Die Kraft und die Herrlichkeit

Zum Osterfest analysiert unser Autor, dank welcher Tricks und Kniffe die im Gottesdienst verwendete Sprache oft so eindringlich wirkt und warum manchmal eine Silbe genügt, um vom Banalen zum Himmlischen zu gelangen.

Abstand, feste Sitzplätze, Hygieneregeln – ein Gottesdienst im Berliner Dom.

Foto: Odd Andersen/Getty Images

Nun also doch: Die Kirchen dürfen dieses Jahr die Ostergottesdienste feiern. Nicht wie im letzten Jahr, wo sie zusperren mussten, zum ersten Mal in 2000 Jahren. Sogar der Papst spendete Ostern 2020 den Segen »Urbi et Orbi« allein auf dem weiten Petersplatz. Ein Jahr später ist die Pandemie, wie wir wissen, noch nicht vorbei, doch gibt es nun immerhin reichlich Erfahrung, wie man einen Gottesdienst einigermaßen sicher durchführen kann, so dass es vielen Gemeinden möglich ist, die Kirchen zu öffnen.

Somit ist sie da, die Gelegenheit für die vielen Menschen, die genau zweimal im Jahr in die Kirche gehen: Weihnachten und Ostern. Weil es dann irgendwie besonders schön ist, stimmt’s? Orgelspiel, eine Prise Weihrauch und über allem schwebend das unbestimmte Gefühl, dass wir Menschlein doch nicht das Maß aller Dinge sind? Vermutlich ist den Zweimalbesuchern unter uns das ganze Drumherum wichtiger als der Inhalt. Deshalb mein Vorschlag: Hören Sie doch einfach mal hin – und sei es nur der Sprache wegen, die mit fulminanter Wucht daherkommt. Und für die mir mein Deutschlehrer die Ohren langgezogen hätte: Denn dein ist das Reich und die Kraft und Herrlichkeit … Halt, halt, so geht das ja nicht! sehe ich seinen erhobenen Zeigefinger: Zweimal und in einer Aufzählung, und dazu den Plural vermasselt. Müsste es nicht korrekt heißen: »Denn das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit ist dein, pardon, sind dein?« Na schön, verehrte Deutschlehrer, wegen euch gehen wir ja auch nicht in den Gottesdienst.

Da stoßen wir auf einen Fixpunkt in der Liturgie: Das Verb wird nach vorne gezogen, also an eine Stelle, an der es nach landläufigem Sprachgebrauch gar nicht hingehört: Denn dein ist das Reich … statt: Denn das Reich ist dein. Stark! Und der Plural – ist er wirklich vermasselt? Marmor, Stein und Eisen bricht statt dass sie brechen. Geht also.

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Die Sprache braucht keine bombastischen Wörter. Sie braucht Eindringlichkeit

Der früheste Satz, den ich aus dem Gottesdienst kenne, der sich meiner kindlichen Seele geradezu eingebrannt hat und der vielleicht auch der letzte sein wird, wenn es einmal dahingeht, das ist der Satz, den die Gemeinde direkt vor dem Empfang der Kommunion sagt: »Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.« Merken Sie’s? Also nicht: Dass du unter mein Dach eingehst, nein, das Verb wird vorgezogen - dass Du eingehst unter mein Dach. Das macht den Satz poetisch, das macht ihn wuchtig, das macht ihn einprägsam. Und nur kurze Wörter: 14 Einsilber, 7 Zweisilber, kein Dreisilber. Die Sprache braucht keine bombastischen Wörter. Sie braucht Eindringlichkeit. Gibt es übrigens jeden Sonntag im Jahr, kleine Spende erbeten.

Im Agnus Dei geht das so: »Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünde der Welt.« In seiner Schlichtheit fährt uns dieser Satz ins Mark. Nicht auszudenken, wenn Sprachpuristen daraus »du nimmst die Sünde der Welt hinweg« gemacht hätten. Oder noch schlimmer, wenn sie das eigentlich überflüssige hin gestrichen hätten. Ohne hin klänge der Satz banal. Mit hin wird Poesie daraus. Mit nur einer Silbe vom Banalen zum Himmlischen. Ganz am Schluss, ausgangs der Messe, werden wir nochmal einem hin begegnen – einem hin, das gar nicht notwendig wäre, in dem aber die ganze Schönheit der Sprache beschlossen liegt.

Jesus selbst zieht das Verb nach vorne: »Mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden.»

Im Schuldbekenntnis: »Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken.«

Im Gloria: »Nimm an unser Gebet.«

Im Credo steigert sich das Vorziehen des Verbs zum Stakkato:

»empfangen durch den Heiligen Geist
geboren von der Jungfrau Maria
gelitten unter Pontius Pilatus
gekreuzigt, gestorben und begraben
hinabgestiegen in das Reich des Todes
am dritten Tage auferstanden von den Toten
aufgefahren in den Himmel
sitzend zur …«

Nein, stopp, hier dreht sich der Satzbau komplett um. Das ist der Aufwecker, denn er zerstört die Erwartungshaltung, dass es nun mit Verben immer so weitergehe. Ein Stilmittel, das auch Schreiber gerne einsetzen, um ihren Lesern einen kleinen Hallo-wach-Anstoß zu geben. Denn jetzt wechselt das Credo zur üblichen Satzstellung: »Er sitzt zur Rechten Gottes.«

Sogleich aber dreht der Satzbau wieder zurück, somit ein neuer Hallo-wach-Anstoß:

»Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.«

Ob Sie daran glauben oder nicht: Allein dieser letzte Satz dringt in die letzten Abgründe der Seele hinab. Hammer!

Im Geheimnis des Glaubens: »Bis Du kommst in Herrlichkeit.«

Im Vaterunser: »Geheiligt werde Dein Name» und »wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.«

Wer mehr als zweimal im Jahr in die Kirche geht, wird gemerkt haben: Hier geht es um eine katholische Messe. Aber Vieles kommt so oder ganz ähnlich auch in den evangelischen Gottesdiensten vor.

Noch eine sprachliche Besonderheit: Das eingeschobene -e- wie in »lasset uns beten« oder »erhebet die Herzen«. Das ist altertümliches Deutsch. Es hat sich hier erhalten, weil es Rhythmus und Melodie der Sprache ganz anders zur Geltung bringt. Besonders eindringlich in den Wandlungsworten: »Nehmet und esset alle davon …« Und wiederum: »Nehmet und trinket alle daraus … tut dies zu meinem Gedächtnis.« Wobei viele Priester auch heute noch das »tut« herkömmlich aussprechen: »tu-et dies zu meinem Gedächtnis«. Im Französischen geht das ähnlich – da wird das letzte e im Wort oft nur noch ausgesprochen, wenn es poetisch klingen soll: »Non, je ne regrette« rien singt Edith Piaf. Im modernen Französisch würde man das letzte e in regrette nicht hören, aber die Piaf singt es trotzdem.

Übrigens: Einmalig ist der Genitiv von Gott: Das Reich Gottes. Was ist daran Besonderes, ich meine am Genitiv? Normalerweise haben Substantive zwei Genitive. Einen kurzen Genitiv auf -s und einen langen Genitiv auf -es: des Buchs oder des Buches. Beides ist korrekt. Nur für Gott stimmt das nicht: Gotts Wort lässt sich nicht verkünden, es ist immer Gottes Wort. Anderes gilt für Karel Gotts unsterbliche Biene Maja. Und den Herrgottswinkel. Noch ein weiteres Wort hat einen Spezialgenitiv, diesmal auf -ens: das Herz, des Herzens. Gott und Herz, ist das nicht wunderbar?

Sie sehen: Hinhören lohnt sich. Toppt jede Sprachkolumne, versprochen. Vielleicht also diesen Sonntag? Gehet hin in Frieden.