Schenket ein!

Jeder hat so seine Methoden, lästige Pflichten angenehmer zu gestalten. Beim Aufräumen stellt sich unser Autor vor, im Mittelalter zu sein. Und da darf ein großes Horn Honigwein nicht fehlen.

Foto: Erli Grünzweil

Manchmal wache ich morgens mit dem Gedanken auf: Heute wird der beste Tag meines Lebens! Dann gehe ich aus dem Schlafzimmer und denke: Tja, das wird’s nicht. Ich stapfe in der Wohnung durch einen Sumpf aus Staub und Krümeln, kämpfe mich durch Hügel von Geschirr und Wäsche und trete zum Abschluss auf ein Stück altes Brot, das mir mal runtergefallen und seitdem wohl versteinert ist. Der Schmerz treibt mir Tränen in die Augen und die Erkenntnis ins Hirn: Ich muss aufräumen. Und wieder mal ins Mittelalter flüchten.

Jeder hat seine Tricks, um unangenehme Aufgaben angenehmer zu machen. Ich höre Musik bei der Hausarbeit, wobei ich lange nach der besten gesucht habe. Pop ist mir zu sehr Druckbetankung, Metal gibt mir das Gefühl, ich sollte meinen Müll anzünden. Ich habe es mit Filmmusik aus Der Herr der Ringe probiert, fand den todesmutigen Ritt der Rohirrim aber doch etwas zu dramatisch zum Staubsaugen. So landete ich eines nachts bei Tavernenmusik. Ich weiß nicht, wieso ausgerechnet diese Musik mir das Aufräumen so erträglich macht. Aber mit jedem Lied schwindet mein Widerwille. Meine Bleibe wandelt sich zu einer Schenke, und ich wandle mich zu ihrem Wirt, ich wische Eichentische statt Bücherregale, schrubbe Holzteller statt Porzellan, schenke Met aus statt Blumenwasser, drehe Spieße mit Wildschweinen – und auch ein wenig meine Wenigkeit.

Also weise ich wieder einmal, um die Glieder anzuspornen wie einen müden Gaul, meine Klangbox an, Musik aus dem dunkelsten aller Zeitalter zu spielen. Schnell ziehen die Töne von Flöten und Lauten durch den Raum, die Melodien bekannter Spielleute nachahmend. Da! Lauschet dem Lied aus der Feder von Meister 50 Heller, der im Original einen Naschmarkt der Versuchung besingt, in welchem er Süßigkeiten feilbietet (oder, je nach Auslegung, einer holden Maid nachstellt, der alte Lustmolch). Oder der Silbenreigen der Bardin Britannia von Speers, die – oh weh! – es schon wieder getan habe (nämlich erneut das Herzchen eines verliebten Jünglings zerdrückt wie eine Pastete).

Meistgelesen diese Woche:

Viel Kram bleibt liegen, wohl wahr. Doch geißelt mich nicht zu vorschnell! Vor einiger Zeit hieß es, dass selbst ihre allerdurch-lauchteste Sauberheit Marie Kondo mit dem Fundament ihrer Macht wankte. Seit jeher sind nur wenige Dinge im Leben gewiss: der Tod, das Altern und die Frage, ob man beim Aufräumen schon die Marie-Kondo-Methode ausprobiert hat. Irgendwo lauert immer ein Halunke im Schatten, geduldig wie der Sensenmann, um unsereins zu löchern: Does it spark joy? Macht es Sie glücklich, diesen Tupperbehälter in Bananenform in den Händen zu halten? Diese alten Socken oder jene Kutte mit der Aufschrift »Bier formte diesen schönen Körper«? Nein? Dann weg damit! Nun gestand Marie Kondo vor ein paar Jahren, dass mit dem dritten Sprössling auch das Chaos einzog. Die Königin der Ordnung versank in Unordnung. Doch gemach, es wäre nicht Marie Kondo, wenn sie diesen Spieß nicht umdrehen könnte. Statt Ordnung im Äußeren suche sie nun nach Ordnung im Inneren. Sollen die Bälger doch das Wohnzimmer demolieren – innerer Friede!

Ich frage meine Holde, ob ich nicht auch lieber nach jener Ordnung im Inneren suchen dürfe. Doch sie droht mir sogleich mit der Eichenholzkeule. Vielleicht liegt es am Mangel an Sprösslingen, die als Wurzeln der Unordnung herhalten könnten. So bleibt mir nichts übrig, als mich auf die Reise nach Reinheit zu begeben, die Klänge der Minnesängerin Shakira von Kolumbien im Ohr, jene magischen Lenden besingend, die jeder Lüge gefeit sind, und zu hoffen, mein Dienst werde zum Ende des Tages meine Liebste gnädig stimmen.