Es gab Zeiten, das mag so zehn Jahre her sein, da war es modern, Verwandte zu besonderen Anlässen mit der eigenen Waghalsigkeit zu überraschen. Man deckte ganz konventionell den Tisch ein, Stoffserviette, Messerbänkchen, Gläsertrio, und servierte ein Wildgericht, aber mit – Achtung! – Schokoladensoße. Zwei Stunden später und nach einer Runde Schnaps einigten sich alle darauf, dass es gut war, so was einmal ausprobiert zu haben. Mit Betonung auf einmal.
Natürlich blieb es nicht dabei. Zutaten aus alten Geschmackszusammenhängen zu nehmen und in neue zu setzen, ist – um das festzustellen, muss man nicht Slavoj Žižek sein – eine logische Konsequenz der Globalisierung. Erst wagte man sich in die Restaurants mit ausländischer Küche: griechisch, türkisch, italienisch, mexikanisch, afghanisch. Dann gab es die Zutaten zu den inzwischen vertrauten Gerichten im Supermarkt: etwa Kreuzkümmel im Drehspender, Büffelmozzarella im verschweißten Tütchen, Tortillas zum Aufbacken, Oliven entkernt. Und im dritten Schritt fühlte man sich firm genug, um die Dinge neu zu mischen.
Das erfolgreichste saisonale Getränk bei Starbuck’s ist der Pumpkin Spice Latte, ein Kürbis-Gewürz-Milchkaffee. Einige Leute rauchen auch Spekulatiusgeschmack in ihrer Dampfzigarette. Eine Firma aus Hückelhoven hat einen Energydrink mit Currywurst-Flavour erfunden. Aber manches gibt es ja nur, damit sich Menschen in kulinarischen oder politischen Kolumnen darüber aufregen. Daher lassen wir das.
Das Getränk, um das es heute gehen soll, ist auch etwas, das in der Anlage so klingt, als hätte man die Zutaten nicht zwingend zusammenbringen müssen. Ein Globalisierungsopfer sozusagen. Aber erstens schmeckt es nicht so, und zweitens ist es eine europäische Lösung, die wird ja eh derzeit dringend gesucht.
Den Gimlet kann man auch dann trinken, wenn man auf alle anderen Faktoren, die er mit seiner Peergroup, den Cocktails, teilt, gerade keine Lust hat. Er schmeckt nicht so alkoholisch und nicht so schwer, es wurden keine dickflüssigen tropischen Fruchtsäfte reingekippt, er wird nicht mit Puderzucker bestreut und nicht in Halbliter-Kupferbechern kredenzt. Im Grunde ist er wie eine Zitronentarte, die mit den anderen Kuchen in der Auslage ja auch nur peripher zu tun hat. Frisch, säuerlich, klar.
Lavendel, Englisch: lavender, ist eher nicht so frisch. Wer Lavendel riecht, befindet sich in der Nähe seines Winterkleiderschranks, sitzt bei der Gesichtsbehandlung oder steht in der Parfümerie in der falschen Ecke. Es ist eine sehr komplexe Note, was sich am eigenen Leib gerne mit Kopfweh äußert, aber natürlich sehr viel genauer zu erklären ist. Nämlich durch die Verbindung der Inhaltsstoffe Linalylacetat und Linalool.
Betrinkt man sich nun also mit ätherischen Ölen? Ist das nicht wie Seife lutschen? Wie mit hohen Schuhen und freien Schultern an der Bar sitzen und etwas bestellen, das gut für die Gallenfunktion ist und Blähungen mindert? Sie ahnen die Antwort nach all den Worten. Ja!
Die Zutaten, die hier zusammenkommen, gehören auf wundersame Weise auch zusammen. Träger ist der Gimlet, erfunden Ende des 19. Jahrhunderts, damals noch mehr Medizin als Drink. Dazu diese überkomplexe Riechpflanze, die sonst auf Gästetoiletten in Porzellanschälchen liegt. Und dann schmeckt das Getränk wie eine englische Zitronentarte auf einer Terrasse in der Provence. Europäisch, aber nicht überfrachtet. Ganz und gar mühelos.