Meine Lieblingsgöttinnen: Sedna, die Meeresgöttin der Inuit, die genau genommen nur Fischfangquoten verteilt, und wer versucht, an ihren Deals zu rütteln, bekommt einen saftigen Sturm aufgetischt. Tiamat, die babylonische Göttin des Salzwassers, sie trägt Drachenköpfe im Haar und blutet die ganze Zeit ins Wasser, einfach weil sie es kann. Lí Ban, die keltische Schutzgöttin der heiligen Quellen, halb Frau, halb Lachs. Mami Wata, afrikanisch-karibische Wassergottheit, kann Leben spenden und zerstören und hantiert gern mit Schlangen. Nereiden, die Nymphen der Meere, sie beschützen die Seeleute und reiten auf Delfinen. Vellamo, die finnische Göttin der Seen und der Meere, im Morgendunst bringt sie ihre Kühe zum Algengrasen an die Wasseroberfläche. Ak Ana, die weiße Mutter, eine Art Queen of fucking everything. Acionna, schönste Quelle aus der Region von Orléans, aber es gibt auch eine gleichnamige Luxusyacht. Namaka, Hawaiianerin, sie trägt ein Kleid aus Wasser, allein das muss man sich mal vorstellen. Thalassa, die düstere Version der Aphrodite. Kópakonan, eine Selkie von den Färöern. Rusalken, die unruhigen Geister früh verstorbener Frauen, sie leben in stehenden Gewässern, junge, naive Männer sollten sich da lieber fernhalten. Und natürlich Skylla, das traurige, laute und immer wütende Seeungeheuer, eine Art göttlicher Haftbefehl.
Die ultimative Göttin, die all diese Göttinnen in sich vereint, ist die Barfrau. Sie herrscht über die Wetterlage im Raum, sie verteilt die Flüssigkeiten, sie entscheidet über Leben (bleiben) und Tod (gehen), und sie ist üblicherweise anbetungswürdig. Um das zu illustrieren, möchte ich die Barfrauen feiern, die mir so begegnet sind – die kleine, zarte Boxerin aus meiner Stammkneipe, die inzwischen Anwältin ist, zu Beginn ihrer Karriere hat sie sich um Menschenrechte gekümmert, heute vertritt sie Prostituierte auf dem Kiez, und wenn sie es wollte, tanzten wir alle auf dem Tresen, bis es hell wurde. Ihre würdige Nachfolgerin hinter genau diesem Tresen, fünfzehn Jahre später, ist eine zierliche Wienerin, die oft goldene Shirts trägt, ihre Wärme strahlt aus einer mehr als hundert Jahre alten Seele. Dann die nicht mehr ganz junge Barchefin meines Lieblingsrestaurants, kurze Haare, durchtrainierte Oberarme, glitzernder Ohrschmuck, schimmernde Strömung aus Charme.
All die tätowierten Wahnsinnsweiber mit ihren schillernden Pferdeschwänzen in der Matriarchats-Cocktailbar, die zwei Cocktails gleichzeitig schütteln und mit einem einzigen Lächeln einen Seemann erschüttern können. Die coole Uma-Thurman-Mia-Wallace-Lookalike aus der alten, leider irgendwann abgebrannten Spelunke. Die Chefinnen an Bord des Schiffs, das ich im vorigen November zum zweiten Mal nehmen musste, die ungelogen die schönsten Gestaltwandlerinnen der Welt sind – oder sie haben einfach in unglaublichem Tempo die Schichten getauscht, ungefähr alle sieben Minuten.
Ich huldige den Göttinnen, meinen ehemaligen Kolleginnen, indem ich versuche, sie in ihrer Arbeit zu unterstützen, so gut ich kann, von der anderen Seite der Theke aus: Ich gebe unnormal viel Trinkgeld, ich halte meinen Platz sauber, und im Zweifel ziehe ich sogar die Aufmerksamkeit lästiger Typen auf mich, aber parallel rufe ich Skylla und die Rusalken an, entweder per Telefon oder per Séance.