Service zum Sparpreis

Die Eltern unserer Leserin laden gern zum Essen ein – und geben dann ein viel zu kleines Trinkgeld. Ist es okay, trotz Einladung aus eigener Tasche noch etwas für Kellner oder Kellnerin draufzulegen? 

Illustration: Serge Bloch

»Essengehen war in meiner Kindheit nicht üblich. Das wollten sich meine Eltern nicht leisten. Heute sind sie über 80 und leisten es sich gerne. Auch zu Familienfesten erfolgt eine Einladung. Und dann kommt der peinliche Moment der Bezahlung: Denn am Trinkgeld wird gespart. Auch bei gutem Essen und freundlichem Service ist an zehn Prozent nicht zu denken. Da gefriert dann schon mal das Lächeln der Bedienung – ich meine, zu Recht. Manches Mal habe ich das schon ausgeglichen. Allerdings fühle ich mich nicht wohl dabei – ohne Trinkgeld aber auch nicht. Meine Eltern sind dem Thema nicht zugänglich, meine Geschwister meinen, Einladung sei Einladung.« Luise K., München

Ich würde Sie gerne zurückfragen, warum Sie sich nicht wohl dabei fühlen, wenn Sie bei einer solchen Einladung das Trinkgeld übernehmen. Das ist doch wahnsinnig nett und im Sinne aller Beteiligten. Ihre Eltern wissen offenbar nicht, dass zehn Prozent Trinkgeld für ­guten Service angemessen sind. Das war vielleicht früher nicht so üblich. Vielleicht ­erschrecken sie auch, wenn die Rechnung kommt und der Gesamtbetrag eh schon recht hoch ist, möglicherweise höher, als sie sich das vorgestellt hatten. Das kennt bestimmt jeder, diesen kurzen Schreck, wenn man den Preis für so ein Essen dann schwarz auf weiß sieht. Und da noch einmal zehn Prozent draufzuschlagen übersteigt vielleicht ihre Vorstellungskraft oder auch ihren Etat. Zumal Restaurants ja durch die Inflation teurer geworden sind. Wofür aber natürlich die Servicekraft nichts kann.

Was Ihre Geschwister angeht, machen die es sich ein bisschen leicht mit dieser Ja-mei-Einstellung, als ginge sie das Thema nichts an. Vielleicht ist es Ihren Geschwistern tatsächlich nicht unangenehm, im Restaurant zu einem Tisch zu gehören, der sich nicht ganz korrekt verhält. Sie aber fühlen sich verantwortlich (sind Sie die Erstgeborene?). Ihnen ist nicht wohl dabei, ohne angemessenes Trinkgeld zu gehen. Das ehrt Sie. Und ich würde gerne Ihren Blick darauf lenken, dass Sie im Übernehmen des Trinkgelds auch in Ihrem eigenen Interesse handeln. Dies ermöglicht Ihnen, das Lokal mit einem guten Gefühl zu verlassen. Generell ist es eine schöne Geste, das Trinkgeld zu übernehmen. Sie hat Stil. Niemand muss sich dafür schämen. Ihre Eltern, die schon die ganze Einladung stemmen, müssen sich nicht schämen, sie anzunehmen. Ihre Geschwister werden froh sein, nichts weiter tun zu müssen. Die Bedienung kommt auf ihren Schnitt. Und Ihnen kann man nur dazu gratulieren, dass Sie so großzügig und kultiviert sind.