Keine Ahnung, was mich geritten hat, aber zu meiner Verteidigung kann ich anführen, dass ich in Tirol war. Ich bin sehr gern in Tirol. Die Tiroler Bevölkerung ist nach meinem Geschmack – revolutionäre Auf-den-Berg-Kraxler. Und ich bin fasziniert von der Landschaft. Tritt man vor die Tür, rennt man gegen den nächsten Berg. Leider stachelt mich das alles immer irgendwie an, und infolgedessen kommt es regelmäßig zu meinen inzwischen berüchtigten Tirol-totalausfällen.
Mal trank ich viel zu viele komplizierte Wodka-Shots, mal kredenzte mir ein Fernseh-intendant zu Räubergeschichten aus den Unabhängigkeitskämpfen dunkle Kräuterschnäpse, von denen man angeblich mindestens drei trinken musste, damit sie ihre Heilkräfte gegen Husten entfalten konnten, mal tanzten wir bis zum Morgengrauen in der ältesten Buchhandlung Tirols, die Bierflaschen standen überall zwischen den Büchern herum.
Als ich neulich wieder mal da war, an einem überraschend warmen Frühlingswochenende, erzählte ich beim Abendessen auf einer Innsbrucker Innenstadt-Terrasse, dass ein Lieblingsdrink von Ernest Hemingway »Death in the Afternoon« gewesen sein soll, ein Drink so brachial wie die blutigen spanischen Stierkämpfe, die er sich reinzog.
Was das für ein Getränk sei, wurde ich gefragt. Absinth mit Champagner, sagte ich, und es wäre ja schon mal interessant, das zu probieren, aber wo kriegt man so was denn heute noch, Absinth?
Der schönste, klügste und pragmatischste Buchhändler der Alpen stand auf, verschwand unerkannt in den verwinkelten Gassen der Stadt, und zehn Minuten später kam er mit einer Halbliterflasche Absinth der Marke »Mata Hari« zurück sowie einer Flasche Schaumwein.
»ROBERT«, sagte ich, er lächelte interessiert.
Nun, das Zeug war da, ich mixte die Drinks. Ich agierte betont vorsichtig, ich wusste ja, wie das mit mir und Tirol ist. Ich hielt alle zu einer kontrollierten Verkostung an, sie sollten nur Schlückchen nehmen und ihre Gedanken mit mir teilen.
Die Männer wurden direkt episch, »es schmeckt sehr grün, irgendwie nach Moos, und es schmeckt tief und männlich und unergründlich, als hätte jemand ein Fenster zu einer Welt aufgestoßen, die nicht mehr existiert«, einer fabulierte auch was vom Herrn der Ringe und »sehr großen Schlachten«.
Mein Begleiter sagte: »Schmeckt richtig scheiße.«
Die Frauen tippten auf etwas, »mit dem man gurgeln muss, wenn man Halsschmerzen hat«, auch Nagellackentferner war in der Ziehung. Mir war, als würde ich Benzin trinken.
An den Weg zurück ins Hotel erinnere ich mich nicht, aber meinem Begleiter fiel nichts Ungewöhnliches an mir auf, also dachte ich am nächsten Morgen tatsächlich, ich sei diesmal um meinen typischen Tiroler Totalausfall herumgekommen.
Gut gelaunt fuhr ich mit der Bergbahn zur Mittelstation, um den Blick, die Sonne, einen Almdudler und eine Semmel mit Speck und Gurkerl zu genießen. Der lächerliche Rückweg in die Stadt, man kann das kaum »Abstieg« nennen, zersägte mich überraschend und vollständig, als hätte man mir den Stecker gezogen, es war 15 Uhr, ich war tot am Nachmittag. »Deshalb heißt der Drink so«, sagte mein Begleiter, als ich es gerade noch ins Hotel geschafft hatte, und da schlief ich auch schon ein.
Am Abend traf ich einen, der am Berg wohnt und ein tiefes Wissen über die Dinge des Lebens zu haben schien. Ich erzählte großspurig von meinen Absinth-Abenteuern, er schaute mich mitleidig an, wie Wis-sende eben Idioten anschauen. »Das war der Föhn.« Mehr sagte er nicht. Ich simulierte Kopfschmerzen und schlich davon.