür verabreden, was allerdings immer spontan passiert, denn zu ernst zu nehmenden Tresenbekanntschaften gehört ein Mindestmaß an Unverbindlichkeit. Unsere gemeinsamen Stunden fangen meistens mit einem Foto auf dem Mobiltelefon an. Da ist dann ein Glas Wein zu sehen, das auf einem Balkon steht, eine frisch geöffnete Flasche Crémant auf einem Küchentisch oder ein Bier, das durch eine Straße getragen wird. Neulich schickte ich ein verschwommenes Bild aus meiner Stammkneipe, weil vor mir auf der Theke alle möglichen Leute ihre Getränke geparkt hatten, da standen also nicht nur meine Rieslingschorle und zwei Flaschen Pils, sondern auch ein Whiskyglas und irgendein halbvoller Shot. Dazu schrieb ich den etwas dümmlichen, aber der Situation vollkommen angemessenen Satz: Ding, ding, ding, we have a winner here.
Es hätte auch ein schlichtes Hast-du-Zeit gereicht. Wenn nein – kein Problem. Wenn ja – Sekunde! Dann sucht sich jeder ein komfortables Plätzchen, und wir bauen eine Telefonverbindung über den Atlantik auf, gleichzeitig wächst ein Tresen aus dem Ozean, ein sehr großer Tresen, und da setzen wir uns dran und reden. Die ideale Zeit dafür ist Mitternacht in Mitteleuropa, früher Abend in der Neuen Welt. Für mich noch nicht zu spät, um ein weinseliges Gespräch zu führen, für meinen Kumpel nicht zu früh, um 18 Uhr kann man ja ruhig den Hammer fallen lassen und eine Flasche aufmachen. Wir haben uns auch schon viel früher an unseren transatlantischen Tresen gesetzt, aber wenn mein Kumpel ein Tagtrinktelefonat in Betracht ziehen soll, müssen die Konditionen stimmen: 1. Wochenende; 2. schönes Wetter (bei schlechtem Wetter muss man vorsichtig sein, da kann es traurig machen, tagsüber zu trinken); 3. der Rest des Tages darf nichts mehr in der Ziehung haben, was einen klaren Kopf erfordert, zum Beispiel Einkäufe im Balkonpflanzenmarkt oder Abendveranstaltungen mit den klügsten Frauen der Stadt.
Wenn aber alles zusammenpasst, wenn wir uns quasi im perfekten Moment über die Füße gestolpert und in der Kneipe gelandet sind, halten wir den Moment fest. Wir sitzen sehr konzentriert nebeneinander an diesem Tresen, der sich über den Ozean spannt. Wir sind gut darin, unsere Einsamkeiten zu teilen, wieso macht man so einen Quatsch sonst, sich über verschiedene Zeitzonen auf eine gemeinsame Flasche Wein zu verabreden, da muss schon eine gewisse Dringlichkeit im Spiel sein. Aber wie wir von Nebensächlichkeiten ins Eingemachte kommen und zurück in drei Zügen, das ist die hohe Kunst des Tresensitzens, dafür nimmt man ein paar Ungereimtheiten in Kauf. Wie wir auf schnelle Witze tiefe Traurigkeit folgen lassen können und dann wieder ein breites Lächeln, das ist die Art von Dialektik, die dem Leben innewohnen sollte. Wir lesen einander zwischen den Zeilen, und wir halten diese Lücken aus, wenn der andere sich nachschenken muss, warum auch immer – oft geht es in solchen Momenten ja gar nicht darum, dass im Glas das Getränk fehlt, es fehlt etwas anderes.
Sobald wir das Gefühl haben, dass etwas aufgetaucht ist, legen wir auf, und der Tresen verschwindet wieder im Meer.