Wäre ich in die Toskana gefahren, hätte ich ihn nie kennengelernt. Ich hätte wieder nur eine charmante Trattoria an der Ecke gesucht und irgendwann gefunden, hätte mich zwischen Vereinswimpeln und vergilbten Fotos lässiger gefühlt als ich eigentlich bin, wäre heimlich stolz darauf gewesen, dass das inzwischen geht, ein paar Nudeln und ein Tiramisu so selbstverständlich auf Italienisch zu bestellen, dass der Wirt einen nicht mehr für einen Touristen hält. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte ich irgendwann gesagt oder gedacht, dass man das viel öfter machen müsste, mittags losfahren, abends auf der Piazza sitzen, ziemlich sicher hätte ich ein Glas Rotwein getrunken, Chianti oder Primitivo, auch da kennt man sich nach so vielen Jahren aus, was den Vorteil hat, dass man nie enttäuscht wird, das typisch deutsche Italiengefühl stellt sich verlässlich ein.
Nun ist es aber auch ein bisschen langweilig, immer schon im Voraus zu wissen, was einen hinterher erwartet, und deswegen war ich ein paar Tage im Burgenland, also in dem Teil von Österreich, den man nicht so auf dem Schirm hat, was man schon daran erkennen kann, dass auf den Straßenschildern ungarische Städte angezeigt werden. Einmal saß ich mit Einheimischen zusammen, und eigentlich war der Abend vorbei, das letzte Glas getrunken, als die Frage aufkam, ob man noch auf einen Uhudler rüber in die Eckkneipe gehen wolle. Es war der Moment, in dem ich dringend zurück ins Hotel wollte, zur Not hätte ich sogar eine dieser Talkshows geschaut, weil: Uhudler, das klang nach einem derben, in einer düsteren Scheune zusammengepanschten Schnaps, auf den ein paar Burgenländer schwören, weil er schon ihren Urahnen Trost in schweren Zeiten gespendet hat, nach einem Gebräu, das es vollkommen zu Recht nie über die Grenzen des Burgenlands hinaus geschafft hat. Selbstverständlich saß ich zehn Minuten später vor einem Glas und ließ mir den Uhudler von mehreren Burgenländern gleichzeitig erklären, am Ende bekam ich eine Flasche geschenkt, und weil ich davon ausgehe, dass auch Sie eher selten im Burgenland sind, gebe ich alles, was ich an diesem Abend gelernt habe, an Sie weiter, weil: Der Uhudler ist gar kein Schnaps, sondern ein Wein, und schmeckt richtig gut.
Der Uhudler blickt auf eine bewegte Geschichte zurück: Eine Zeitlang wurde ihm eine gesundheitsschädliche Wirkung nachgesagt, auch wurde er lange »Rabiatperle« genannt, weil er besonders aggressiv machen soll. Noch in den Achtzigerjahren war er mitunter sogar verboten, weil er – aus nicht veredelten Rebstöcken erzeugt – als »Haustrunk«, also lediglich als »nachgemachter Wein« galt. Vor allem im Südburgenland wurden damals Tausende Liter Uhudler von eigens eingesetzten Kellereiinspektoren ausgeleert und vernichtet. Erst seit Mitte der Neunzigerjahre und nachdem sich mehrere rebellische Weinbauern einen jahrelangen Kampf mit den Behörden geliefert hatten, darf der Wein offiziell in 25 burgenländischen Gemeinden angebaut und verkauft werden.
»Der erste Schluck entscheidet«, meinte ein älterer Herr, »entweder man liebt oder man hasst ihn.« Und obwohl ich nicht von Liebe sprechen würde, kann ich guten Gewissens sagen, dass ich froh bin, ihn kennengelernt zu haben, weil ich noch nie etwas Vergleichbares getrunken hatte. Ich schmeckte Waldbeeren, Johannisbeeren, Himbeeren, vor allem aber eine herbe, deftige Säure, ungewohnt, aber reizvoll. Im Übrigen gibt es mehrere Vermutungen, warum der Uhudler so heißt, wie er heißt. Meine liebste: Früher seien Winzer, die zu viel von ihrem eigenen Wein erwischt hatten, von ihren Frauen wegen ihrer riesigen Augenringe mit einem Uhu verglichen worden.