SZ-Magazin: Herr Overbeck, an Ostern gehen die meisten Menschen in die Kirche oder suchen Ostereier. Sie haben Menschen behandelt, die von sich behaupten, die Wundmale Christi zu tragen. Was machen die in diesen Tagen?
Gerd Overbeck: Die erleben den Kalvarienberg mit allem Drum und Dran. Sie spüren die Leiden Christi am eigenen Leib. Sie hören Hammerschläge, sehen das Kreuz vor sich, fühlen Peitschenhiebe und das Stechen der Dornenkrone. Am Karfreitag fangen ihre Wundmale intensiv an zu bluten.
Es gibt in Deutschland also Menschen, die zu Ostern bei lebendigem Leib die eigene Hinrichtung erleben?
Ja, das muss man so sagen. Wenn diese Menschen keinen seelsorgerischen Beistand haben, sind sie damit allein. Aber dieses Mitleiden, die Compassio Christi, wird von ihnen ja auch gewünscht. Sie wollen Christus subjektiv ganz nahe sein, indem sie dasselbe wie er empfinden. Es tut ihnen also nicht nur weh. Es ist die Inkarnation am eigenen Leib.
Wie lange dauern diese Zustände?
Der Karfreitag ist der eigentliche Schmerzenstag. Im Allgemeinen leiden diese Menschen dann zwei Tage lang fürchterlich. Am Ostersonntag hören die Blutungen auf, und die Leute empfinden auch keine Schmerzen mehr.
Entschuldigung, aber das klingt unglaublich.
Das hat mich als Mediziner auch gereizt, denn da stößt man zuerst mal auf Unverständnis. Die klassische Antwort ist: Das sind entweder Betrüger oder Verrückte. Wir wollten aber zeigen, dass es dazwischen verschiedene Übergangsformen gibt, die mal mehr, mal weniger krankhaft sind. Wir haben sogar gesunde Menschen gefunden, die solche Stigmata erzeugen können. Nehmen Sie Franz von Assisi, Teresa von Avila oder Katharina von Siena – das waren hochintelligente, geistig gesunde Leute.
Wie kann ein normaler Mensch plötzlich blutende Wundmale an den Händen haben?
Diese Menschen versenken sich aktiv in eine religiöse Ekstase, die der Tiefenmeditation vergleichbar ist. Die Fixation auf das Kreuz ist wie eine Hypnose, die sie in Trance versetzt.
Müssen wir uns Stigmatisierte wie Franz von Assisi als eine Art christliche Schlafwandler vorstellen?
So in etwa. Die Verletzungen entstehen mit dem Kreuz oder anderen Werkzeugen wie Geißeln und Bußgürteln. Stigmatisierte fügen sich die Male selbst zu, allerdings in Trance, sodass sie sich nachher nicht erinnern können, wie die Male dorthin gekommen sind. Dafür besteht eine völlige Amnesie.
Der Glaube wird gewissermaßen Fleisch.
In der Bibel heißt es ja: »Das Wort ward Fleisch.« Das erklärt, wie diese Male gerade dorthin kommen. Bei Stigmatisierten wird die Vorstellung des Gekreuzigten Fleisch. Das geht nur über das Bild. Und das Bild ist teilweise sogar falsch. Der historische
Christus wurde ja nicht ans Kreuz genagelt, sondern daran festgebunden.
Wie viele Stigmatisierte haben Sie und Ihr Mitautor, der Arzt und Jesuitenpater Ulrich Niemann, eigentlich behandelt?
Wir hatten 20 Fälle aus dem Rhein-Main-Gebiet bis nach Würzburg und Fulda, darunter 18 Frauen und zwei Männer. Es sind ja meist Frauen. Die jüngste war 17 und die älteste um die 50. Die meisten von ihnen kommen aus einem religiösen, ländlichen Umfeld.
Pater Niemann von der katholischen Hochschule St. Georgen und Sie, der Psychiater – klingt wie eine Episode aus Don Camillo und Peppone. Wie war denn die Zusammenarbeit mit Ihrem Co-Autor?
Wir haben das ganz gut hingekriegt. Ich kann mit den Mitteln der Hirnforschung und kognitiven Psychologie erklären, wie solche Phänomene zustande kommen. Und er hat gesagt: Schön und gut, das Geschehen im Gehirn kann man so erklären. Aber letztlich kommt es auch auf die Bedeutung an, und die kann nur subjektiv entschieden werden, nicht durch Hirnscanner. Das war uns sehr wichtig. Wir wollten auch die Stigmatisierten rehabilitieren, sie ernst nehmen und nicht als Betrüger dastehen lassen.
Wie viele aktuelle Fälle von Stigmatisierten gibt es?
Es gibt eine Dunkelziffer, eben weil viele sich für die Wundmale schämen. Und wenn sie zum Pfarrer gehen, gilt das Beichtgeheimnis. Seit Franz von Assisi sind bis heute etwa 400 Fälle bekannt geworden, 100 davon allein im 20. Jahrhundert.
»Der ungläubige Thomas« (1602) von Caravaggio: Der Apostel Thomas zweifelte an der Auferstehung Jesu, bis er dessen Wundmale sah.
Sind Wundmale multikulturell?
Offenbar ja. Sie spiegeln die Vorstellungen, die zur jeweiligen Kultur und Epoche gehören. Diese Vorstellungen materialisieren sich dann im Fleisch, im Körper der Stigmatisierten. Die Wundmale sind Zitate. Im Islam sind blutige Tränen eben die Tränen der Fatima.
Dann ist also doch alles bloß eine Inszenierung?
Nicht nur. Was diese Menschen mit ihrem Körper machen, ist zwar eine Art religiöses Schauspiel. Aber das Frappierende daran ist, dass die Wunden später immer wieder aufplatzen und bluten – und zwar zu Ostern, am Karfreitag. Die Stigmatisierten bluten aus den Augen, aus der Stirn, aus den Wunden, die sie sich durch Kasteiungen beigebracht haben, ohne dass sie irgendwelche Instrumente dabeihaben.
Da haben die Betroffenen doch sicher nachgeholfen?
Das hat man natürlich immer als Erstes überprüft. Die Leute wurden eingesperrt, in Manschetten gelegt und ärztlich beobachtet. Es konnte keine Manipulation nachgewiesen werden. Das geht ohne physische Einwirkung. Alles wird durch diesen tranceartigen Zustand ausgelöst, in dem die Wunden anfangen zu bluten. Sie müssen sich das vorstellen wie beim autogenen Training, mit dem man durch entsprechende Übungen auch die Durchblutung verändern kann.
Es gibt dieses schaurige Foto, auf dem der Bauernmagd Therese Neumann aus Konnersreuth am Karfreitag 1953 Blut aus den Augen rinnt. Das war also kein Trick? Immerhin wird jetzt in Regensburg ihre Seligsprechung betrieben.
Nein. Bei ihr wurden glaubhaft spontane Blutungen nachgewiesen, die aus nicht vorgeschädigten Hautstellen austraten, zum Beispiel in der Herzgegend und aus den Augen. Auch bei Stigmatisierten wie Fra Elia, Magdalena Lorger oder Louise Lateau wurden spontane Blutungen aus der Kopfhaut beobachtet, wenn sie in ekstatischen Leidenszuständen waren.
Entschuldigen Sie die Nachfrage: Sie sind Arzt. Glauben Sie an Gott?
Ich tue mich als Naturwissenschaftler damit schwer, an einen personalen Gott zu glauben. Das geht bei mir nicht oder nicht mehr. Darin unterscheide ich mich von diesen Menschen, die sich Christus sehr konkret vorstellen und ihn imitieren. Aber natürlich kann man einen Grundglauben haben an etwas Großes, den Grund von allem oder eine Weltseele.
Dann erklären Sie uns bitte die spontanen Blutungen bei diesen Stigmatisierten aus Ihrer Sicht als Arzt.
Das kann an einer sehr durchlässigen Haut liegen, wie man aus vergleichenden Untersuchungen weiß, die interessanterweise nicht an Christen gemacht wurden, sondern an einem 14-jährigen Mädchen aus Thailand. Auch bei ihr kam es zu spontanen Blutungen an Kopfhaut und Extremitäten. In ihrer Haut befanden sich kleine Blutseen, die sich ab und zu auffüllten und dann über die Haarfollikel oder direkt durch die Haut nach außen entleerten. Daher kommt übrigens auch die Redewendung »Blut und Wasser schwitzen«. Leben solche Leute in einer streng religiösen Umgebung, dann werden diese physiologischen Blutungsphänomene eben mit religiöser Bedeutung aufgeladen.
Was sind das für Menschen, die sich so sehr in religiöse Ekstase hineinsteigern, dass sie sich körperliche Wunden zufügen?
Es können sehr religiöse, gesunde Menschen sein, neurotisch-hysterische Fälle oder sehr schwere Persönlichkeitsstörungen und in seltenen Fällen psychiatrisch wahnhaft Kranke, die sich irgendwo annageln und sogar an selbst gebauten Kreuzen aus dem Fenster hängen.
Warum sind es vor allem Frauen, die sich mit Jesus identifizieren?
Ja, das klingt paradox. Es hängt mit dem Empathiewunsch zusammen. Diese Frauen wollen mit dem Gekreuzigten mitfühlen und mitleiden. Die halten sich nicht für Christus, wollen aber so fühlen wie er und mit ihm als Bräute mystisch verschmelzen.
Erkennt denn die Krankenkasse religiösen Wahn an?
Ja, religiöser Wahn fällt ins Gebiet der klassischen Psychiatrie – wenn es denn ein Wahn ist. Aber Formen der Besessenheit müssen dann schon genauer untersucht werden. Was die Medizin feststellt, ist der objektive Körperbefund, zum Beispiel, ob es sich um eine Epilepsie handelt. Psychotherapie und Theologie befassen sich mit dem subjektiven, also dem beseelten Körper, dem Leib im Sinne von Platon. Das ist etwas völlig anderes, und die Wirklichkeit des Patienten ist oft die subjektive und nicht das, was der Arzt objektiv feststellt.
Aber wie kommt es gerade im 20. Jahrhundert zu solch einem Stigmata-Boom?
Das hat mich auch überrascht. Eigentlich ist das ja nicht mehr Teil unserer Kultur. Andererseits gibt es gerade in der Moderne ein großes Bedürfnis nach Heil, nach Meditation und Innerlichkeit. Schauen Sie bloß, wer sich heute alles auf den Weg nach Santiago de Compostela macht.
In Italien widmet sich sogar das Fernsehen prominenten Fällen wie Fra Elia oder Debora von Manduria.
Ja, die Italiener haben eine größere Neigung zur Dramatisierung. Der krasseste Fall ist ja Fra Elia in Calvi dell’Umbria. Der durchlebt jedes Jahr die Osterpassion. Sein Martyrium beginnt am Karfreitag, dann leidet er unerträgliche Schmerzen, die Stigmata verdunkeln sich, auf seinem Rücken erscheinen Zeichen der Geißelung, schließlich ist sein Oberkörper blutüberströmt, und das Hemd klebt am Leib fest. Ebenso pünktlich hören die Schmerzen am Ostersonntag auf, und es bleiben nur winzige Narben zurück.
Das klingt fantastisch.
Ich würde das jetzt nicht alles dem Fra Elia in die Schuhe schieben, sondern seiner Umgebung, die da was draus macht.
Therese Neumann von Konnersreuth: Bei der Bauernmagd (1898 - 1962) zeigten sich im Jahr 1926 erste Stigmata, außerdem blutete sie aus den Augen. An Karfreitagen pilgerten bis zu 5000 Menschen zu ihr nach Konnersreuth, trotzdem erkennt die katholische Kirche ihre Stigmatisierungen nicht an.
Welche Motive stecken dahinter?
Das Ansehen des Ordens, der Kirche oder bestimmter Sekten. Das war schon im Mittelalter so. Denken Sie an die Reliquien. Jede kleine Kirche wollte natürlich Knochen oder andere Dinge von irgendeinem Heiligen haben, um damit viele Gläubige anzuziehen oder sogar zu einem Wallfahrtsort zu werden.
Wie gingen denn die Stigmata-Schwindler vor?
Da gab es zum Beispiel die sogenannten »Säurenheiligen«. Man kann Wunden nämlich offen halten, indem man sie mit Karbolsäure oder Veratrin verätzt. Padre Pio soll das so gemacht haben. Auch subkutan gespritztes Terpentin löst die Haut langsam von innen auf, sodass es stetig nach außen blutet. Oder man nimmt Tierblut und malt sich am Karfreitag die Stigmata auf.
Und darauf soll wirklich jemand reinfallen?
Es gibt ja auch Körperreliquien von Heiligen, die bei festlichen Zeremoniellen wieder zu bluten anfangen. Bei den meisten werden chemische Substanzen wie braunes Eisenchlorid benutzt, das sich durch Handwärme oder Schütteln rot verflüssigt. Solche Trickbetrügereien gibt es besonders im kommerziellen Umfeld des Marienkultes, wo immer wieder Marienstatuen auftauchen, die blutige Tränen weinen. Bei der Madonnenstatue von Civitavecchia hat man unlängst das Tränenblut im Labor analysiert: Es stammte von einem Mann.
Haben Sie in Ihrer Praxis auch Betrüger erlebt?
Nein, nie. Ich glaube, das macht auch heute niemand mehr. Da lacht sich doch jeder gleich kaputt.
Die Berliner Anthroposophin Judith von Halle behauptet, seit Ostern 2004 Stigmata zu tragen und keine Nahrung mehr zu sich zu nehmen.
Das halte ich für ausgeschlossen. Auch Therese Neumann hat behauptet, 20 Jahre lang nichts anderes als Oblaten gegessen zu haben. Aber die gute Frau wurde immer dicker und starb zuletzt an einem Herzinfarkt. Die hat sehr wohl immer irgendwo was gegessen, hatte aber eine Amnesie für diese Handlungen.
Die katholische Kirche steht dem Phänomen der Stigmatisierten skeptisch gegenüber. Padre Pio schien dem Vatikan ja auch immer suspekt.
Bei Padre Pio ist es ein Auf und Ab gewesen. Zeitweilig wurde sogar sein Beichtstuhl verwanzt. Als er nach sehr unterschiedlichen Beurteilungen durch fünf Päpste schließlich von Johannes Paul II. 2002 heiliggesprochen wurde, hat die Kirche seine Stigmata nicht zu den Wundern gerechnet. So war das meistens in den kirchlichen Verfahren, die Selig- und Heiligsprechungen begründeten.
Schildern Sie uns einen aktuellen Fall aus Ihrer Praxis?
Vor einigen Jahren kam Frau H. zu mir, sie glaubte, vom Teufel besessen zu sein, und wollte einen Exorzismus. Aber da verlangt die katholische Kirche seit 1999 strenge medizinische Voruntersuchungen.
Wie drückte sich die Besessenheit von Frau H. aus?
Sie behauptete etwa, sie sei öfter nachts wie von fremder Hand aus dem Bett geworfen worden und habe nicht mehr schlafen können. Daraufhin hatte der Gemeindepfarrer ihr erlaubt, gelegentlich zum Schutz vor dem Dämon in der Kirche zu schlafen. Diese Erlaubnis hat er ihr wieder entzogen, nachdem mehrmals in solchen Nächten die Kelche in der Kirche umgeworfen worden waren und es entsetzlich stank, weil sie dort uriniert und defäkiert hatte. Frau H. konnte sich an diese Vorfälle nicht erinnern und machte dafür einen Dämon verantwortlich. Sie hat Stimmen produziert, die ihre Umgebung in Angst und Schrecken versetzten, und ging in schlafwandlerischen Zuständen sogar auf den Straßenstrich. Sie war übrigens in der Kirchengemeinde sehr aktiv.
Und wie lautete Ihre Diagnose als Arzt?
Schwere Persönlichkeitsstörung im religiösen Gewand. Frau H. war als Kind sexuell missbraucht worden. Trotzdem hat sie jahrelang eine normale Ehe geführt. Als ihr Mann an Alzheimer erkrankte, kam sie in eine Krise, und alles brach los, mit den primitiven seelischen Bewältigungsmustern, die sie noch aus ihrer Kindheit kannte. Sie hat dann alles auf den Teufel projiziert und gesagt: Das bin nicht ich.
Konnten Sie ihr helfen?
Hier konnte nur Herr Niemann als Seelsorger helfen. Er hat mit ihr gebetet, die Eucharistiefeier durchgeführt und ihr wohl auch Absolution erteilt. In dieser Zeit der seelsorgerischen Behandlung tauchten ihre Stigmata auf, was uns sehr überraschte. Sie ist von einer Besessenen zu einer Stigmatisierten geworden. Sie war erst vom Teufel besessen und dann von Christus.
Aber geheilt ist die Patientin dann doch nicht, oder? Sie verletzt sich ja selbst mit den Wundmalen?
Es ist eine Lösung, die subjektiv für die Patienten richtig ist. Wir Ärzte müssen uns am Interesse des Patienten orientieren, nicht an unserem Interesse. Das war das Bestmögliche, was für Frau H. rauszuholen war.
Wie gehen diese Leute dann mit ihrer Stigmatisierung um?
Die meisten verstecken sie. Wenn Frau H. spürte, dass solche Tage kamen, an denen die Wundmale wieder bluten, hat sie sich die Hände verbunden und gesagt, sie habe sich geschnitten.
Aber die Schmerzen, die Menschen wie Frau H. am Karfreitag empfinden, sind ganz real?
Ja, Schmerz ist aber ein sehr subjektives Phänomen. Es gibt Empathieversuche wie die der Neurowissenschaftlerin Tania Singer. Da haben Probanden zugesehen, wie Freunden Schmerzen zugefügt wurden, und dann selbst in den gleichen Körperteilen Schmerzen empfunden. Also nicht nur seelisches Mitleiden, sondern physischen Schmerz, wie die aktivierten Hirnareale zeigten.
Haben Sie Frau H. am Karfreitag in den Hirnscanner geschoben?
Nein, aber wir haben Schmerzprozesse bei Probanden im Computertomografen untersucht. Das waren suggestible Studenten, denen wir unter Hypnose gesagt haben, dass sie ihren Körper verlassen. Dann haben wir ihnen gemeinerweise Schmerzreize gesetzt, also Elektroschocks mit immer größer werdender Intensität. Das Erstaunliche war: Die Reize kamen im Gehirn nur schwach an, sie waren im Scanner nicht zu sehen. Das ist ein Beleg, dass geistige Vorstellungen Wahrnehmungen über das Gehirn blockieren oder auch produzieren können.
Und das führt dazu, dass diese Menschen am Karfreitag die Leiden Christi am eigenen Leib erfahren?
Ja, bei diesen Menschen wird das Wort tatsächlich Fleisch. Die Vorstellung vom gekreuzigten Christus sorgt dafür, dass sie in tiefer religiöser Ekstase tatsächlich so etwas erleben wie einen Gang auf den Kalvarienberg.
Das klingt wie im Film. Kennen Sie Mel Gibsons Die Passion Christi?
Ja, ein toller Film. Aber bei Stigmatisierten würde der eher zu einer zusätzlichen Traumatisierung führen.
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Gerd Overbeck hat Medizin studiert und wurde 1976 Professor, später Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Frankfurt am Main. Sein Interesse an Phänomenen religiösen Wahns wurde durch den Schock geweckt, den 1976 der Tod der epilepsiekranken Anneliese Michel in Deutschland auslöste, die nach einem Exorzismus gestorben war. Zusammen mit dem mittlerweile verstorbenen Jesuitenpater und Mediziner Ulrich Niemann betreute er über mehrere Jahrzehnte Patienten, die unter religiösem Wahn litten und Stigmata trugen. Gerade erschien ihr Buch Stigmata: Geschichte und Psychosomatik eines religiösen Phänomens.
Foto: Rafael Krötz, dpa