Studiendirektoren lieben diesen Satz: »Im Herbst noch mal für eine Woche ans Mittelmeer, ein bisschen Sonne tanken, und dann ist auch nicht mehr so viel los.« Mit Blick auf das graue Durcheinander zum Jahresende verfing dieser Satz bei mir sofort, und so machte ich mich im Oktober auf den Weg zu einer griechischen Insel und sollte dort eine vorgezogene Antwort auf meine alljährliche Silvesterfrage finden, was das eigentlich für ein Jahr war.
Als ich auf der Insel ankam, stellte ich fest, dass der Ort, an dem ich gelandet war, zwei Teile hatte – im Norden soffen im Sommer die Briten, im Süden lag die griechische Idylle, kleine Tavernen und eine Schildkröteninsel. Mein Hotel lag genau in der Mitte, gleich ums Eck der Hauptschnapsstraße mit unzähligen Leuchtreklamen, Alkoholständen und Oben-ohne-Bars, die Straße nenne ich der Einfachheit halber »The Strip«. Der Strip war verrammelt, die Saison der saufenden Briten vorbei. Die Tavernen auf der Südseite hatten schon die Zugbrücken hochgeklappt, am nächsten Tag begriff ich, warum: Ende der Saison, und ich war in einer Woche voller Gewitter und Sturm gelandet, lediglich der Ankunftstag hatte mir etwas goldenes Oktoberlicht vorgegaukelt. Das Einzige, was an Gastronomie noch geöffnet hatte, waren eine freundliche Bar mit gutem Essen gleich neben dem Hotel, ein hübsches Kafenion sowie Saalrestaurants, die ihre Speisekarten dem britischen Publikum angepasst hatten. Die griechische Bevölkerung hatte bereits absolut verdient die Füße hochgelegt.
Also schwamm ich morgens und abends bei Nieselregen oder Landregen in der Bucht, kaufte mir einen Fischerhut für zwei Euro, ging viel spazieren und in der kleinen Bar Salat und gegrillten Fisch essen. Aus den Lautsprechern des Lokals schallte rund um die Uhr ein Barde aus Thessaloniki, Paschalis Terzis, mindestens einmal die Stunde lief sein Hit Zito ta Paraloga, sinngemäß: »Es lebe das Absurde«. Ich verbrachte viel Zeit mit Paschalis Terzis und der Gastronomenfamilie im Neonlicht, weil es teilweise so heftig regnete, dass sogar Spaziergänge unmöglich waren. Es war, als sei ich in einem dieser Internet-Backrooms gelandet, im viel zu hell ausgeleuchteten Hinterzimmer meines Lebens.
Doch während eines Regenpausenspaziergangs entdeckte ich etwas Gewaltiges und Allumfassendes, die profane Antwort auf eine große Frage – ein vom Sturm halb abgerissenes Schild an einer der Spirituosenbaracken auf dem Strip, das Schild zeigte zwei Plastikbecher, randvoll mit bunter Flüssigkeit, gleichzeitig schrie mich das Wort HEADFUCKER an, ein Drink, der im Vereinigten Königreich in ähnlicher Zusammensetzung als »Dirty Pint« existiert, und im Pub früher gern zum 18. Geburtstag gereicht wurde, zusammengeschüttet aus fast allen Spirituosen des obersten Schnapsregals, also den ganz harten Sachen: Triple Sec, Absinth, Gin, Wodka, Tequila, Rum, Malibu und Pfirsichschnaps. Der Headfucker, der vermutlich auf Korfu erfunden wurde, wird dann mit Energy Drink und Sprite aufgegossen, so was kann kein Mensch trinken. Auf dem Strip lag direkt neben der Headfucker-Reklame eine medizinische Notfallstation, die Behandlung bei Dehydrierung, Kater, Sonnenbrand und Hitzschlag anbot. Was ich an den Griechen seit jeher bewundere, ist ihr eisenharter Pragmatismus.
Ich stellte mir sofort Dinge vor. Wie die Faktencheckerinnen dieses Magazins mir schreiben – »Simone, wo hast du den verdammten Headfucker her?« Wie ich in einer schicken Hamburger Bar Drinks bestelle – »Noch zwei Headfucker, bitte.« Wie in einer Berliner Kabinettssitzung angesichts eines Streits Doro Bär zu Lars Klingbeil sagt – okay, lassen wir das. Es lebe das Absurde.

