Neulich auf einem Balkon im tiefen Westen, am frühen Abend im melancholischen Licht der sich langsam verabschiedenden Sonne, war mir nach einem leichtfüßigen Getränk, das aber doch in der Lage sein sollte, eine gewisse Wirkung zu zeigen, denn der Tag war anspruchsvoll gewesen. Noch vor zehn Jahren hätte ich in so einer Situation zu Gin Tonic gegriffen, aber seit einiger Zeit habe ich Probleme mit der geradlinigen Härte dieses Drinks. Früher habe ich genau jene Geradlinigkeit zu schätzen gewusst, denn ich bin nicht nur eine Frau der klaren, kantigen Getränke, sondern auch der klaren, kantigen Worte, ich will ehrlich sein: Die Menschen in meiner Umgebung kennen mich als eine verdammte Fluchpumpe.
Laut und ausführlich zu schimpfen scheint eine generelle Schwäche der Frauen in meiner Familie zu sein. Schon meine Großmutter fand, es sei nichts dabei, »SCHEISS DIE WAND AN« zu brüllen, wenn etwas im Garten schieflief, meine Mutter hat mir den Großteil der Flüche beigebracht, die ich kenne, und ich schätze, sie wird sie wiederum von ihrer Mutter gelernt haben. Ich selbst habe, als mein Sohn klein war und anfing, schlimme Wörter auszuprobieren, natürlich ordnungsgemäß ein Schraubglas in der Küche aufgestellt, in das alle Familienmitglieder Geld werfen mussten, wenn sie zu heftig geflucht hatten, die Erwachsenen einen Euro, das Kind zehn Cent. Das Glas hieß »Ich-darf-nicht-ARSCHLOCH-sagen-Kasse«, und jetzt können alle mal raten, wer die Kasse vollgemacht hat – Mama.
Ich habe die Geldstrafe demnach bald durch eine neue Regel ersetzt: Mein Sohn musste Schimpfwörter und Flüche rufen, die so gut waren, dass ich sie zwangsläufig erlauben musste, aber wenn sie zu gut waren, habe ich sie annektiert, er durfte sie nicht mehr benutzen und sah sich gezwungen, neue, wohltemperierte Sprachgewalt zu erfinden. Es war ein lustiges Spiel, ich weiß noch, wie der vielleicht Fünfjährige mal auf dem Spielplatz an der Matschmaschine und vor einem anderen Jungen stand, der ihn nicht an den Wasserhahn für den Sandmatsch ließ und ihn deshalb verständlicherweise sehr wütend machte. Mein Sohn schielte in meine Richtung, biss sich tapfer auf die Unterlippe, um dem Jungen dann irgendwann »Halt du doch die … Halt die … TÜTEN« entgegenzuschleudern.
Ich lobte ihn mit »Jawoll, MOTHERFUCKER«.
Seit ich über fünfzig bin, versuche ich, meine Ausdrucksweise zu mäßigen. Außerdem ist gewaltfreie Kommunikation in Mode gekommen, man darf ja gar nichts mehr sagen (!!!), gerade wenn Grundschullehrerinnen in der Nähe sind oder das achtsame Internet zuhört. Ich fluche nur noch, wenn ich in sehr vertrauensvoller Gesellschaft bin, wenn etwa meine Freundin Anne zu Besuch ist, eine Tochter des Ruhrgebiets, die so herrlich schmutzige Redewendungen kennt, dass schon der Gedanke an ihren Sprachschatz mein Gehirn entspannt.
Aufpassen muss ich nur, wenn ich Alkohol getrunken habe. Und gerade der erwähnte Gin Tonic wirft mich zurück in meine schottische Zeit, in der ich viel an den Theken von Glasgow stand, natürlich in Gegenwart von Schotten, die gleichzeitig irre höflich und zu härtesten Ausbrüchen fähig sind. Erst vor Kurzem traf ich einen rundum eleganten schottischen Kollegen in der Bretagne, der den sich zurückziehenden Atlantik, in dem wir eigentlich baden wollten, mit »Off you FUCK« bedachte, ich, derartig angestiftet, warf dem Meer »Du HACKFRESSE« hinterher.
Und so entscheide ich mich in der Abendsonne des westlichen Balkons doch besser für Porto Tonico, die leichte, gewaltfreie Highball-Variante – vier Zentiliter weißer Portwein auf Eis mit Tonic Water und Orangenzeste –, um mir damit, genau, gründlich den Mund auszuwaschen.

