Schultüte gegen Geburtstagstorte

Unsere Leserin möchte die Einschulung ihrer Enkelin feiern – ihr Mann am gleichen Tag den Geburtstag seiner Mutter. Was ist wichtiger?

Illustration: Serge Bloch

»Mein Mann und ich sind eine Patchwork-Familie. Jeder hat zwei Kinder aus vorheriger Ehe. Es war schwierig. Bei den Enkelkindern normalisiert sich allmählich der Umgang, für sie sind wir gleichwertig Oma und Opa. Im Sommer wird meine jüngste Enkelin eingeschult, mit großer Feier. Meine Tochter und ihr Mann haben schon ein Hotel für uns gebucht und ­bezahlt. Leider trifft das Fest auf den Geburtstag der Mutter meines Mannes. Sie feiert nicht, aber für ihn ist es Ehrensache, bei ihr vorbeizuschauen. Allein wäre sie an dem Tag nicht. ­Meiner Meinung nach könnte man am Vortag oder danach zum Gratulieren kommen. Mich kränkt es sehr, dass mein Mann den Geburtstag seiner Mutter dem eher größeren Einschulungsfest meiner Enkelin vorziehen möchte.« Regina T., Hersbruck

Ich muss das zusammenfassen, auch um es selbst zu verstehen. Ihr Mann zieht also den Geburtstag seiner Mutter der Einschulung Ihrer jüngsten ­Enkelin vor. Eigentlich ist die Sache doch klar. Selbst in Anbetracht der Tatsache, dass um Einschulungen neuerdings ein größeres Bohei gemacht wird, ist der Geburtstag ­einer mutmaßlich recht betagten Mutter auch keine zu vernachlässigende Angelegenheit. Überlegen Sie doch mal, was auf Einschulungsfotos normalerweise zu sehen ist. Meistens eine einzige, recht kleine Person mit einer riesigen Schultüte. Manchmal ­stehen auch noch eine Mutter und sogar ein Vater mit im Bild (auf meinem: nur eine Mutter, mit Lockenwicklern).

Aber ist das wirklich so ein wichtiges Familienfest? Und wenn ja, reicht es dann nicht, wenn Sie das Großelternpaar repräsentieren? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine Sechsjährige Ihnen oder Ihrem Mann einen Vorwurf machen würde, wenn Sie da nicht vollständig antanzen – zumal der Tag der Einschulung nun mal mit dem Geburtstag der Mutter Ihres Mannes ­zusammenfällt, also, Patchwork ernst ­genommen, dem Geburtstag der Urgroßmutter der Schulanfängerin.

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Das soll jetzt nicht streng oder bevormundend klingen, aber auf sachlicher Ebene möchte ich Ihnen zu bedenken geben, dass Sie sich eigentlich glücklich schätzen ­können, eine solch treue Seele als Mann zu ­haben. Er kennt seine Mutter schließlich viel länger als Sie. Und es tut seiner Liebe zu Ihrer beider Enkelin bestimmt keinen Abbruch, wenn er an ihrem ersten Schultag, an dem sowieso alle mit sich selbst beschäftigt sind, nicht anwesend war. Oder anders formuliert: Wenn Sie mal ganz ehrlich sind und wir alle weghören, würden Sie ihn nicht ein wenig dafür verachten, wenn er Ihnen zuliebe darauf verzichten würde, an einem der letzten Geburtstage seiner Mutter bei ihr gewesen zu sein?