Hier sitzen sie zusammen, die Leistungsträgerinnen Deutschlands. Es ist München, aber es könnte jeder andere Ort sein. Früher Abend, die Kinder haben zusammen gespielt, jetzt trudeln die Mütter zum Abholen ein. Jede von ihnen kommt locker auf drei bis fünf Jobs; als aufmerksame Mutter, als Hauptverantwortliche für den Haushalt, sie koordinieren den Alltag, planen die Zukunft, arbeiten an einer langjährigen Partnerschaft und gehen dazu noch einer Erwerbsarbeit nach. Ich schenke aus, was der Kühlschrank noch hergibt. Kleine Runde, aber gute Stimmung. Wir stoßen an.
Nur Friedrich Merz ist nicht nach Party. Er mahnt: Die Deutschen arbeiten zu wenig, und die Wirtschaft schwächelt. Es sind die Frauen, die nun vermehrt zur Vollzeitarbeit gebracht werden sollen. Ein paar Stunden mehr die Woche, kann doch nicht so schwer sein. Ist es aber. Jahrzehntelang wurde in Deutschland Politik gemacht, die genau das verhindert. Das Ehegattensplitting belohnt große Gehaltsunterschiede zwischen den Eheleuten. Selbst dann, wenn es keine Kinder in der Ehe gibt. Hervorgegangen ist dieses Splitting nämlich aus der Idee, das arbeitsteilige Paar zu unterstützen. Er geht arbeiten, sie kümmert sich um Haushalt, Garten, Wäsche, Mahlzeiten und gemeinsames Sozialleben. Der damals noch vornehmlich männliche Gesetzgeber drängt sie dazu. Bis 1977 braucht die Ehefrau die Zustimmung ihres Mannes, wenn sie arbeiten gehen möchte. Bis 1977 ist sie in der Ehe ohne Murren zum Sex verpflichtet. Am deutschen Recht kann man ablesen, woher wir kommen: Frauen waren keine Arbeitskraft, sie sollten sicherstellen, dass die Arbeitskraft genug isst, gut schläft, sauber wohnt und zu Geschlechtsverkehr kommt. Der Staat förderte diese Rollenverteilung mit viel Geld. So. Darauf noch mal Nachgießen. Die anderen Mütter sind weg. Natürlich ist das inzwischen anders. Frauen dürfen alles. Emanzipiert von dem Rollenmuster haben sich de facto die wenigsten. 67 Prozent der Mütter arbeiten in Teilzeit, dagegen nur neun Prozent der Väter. Frauen ohne Kinder arbeiten zu 39 Prozent in Teilzeit, dagegen 16 Prozent der Männer.
Sollte es nun eine Regierung für notwendig halten, mehr Menschen in Erwerbsarbeit zu bekommen und dabei vor allem die Frauen im Blick haben, ist das ein Paradigmenwechsel. Für viele Menschen würde eine 40-Stunden-Woche der Frau das komplette Leben ändern. Denn die Aufgaben zu Hause und das soziale Leben müssten neu organisiert werden. Das bedeutete für Männer mehr Arbeit. Und wo Sorgezeit wegfällt, wird sie nicht nur den Kindern entzogen, sondern auch dem Mann. In den vergangenen Jahrzehnten hat es sich durchgesetzt, von »Care-Arbeit« für Kinder zu sprechen, aber was immer noch ein Tabu ist: jene Zeit, die weniger arbeitende Frauen ihren voll berufstätigen Männern widmen, der Unterstützung seiner Arbeit, dem Sich-Kümmern um sein Wohlbefinden, ja auch dem Erhalt der romantischen Beziehung – weil Familienfrieden und die Finanzierung davon abhängen. Viele Männer erleben in der Ehe immer noch eine Komfortbehandlung. Auch diese Zuwendung würde leiden. Wir reden hier also über nichts weniger als veränderte Beziehungsdynamiken, neue Familienstrukturen, ungeklärte Machtverhältnisse, kurz: eine mögliche Gesellschaftsumwälzung. Das Splitting abzuschaffen und eine gute Kinderbetreuung aufzusetzen, wären dagegen dann beinahe lächerlich einfach.
Aber wo ist denn die große Kanzlerrede, die nicht nur flapsig Müttern mehr Arbeitsstunden für das Bruttosozialprodukt abnötigt, sondern auch Vätern mehr Verantwortung im Privaten? Wer adressiert die gesellschaftlichen Vorurteile gegenüber gleichberechtigten Paaren, wer skizziert die kollektive emotionale Reifung, die nötig ist? Beziehungen müssten resilienter werden, viele Frauen realistischer, viele Männer endlich erwachsen. Flasche leer.