Ich erinnere mich noch gut an den zweiten Sommer mit Kind. Der erste war mit Staunen verbracht worden. War doch alles so neu und süß und anders. Im zweiten Jahr sollte Urlaub gemacht werden. Wir fuhren nach Italien, ans Meer, Steilküste, Cinque Terre, eng, überlaufen und verwinkelt, oft kam man mit dem Auto nicht bis in den Ort oder ans Wasser. Malerisch bekam eine neue Bedeutung, nämlich abgelegen, ungesichert und unerschlossen von der feuchte-Tücher-Industrie. Alles war anders: Spontaneität war abgesagt. Alles musste um Essen, Schlaf und Kaka herum organisiert werden. Wir kamen aus dem Urlaub zurück mit einer Schramme im Auto, drei Mal Sonnenbrand und völlig k. o. Ein Knöllchen kam noch hinterher. Das sollte also jetzt der Reisespaß sein? Der Gedanke, auf dem ich hängen blieb: Urlaub mit Kind ist kein richtiger Urlaub, es ist ein Kompromiss im Ausland.
Diesen Sommer wurde das anders. Und ich bin aus den großen Ferien zurück mit dem Gefühl, wirklich etwas mit meinem Kind geteilt zu haben. Dabei war gar nicht so viel anders als vorher, nur eine Kleinigkeit hatte sich geändert: Mein Kind hatte ein Handy mit.
Es sollte mich erreichen können, wenn wir uns in der Großstadt verlören, wenn es Fernsehen guckte auf dem Zimmer, während ich im Gym war, wenn wir am Bahnhof unglücklich getrennt würden. Aber es bewirkte etwas anderes: Gleich am ersten Abend saß ich einem vorpubertären Wesen gegenüber, das auf der Piazza hinter der Pizza sitzend nur auf das Gerät starrte. Und ich war nicht bereit, dieses Geschöpf vier Jahre früher als geplant aus meinen Fängen zu entlassen. Also gab ich eine Handyregel aus: eine Stunde am Tag, morgens im Bett, oder abends im Bett. Gegenfrage: Gilt das für uns beide? Ich: Natürlich! Dadurch wurde alles anders.
Ich bin keine Technikfeindin, ich glaube nicht, dass Handys Kinder bekloppt machen. Aber vielleicht Mütter. Wir waren zu zweit. Man konnte nicht in einer Gruppe untertauchen, aber auch niemanden sonst für die Dynamik verantwortlich machen. Wie es uns ging, das war unsere Aufgabe. Es ging uns gut. Kein Handy dämpfte unseren Elan, keine Gefahr, sich von einer Mail ärgern zu lassen, keine Ablenkung. Und dann diese Befriedigung am Abend, was man an einem Tag alles sehen, lernen, lesen kann. Aber auch die Befriedigung am Tag, bei all den Dingen wirklich da zu sein. Wie viel weniger man braucht, wenn man nicht den ganzen Tag Möglichkeiten durchscrollt. Wie viel Zufriedenheit sich einstellt, wenn man sich die Reize einfach nicht reinzieht. Ergebnis: wenig Streit, echtes Zuhören, so vieles richtig sehen, guter Schlaf, Santino statt Spritz, mehr Ruhe, kein Geschrei, ausgeglichenes Kind, keine Wut, mehr freundlichen Kontakt mit anderen Leuten, fast kein Aufregen. Abends diese echte knochentiefe Müdigkeit, nicht bloß Erschöpfung, Unzufriedenheit und Gedankenrasen.
Natürlich waren nie Kinder das Problem. Sondern die Idee, man müsse im Urlaub von seinem Leben erlöst werden. Die Vorstellung, man könnte dort acht Stunden am Tag in Ruhe aufs Handy gucken und davon auch noch glücklich werden. Und der Wunsch, die Überlastung löse sich auf magische Weise ausgerechnet in den sechs Wochen im Sommer einfach auf. Genau wie im Alltag sind Kinder nicht das Problem, sondern die Welt, wie sie designt wurde. Zwei Menschen, die in der Woche jeweils 30 oder 40 Stunden arbeiten gehen, eine Wohnung putzen müssen, einkaufen und kochen, können kein Kind erziehen und auch noch ein erfülltes Leben führen. Es geht nicht. Und nur weil es alle trotzdem probieren, wird es nicht machbarer. Und weil es nicht geht, fühlt sich Urlaub manchmal so an, als nähme man all den Irrsinn mit ins Ausland, um mal woanders zu scheitern. Aber der Irrsinn wohnt zu Hause.