SZ-Magazin: Frau Herpich, vor vier Jahren haben Sie uns gesagt: »Spätestens in der zweiten Woche haben alle Bedienungen einen schlimmen Schnupfen, Muskelkater, brennende Fußsohlen und dunkle Augenringe.« Wie schlimm ist es bei Ihnen gerade?
Sonja Herpich: Tatsächlich ist es in diesem Jahr nicht so schlimm wie in so manchen Jahren zuvor. Ich habe nicht das Gefühl, dass mich die Wiesn dieses Jahr arg mitnimmt, bin von Krankheiten verschont geblieben, und gegen brennende Fußsohlen weiß ich mir mittlerweile auch zu helfen. Der Schlafmangel ist enorm, außerdem die Belastung für die Ohren. Am schlimmsten empfinde ich den anstrengenden Lärmpegel, jeden Tag aufs neue. Die unsichtbaren Spuren, das kann man auf keinem Foto darstellen.
In diesem Jahr waren deutlich weniger Besucher auf dem Oktoberfest - haben Sie das gemerkt? War die Stimmung anders?
Grade in der ersten Woche haben wir das in unserem Servicebereich durchaus gespürt. Wir hatten eigentlich immer noch Platz für spontane Besucher, die Tische haben sich dann aber immer schnell gefüllt. Der Stimmung im Zelt macht das gar nichts aus. Die Leute hatten Lust zu feiern und hatten jede Menge Spaß. Ich hab sogar das Gefühl, dass es am Ende für den Besucher super so war. Nicht ganz so voll, nicht ganz so eng. Jeder hatte Platz. Und mal ganz ehrlich - bisher war auf der Wiesn immer sehr viel los - dieses Jahr gings zurück von sehr viel auf viel. Das ist doch total ok.
Was erzählen einem die Gäste eigentlich so, wenn man das Bier bringt?
Allerhand. Aber ich versuche es zu vermeiden, mich auf Gespräche einzulassen. Rede wenig, lächle viel. Das schont meine Stimme und meine Nerven. Zeichensprache ist ne tolle Sache. Auch das Prinzip mit gelber und roter Karte funktioniert prima.
Der alte Trick: Betrunkenen ein alkoholfreies Bier hinstellen. Macht man schon, oder?
Echt jetzt? Ich stell mir das in die andere Richtung lustiger vor. Aber ganz im Ernst, dann müsste ich ja beinah jedem Gast irgendwann mal eine alkoholfreie hinstellen. Betrunken sind sie doch alle irgendwann. Darum sind sie ja da. Den asiatischen Mädels würde der Trick allerdings sehr gut tun. Die beutelt es schon arg. Allerdings schon bei der ersten Mass.
Sie dürften jeden Wiesnhit locker hundert Mal gehört haben - gibt es ein Lied, dass Sie bis zum Ende mochten?
Oh je. Mein persönliches Lieblingslied ist so dermaßen weit weg von meinem Musikgeschmack. Seit meiner ersten Wiesn freu ich mich jedesmal, wenn »Mein Tirolerland« gespielt wird. Dicht gefolgt von »Servus, Pfüat Gott und Auf Wiedersehen«, das läutet den Feierabend ein.
Wie hoch war das beste Trinkgeld in diesem Jahr?
So mancher Gast steckt einem schon mal das doppelte zu. Freiwillig. Mir soll's recht sein.
Sind Ihnen einzelne Besucher in Erinnerung geblieben?
Es gibt jedes Jahr ein paar spezielle Köpfe, über die man noch Jahre später spricht. Positiv wie negativ. Der bayrische Platzhirsch, der sich motzend an einem vorbeischiebt, auch wennst mit 12 Mass um's Eck kommst. Oder die amerikanische Touristin, die ihre Familie verloren hat und total hilflos und weinend mit den Sicherheitsmännern durch das riesige Zelt geirrt ist. Ihre Panik und Sorge standen ihr ins Gesicht geschrieben. Auf dem Weg ins Büro habe ich sie erkannt, ihre Familie saß bei mir im Service. Ihren Blick, als ich sie an den Tisch zu ihrer Familie gebracht habe, das werd ich sicher auch nicht so schnell vergessen. Das stellt ich mir eh arg vor. Gehst schnell aufs Klo ohne Handy und ohne Geldbeutel, und deine Leute sind weg oder du findest sie nicht mehr, kennst dich nicht aus. Und dann hast auch noch einen sitzen. Na Bravo.
Was war das absurdeste oder erstaunlichste Erlebnis in diesem Jahr?
Gestern morgen kommen drei Männer in den noch leeren Service und bestellen 20 Bier. Ein herrliches Bild.
Und wie erholt man sich jetzt vom Oktoberfest?
Da hilft nur die Flucht in die Berge. Ruhe. Ich freu mich drauf. Und klar - Abrechnung machen ist auch ein klein wenig Erholung.
Mehr Bilder von Sonja Herpich bei Instagram. Dort postet sie, sobald vorhanden, auch die Bilder vom letzten Wiesntag.