Bevor die Bierkrüge im Dutzend daherkommen, bevor die Kapelle zum Prosit aufspielt, bevor die Brezen und der Schnupftabak und die depperten Hüte angepriesen und die Schlangen vor den Toiletten lang werden, bevor drinnen in den Festzelten die Hitze und der Durst steigen und draußen die Rekommandeure die Gäste ihrer Fahrgeschäften anlocken, nur rrrrrrrein hier, Baby, los, los, lo-hos, immer schön reinreinreinrein, auf geht's – also bevor das alles beginnt auf der Wiesn: Da muss der Oberbürgermeister anzapfen.
Dazu braucht er ein Fass. Dieses Fass wartet das ganze Jahr auf den ersten Wiesn-Tag. Es ist nicht einfach zu finden, man muss wissen, wo es lagert, tief im Münchner Untergrund, in einem der vielen alten Bierkeller, die vor fast zweihundert Jahren in die Schotterschichten am westlichen Hochufer der Isar gegraben wurden. Es ist ein altes Fass. Es dient seit etlichen Jahren dem Ritual des Anzapfens, und nur diesem Ritual. Einen anderen Zweck gibt es für dieses Fass in seiner Brauerei nicht mehr. Wenn es einmal im Jahr für seinen großen Auftritt hervorgeholt, gereinigt, gerüstet und befüllt wird, ist das in der Brauerei mit ihren Abfüllanlagen und Drucktankkellern wie ein Echo aus einer längst vergangenen Zeit.
Wer dieses Fass besucht, erlebt bereits beim ersten Blick eine Überraschung: Das erste Wiesn-Fass, das ist nicht ein Fass allein. Es sind zwei. Und diese Geschichte erzählt ihren Weg auf die Wiesn – der wahre Countdown zum Anstich.
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Foto: Julian Baumann