»Darf ich für ›unseren‹ Clochard einfach den Arzt holen?«

Eine Leserin macht sich Sorgen um einen Obdachlosen, er möchte aber keine medizinische Hilfe. Unsere Kolumnistin hat zwei sehr klare Empfehlungen.

Illustration: Serge Bloch

»Ich stecke in folgender Zwickmühle, es geht um unseren Clochard. Ich schreibe ›unseren‹, weil er uns in den vielen Jahren, die er unter der Brücke auf unserem Weg in die Stadt lebt, ans Herz gewachsen ist. Mein Mann bringt ihm samstags vom Bäcker oft etwas mit, und ich unterhalte mich mit ihm, wenn ich mit dem Hund vorbeilaufe. Er liest viel, macht Sudoku, hält sich geistig fit, das ist ihm wichtig. Seit ein paar Wochen geht es ihm nicht gut. Er klagt über Schmerzen im Bauch, wird immer schmaler. Er will nicht zum Arzt (aus Angst, dann ins Krankenhaus zu müssen). Soll ich – ohne seine Zustimmung – einen Krankenwagen rufen? Oder ist das übergriffig?« Marianne A., Haßfurt

Darf ich vorausschicken, dass ich bei der Bezeichnung »unser Clochard« leicht zusammengezuckt bin? Könnten Sie ihn denn nicht vielleicht irgendwann nach seinem Namen fragen? Es klingt sonst ein bisschen, wie soll ich sagen, von oben ­he­rab. Als ob Sie über ein liebes Haustier sprächen. Oder einen langjährigen Angestellten, dessen Großmutter schon für Ihre Familie gearbeitet hat. Dabei meinen Sie es ja herzlich.

Um keine weitere Zeit zu verlieren, sofort weiter zur Antwort: Ja, bitte verständigen Sie einen Arzt! Verständlicherweise sorgen sich Menschen ohne Einkommen, von ­denen viele nicht krankenversichert sind, dass Kosten auf sie zukommen, wenn sie erst mal einen Fuß in eine Arztpraxis oder ein Krankenhaus gesetzt haben. Aber das ist nicht so. In vielen Städten gibt es kostenlose ärztliche Hilfe für Obdachlose. In München etwa die Münchner Straßen­ambulanz, finanziert von der Stadt. Als ich dort anrief, erklärte mir eine freundliche Mitarbeiterin, die nicht viel Zeit hatte, weil in der Praxis gerade so viel los war, dass jeder zu ihnen kommen kann und kostenlos behandelt wird, auch ohne Versicherung. Zusätzlich fährt diese Organisation mit einer mobilen Praxis dreimal pro ­Woche durch die Stadt. In München gibt es außerdem noch die Obdachlosenhilfe Sankt Bonifaz, die Malteser oder das Projekt open.med, in Regensburg bietet der Verein Rafael bedingungslose ärztliche Hilfe für Obdachlose, in Berlin unter anderem das Caritas-Arztmobil. Sie finden diese und viele andere Organisationen ganz leicht im Internet. In einem akuten Fall, auch bei Verdacht, kann man übrigens immer den Notarzt rufen, ohne dass Kosten entstehen. Bevor die Mitarbeiterin der Münchner Straßenambulanz auflegen musste, sagte sie noch, dass Sie unbedingt handeln sollten. Es sei nicht übergriffig, unter Umständen ein Leben zu retten.