Bier zur Bomberjacke

Erstaunlich oft passt das Outfit unserer Kolumnistin exakt zum Inhalt ihrer Glases – etwa, wenn sie in korallfarbenem Kleid Rosé trinkt. Woher nur kommt diese Co-Abhängigkeit?

Foto: Maurizio Di Iorio

Zum ersten Mal fiel es mir auf, als ich zwölf Jahre alt war und mit meinen Eltern eine Woche Sommerferien am ­Gardasee verbrachte. Zuvor hatte ich eine Woche lang das durchgehalten, was meine Mutter einen »Kultururlaub« nannte – eine Tour de Force durch alle Klöster und Schlösser Bayerns, auf der permanenten Suche nach Barockarchitektur und Deckenfresken. Ich war also in einem ziemlich gemischten Geisteszustand zwischen gefühlter Repression und plötzlicher Freiheit, zwischen Kindheit und Entwicklungsjahren. Am Ufer des Sees, gleich vor den Toren unserer Pension, stand jeden Morgen ein Orangenhändler. Der Mann mittleren Alters ballerte unzählige Kommentare zu meinem sich verändernden Körper raus, meistens in Richtung meines Vaters: »Ah, das Kind, in zwanzig Jahren Sophia Loren!«, oder einfach nur: »Oh, là, là!« Er präsentierte das mit der entsprechenden Gestik, die womöglich meine noch nicht vorhandenen Brüste und meinen schon sehr vorhandenen Po beschreiben sollte.

Mein Vater ließ das gelassen abtropfen. Ich verachtete den Orangenverkäufer auf eine schüchterne Teenager-Art.

Und eines Morgens stach mich der Hafer. Ich lief ganz allein raus zu dem Orangenstand und verlangte, mir der Symbolik dieser Handlung gar nicht bewusst, nach einem großen Becher frisch gepressten Orangensafts, begleitet von den höchst irritierenden Blicken des Händlers, die mich aber merkwürdigerweise gar nicht störten.

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Grüne Bomberjacke, Schlangenlederstiefel, Flasche Bier in der Hand

Als ich dann im Garten der Pension auf einer Hollywoodschaukel saß und meinen Saft trank, bemerkte ich, dass mein Kleid groß­flächig mit Orangen bedruckt war.

Wenn ich die seitdem ins Land gegangenen Jahre Revue passieren lasse, muss ich anerkennen: Es ist nicht nur so, dass ich nur irgendwie ganz gern passend zu meiner Kleidung trinke, nein, ich bin offensichtlich dazu gezwungen. Keine Ahnung, wo ich mir diesen Riss in der Matrix geholt habe. Ist aber auch egal, ist ja nicht schlimm, und vielleicht dient es sowieso nur dem Amüsement der Leserinnen und Leser dieses Textes, dass ich das jetzt hier mal öffentlich mache.

So ist es etwa mein Schönstes, im Sommer in meinem Lieblingsrestaurant auf der Gehwegterrasse zu sitzen, den pinken franzö­sischen Rosé zu trinken und dazu das korallenfarbene Halterneckkleid zu tragen. Schwarze, existenzialistische Rollkragenpullover wiederum ziehe ich nur deshalb nicht an, weil ich Rotwein überhaupt nicht abkann.

Als ich vor ein paar Wochen mit einer Nachbarin, die ich noch nie gesehen hatte, am Tresen ­verabredet war, gab ich vorher folgende Beschreibung von mir durch: grüne Bomberjacke, Schlangenlederstiefel, Flasche Bier in der Hand. Tatsächlich trug ich dann aber einen hellbraunen Mantel und goldene Stiefeletten, und da musste ich eben erst mal um ein Glas Weißwein bitten. Bier passte so gar nicht.

Interessant ist vielleicht, dass ich hin und wieder in der Lage bin, meinen Käfig zu verlassen. In letzter Zeit verbringe ich den einen oder anderen Morgen im Schwimmbad, ich trainiere das ausdauernde Bahnenziehen, weil ich bald was in dieser Sache vorhabe. Üblicherweise begebe ich mich ausschließlich in blauen Bade­­an­zügen ins Becken, weil man beim Schwimmen ja auch mal einen guten Mundvoll Wasser schluckt. Aber neulich, an einem Samstag, kraulte ich in meinem Leopardenbikini.

Der Freistilfrevel fühlte sich heiß an.