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Für zwei Wochen haben sie München in der Hand: die Wirte der 14 großen Bierzelte auf dem Oktoberfest. Eine Geschichte über Geld, Ehre – und die Regeln einer verschworenen Gemeinschaft.

Das Publikum hört einem Mischwesen aus Gastronom und Politiker zu. Es ist Ende Juli, noch acht Wochen bis zum Beginn des Oktoberfestes, und in der Gaststätte »Andechser am Dom« stellen die Wiesnwirte ihren diesjährigen Maßkrug vor. Toni Roiderer, Sprecher der Wirte, erfüllt mit seinem Auftreten alle Erwartungen: der Leibesumfang beachtlich, die Gesichtsfarbe etwas zu rot, und wenn er ein bekanntes Gesicht im Saal entdeckt, fällt die Begrüßung so herzlich wie polternd aus. Von dem gelernten Metzger aus Straßlach stammt die Bemerkung: »Ich habe höhere Bildung, unser Klassenzimmer in der Volksschule lag im dritten Stock.« Doch seine Einführungsrede, in der er ein paar Neuerungen im Sicherheitskonzept der Wiesn vorstellt, macht sofort klar, dass hier auch ein versierter Diplomat auftritt.

Roiderer zwängt seinen Oberland-Dialekt in steife Formeln, spricht eine Art Verlautbarungsbairisch: Wenn er über die Einhaltung der Fluchtwege redet, sagt er, »es hat sich bewährt, dass ma die Leit frühzeitig positioniert«; das Gerücht, die Jugendlichen würden am Samstag- und Sonntagvormittag schon betrunken die Bierzelte stürmen, kommentiert er mit dem Satz: »I woaß net, wer’s erfunden hat, aber es entbehrt wirklich jeder Grundlage.« Die Wiesnwirte müssen die grobe wie die feine Klinge beherrschen, das ist an diesem ersten offiziellen Termin des Oktoberfestes 2012 auch an ihrer Kleidung erkennbar: Denn Roiderer und seine Kollegen tragen fast alle Hemd und Krawatte und darüber einen Trachtenjanker.

In dem Ausnahmezustand, der München Mitte September für 16 Tage ereilt, sind sie die herrschenden Figuren: die Wirte der großen Bierzelte, die sich vom Haupteingang des Oktoberfestes bis in die Seitengasse an der Bavaria-Statue aneinanderreihen. Gerade in den letzten zehn, 15 Jahren sind diese Zelte, ehedem von Familien und Alteingesessenen besucht, zum Schauplatz einer immer ausschweifenderen Feierkultur geworden. Wem es gelingt, den Riegel der Sicherheitskräfte zu überwinden, der taucht in eine singende, nach Bier und Brathendl riechende Menschenwoge ein, die beim Eintreten befremdet, nach der ersten Maß belustigt und im Lauf der zweiten mitreißt.

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Die Öffentlichkeit kennt von diesen Wirten allenfalls die folkloristische Seite. Über den jährlichen Umsatz ihrer Bierzelte kursieren magische, gleichwohl nie bestätigte Summen. Der Wettbewerb in München, Teil dieses gastronomischen Olymps zu werden, soll erbittert und intrigant sein. Es gibt sogar eine Tatort-Folge, in der ein korrupter Stadtrat von abgewiesenen Kandidaten ermordet wird. Unter der rustikalen Oberfläche des Oktoberfestes verlaufen also komplexe Systeme, in denen es um Macht, Geld und Ruhm geht. »Die Wiesn ist kein Spaß, sondern knallhartes Business«, erzählt Gabi Weishäupl, die als Chefin der Münchner Tourismusbehörde das Oktoberfest von 1985 bis 2011 geleitet hat; »das sind alles beinharte Geschäftsmänner«, sagt auch Wilfried Blume-Beyerle, der Münchner Kreisverwaltungsreferent, zuständig für die behördliche Genehmigung. Was genau macht also einen Wiesnwirt aus, der Rausch und Kalkül vereinen muss? Wie gelangt man überhaupt in diese Position? Und wie stehen die Mitglieder der exklusiven Gemeinschaft zueinander, eher in einem Freundschafts- oder einem Konkurrenzverhältnis? Das sind die Fragen, die in den Tagen vor dem Oktoberfest 2012 einmal genauer besprochen werden sollen. 

»Der Weg einer Maß Bier durch die Bürokratie der Wiesn«

Auf der Theresienwiese stehen jedes Jahr 14 große Zelte: die der Münchner Brauereien (Spaten, Löwenbräu, Hofbräu, Augustiner, Paulaner sowie Hacker und Pschorr, die seit vierzig Jahren fusioniert sind, aber das fällt in der langen Tradition der Wiesn nicht ins Gewicht), die der beiden größten bayerischen Schützenvereine (Armbrustschützenzelt und Schützen-Festhalle) und fünf von freien Wirten betriebene (Weinzelt Kuffler, Käfer, Schottenhamel, Hippodrom und Fischer-Vroni). Für das Zeitempfinden der Münchner übers Jahr sind diese Zelte ein vertrauter Indikator. Irgendwann im Juli tauchen die Gerüste auf dem leeren Oval auf, Vorboten des noch weit entfernten Ereignisses, und jedes Mal, wenn man in den Wochen darauf an der Theresienwiese vorbeifährt, haben sie sich ihrer endgültigen Gestalt wieder ein Stück angenähert.

Die Festwirte sind schon kurz nach der Lieferung der ersten Stahlgerüste regelmäßig auf der Baustelle. Ludwig Hagn, der dienstälteste unter ihnen und nach 18 Jahren in der Schützen-Festhalle seit 1979 Wirt im Löwenbräuzelt, kommt zweimal täglich für eine Stunde vom Max-Weber-Platz, wo er das Gasthaus »Unions-Bräu« betreibt, um die Arbeit der Handwerker zu verfolgen. Hagn, ein stämmiger Mann mit gezwirbeltem grauen Schnurrbart, ist eine Erscheinung wie der Volksschauspieler Gustl Bayrhammer, mit einem ebensolchen Erzähltalent, und wenn man seinem bedächtigen Münchnerisch zuhört, fühlt man sich sofort eigentümlich aufgehoben. An einem der glutheißen Nachmittage Mitte August balanciert der 72-Jährige mit erstaunlicher Leichtigkeit über die Holzleisten, die im Zelt noch die Treppen zwischen den Ebenen ersetzen. Gibt es wirklich alle paar Stunden wieder etwas Neues zu kontrollieren? »Ich geh halt durch und red mit den Leuten, und wenn ich was seh, dann sag ich ›Halt, des hamma letztes Jahr anders ghabt.‹« Er sieht alle zwei Minuten etwas, einen zu hoch gesetzten Gulli, der die Einfahrt der Lieferwagen blockiert, eine unnötige Wand an den Umkleidekabinen der Bedienungen, die Leisten an den neuen Fenstern über dem Eingang, deren Abnahme durch den TÜV ihm Sorgen bereitet.

Lange kann Ludwig Hagn über die Betriebsauflagen der Stadt München referieren, die immer umfangreicher werden, zuletzt nach der Katastrophe bei der Loveparade in Duisburg. Er hat kürzlich sogar ein Buch verfasst mit dem Titel Der Weg einer Maß Bier und eines Hendls durch die Bürokratie der Wiesn. Tatsächlich muss sich jeder Festwirt, sei er auch wie Hagn seit einem halben Jahrhundert dabei, Jahr für Jahr wieder zum 30. November neu bewerben; bis Ende April, wenn die Zulassung aller Wiesn-Betriebe beschlossen wird, ringen Wirte und Stadtverwaltung um das Ausmaß der Gartenflächen oder die Maßnahmen zum Brandschutz. »Wir haben Sicherheitsvorschriften, da schnallst’ ab. Theoretisch kann überhaupt nichts mehr passieren.« Vor 20 Jahren wurden in den großen Zelten zwei Dutzend Ordner pro Tag eingesetzt, heute sind es an den Wochenenden über hundert.

Wenn Hagn seine Rundgänge durch das halb fertige Zelt unternimmt, ist ein sonnenverbrannter, grundsätzlich mit nacktem Oberkörper arbeitender Mann in seiner Nähe. Toni Pletschacher und seine zwei Brüder organisieren mit 50 Angestellten den Aufbau für Löwenbräu und vier andere große Bierzelte. Die Zelte befinden sich inzwischen alle im Besitz der Firma Pletschacher und werden an die Brauereien oder privaten Wirte vermietet. Den Rest des Jahres über lagern ihre Bestandteile in Tausenden Containern auf einem Gelände bei Augsburg. Die Verständigung zwischen dem Wirt und dem Zimmerer, die sich seit Jahrzehnten kennen, ist so eingespielt, dass sich der Stand der Dinge mit einem Minimum an Sprache und Mimik klären lässt.

Hagn: »Passt alles?«
Pletschacher: Kopfnicken.
»Und, die Fenster?«
»Wird.«

Ingenieure des Rauschs

Die Wiesn ist ein rauschendes Fest, doch viel von dem, was nach altem Ritual oder einer Eruption der Gefühle aussieht, ist eher Effekt des Geschäftssinns. Die traditionellen Steinkrüge wurden ab den Fünfzigerjahren gegen Glaskrüge ausgetauscht, damit die Bedienung aus der Ferne sehen kann, ob ein Gast bald Nachschub braucht. Auf dem Holzboden, den die Wirte irgendwann über das Gras der Theresienwiese legten, entsteht durch das kollektive Tanzen und Stampfen eine Resonanz, die den Stimmungspegel und damit den Bierabsatz beschleunigt. Und das schöne Lied, das mit der Aufforderung »Oans, zwoa, drei, gsuffa« endet, wird von den Kapellen natürlich deshalb alle Viertelstunden angestimmt, damit die Leute über dem Singen nicht das Trinken und Neubestellen vergessen.

Sosehr alle Grenzen im Laufe des Abends verschwimmen, Wildfremde zu besten Freunden werden, Mauerblümchen zu weltumarmenden Hedonisten, so genau ist dieses Delirium von den Wirten vorberechnet worden. Wer sicheren Zugang zu einem Bierzelt haben will, benötigt eine Reservierung, für die exklusiven »Boxen« an den Rändern jederzeit, für das sogenannte »Schiff« in der Mitte zumindest unter der Woche. Dreimal am Tag wird jeder Tisch und jede Boxe vergeben; der Mindestverzehr liegt bei zwei Maß Bier und einem halben Hendl pro Person und muss im Voraus bezahlt werden.

Wenn man den hemdsärmeligen Reden Toni Roiderers zuhört oder einem Münchner Original wie Ludwig Hagn, gerät das ökonomische Geschick der Wiesnwirte leicht in Vergessenheit. Doch sie gehören, was Angestelltenzahl, Arbeitspensum und Verdienst angeht, zur Liga der Topmanager. Allein die Summen, mit denen zumindest die freien Wirte in Vorleistung gehen müssen, sind Jahr für Jahr beträchtlich; die Kosten für Einlagerung und Aufbau des Zeltes etwa betragen über zwei Millionen Euro.

Anschaulicher wird diese Facette der Wiesnwirte an jemandem wie Peter Schottenhamel, der bis vor zwei Jahren zusammen mit seinem Cousin Christian das nach der Familie benannte Zelt führte. Er trägt zwar auch mit Vorliebe Trachtenjacken, aber bereits sein klares Hochdeutsch unterscheidet ihn vom ersten Moment an von vielen der Kollegen. Schottenhamel, Spross jener gastronomischen Dynastie, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem Oktoberfest vertreten ist, arbeitete nach Brauereistudium und Lehre viele Jahre lang im Vorstand der Münchner Bank und gab erst 1982 diesen Posten auf.

Der Wiesnwirt als Bankier: Schottenhamel kann auf der Terrasse seines Gründerzeithauses, in einer Seitenstraße der Theresienwiese, mit Eloquenz von den verschiedenen »Vertragsgefügen« mit der Brauerei sprechen, von »Ganterpreisen«, »schlüsselfertigen Zelten« oder von der »Kundenpflege«, die das wichtigste Gut des Wirtes sei. »Der Chef einer großen Baufirma hatte immer an einem Tag während des Oktoberfests Geburtstag. Er wollte ihn bei uns jedes Jahr am gleichen Ecktisch feiern und hat dafür Gutscheine für 8000 Mark gekauft. Wenn ich das nur ein einziges Mal vergessen hätte …« In den 16 Tagen des Oktoberfests, sagt Schottenhamel, habe er ständig unter Schlafproblemen gelitten und sei schon um fünf in der Früh mit dem Auto die 300 Meter vom Haus zum Zelt gefahren, wo er dann jeden Tag bis Viertel nach elf abends blieb.

Alle Erzählfreude der Wirte endet schlagartig, sobald man sie zu ihren Umsätzen befragt. »Wenn jetzt einer verraten würd, was er verdient, dann war’ er schön blöd«, sagt Toni Roiderer und meint damit die Fülle der karitativen Anfragen, die er zu bewältigen hätte. Ludwig Hagn wählt gern den Vergleich, die Wiesn fühle sich an wie eine Olympiateilnahme, und wenn man sich erkundigt, ob diesen Herbst wieder Gold drin sei, antwortet er: »Es wird immer Gold.« Es ist die Frage aller Fragen im öffentlichen Umgang mit den Wirten, und ebenso interessant wie diese streng vertraulichen Summen (von denen noch zu sprechen sein wird) erscheint der Umstand, dass alle so ein Riesengeheimnis daraus machen. In den Boulevardzeitungen werden regelmäßig Tabellen mit den Gehältern der bestbezahlten Konzernchefs abgedruckt, der Verdienst von Lahm oder Schweinsteiger ist allgemein bekannt. Die Wiesnwirte aber, die sich fast in denselben Dimensionen bewegen, haben diese Auskunft zum Tabu erklärt.

Wie wird man Wiesnwirt?
Die Chance für einen Münchner Gastronomen, eines der großen Bierzelte zu übernehmen, ist minimal; in den letzten 22 Jahren wurde nur eine einzige frei werdende Stelle nicht innerhalb der Familie, sondern mit einem Neueinsteiger besetzt: das Paulaner-Zelt Winzerer Fähndl 2005 mit Peter Pongratz. Die Wiesnwirte, die sich bei ihrem Einzug auf die Theresienwiese durch die mit Zehntausenden Menschen gesäumten Straßen ohnehin wie verspätete Monarchen inszenieren, geben ihr Amt tatsächlich von Generation zu Generation weiter. Nicht überall ist diese Regelung so streng festgeschrieben, wie es Peter Schottenhamel erzählt, dessen Urgroßvater durch einen Familienvertrag bestimmte, dass nur »ein ehelicher männlicher Nachfahre mit Namen Schottenhamel« die Wirterolle ausüben darf. Doch auch das Bräurosl-Zelt von Pschorr oder die Fischer- Vroni werden schon in dritter Generation von der gleichen Familie betrieben.

Wie also wird man Wiesnwirt? Dieser Weg führt bei den freien Wirten über eine genaue Begutachtung ihrer Fähigkeiten durch die Stadt, bei den brauerei- oder vereinseigenen Zelten sogar über zwei Instanzen. Wird eine Stelle frei, muss zunächst die Brauerei einen Nachfolger nominieren, der dann vom Stadtrat bestätigt wird. In der Geschichte des Oktoberfestes ist es so gut wie nie passiert, dass dieser Vorschlag (in der Regel ein Abkömmling der Wirtsfamilie) im Rathaus abgelehnt wurde. Dem Votum der Brauerei kommt also entscheidende Bedeutung zu. Peter Kreuzpaintner, über 30 Jahre lang im Vorstand von Paulaner und Hacker-Pschorr, erinnert sich an die Anstrengungen, die viele Münchner Wirte unternommen haben, um für das Winzerer- Fähndl-Zelt ausgewählt zu werden. Peter Pongratz ist mit Arabella Schörghuber verheiratet, deren Familie Haupteignerin der Paulaner-Brauerei ist, und da es nach zwei gescheiterten Bewerbungen zu erwarten war, dass er nun ein Zelt erhalten würde, musste sich Paulaner gegen den Verdacht der Vetternwirtschaft absichern. »Wir haben den letzten sechs Kandidaten deshalb einen umfangreichen Fragenkatalog vorgelegt, um ihre Kompetenzen exakt vergleichen zu können.«

Kreuzpaintner erzählt, dass die anderen Bewerber alles Mögliche versucht haben, um Pongratz auszustechen; es wurden Präsentkörbe an die Brauerei geschickt oder aufwendige Computersimulationen zur künftigen Gestalt des Zeltes vorgeführt. Wie tief sitzt die Kränkung bei einem erfolgreichen Großgastronomen, wenn es ihm zeit seines Lebens verwehrt bleibt, das zu erlangen, was von den Wirten wahlweise als »Gipfel«, »Himmel«, »Olymp«, »Juwel« oder »Lottogewinn« empfunden wird? (Peter Pongratz bezeichnet sich und seine 13 Kollegen mit einem wagemutigen Vergleich sogar als »Päpste der Gastronomie«.) »Sehr tief«, sagt Kreuzpaintner und erwähnt den berüchtigten Wirt des Münchner »Bratwurst Glöckls«, Michi Beck, der 2009 auf der Flucht vor den bayerischen Steuerbehörden in Asien gestorben ist. Eines Tages forderte Beck von der Paulaner-Brauerei ein Wiesnzelt, obwohl nicht einmal eines frei wurde. »Da hätten wir ja jemanden verjagen müssen«, sagt Kreuzpaintner. Paulaner wollte dem Wirt zur Besänftigung ein zusätzliches Lokal in Schwabing verpachten, doch sein Ärger blieb so vehement, dass er in seinem brauereifreien »Bratwurst Glöckl« schließlich Augustiner-Bier ausschenkte.

Dichtung und Wahrheit
Von der Münchner Bevölkerung wird die Besetzung der Wiesnzelte von jeher mit Misstrauen registriert; es bleibt in den Augen der Öffentlichkeit immer ein Rest an Filz und undurchsichtigen Machenschaften, wenn es darum geht, wem diese 14 ambulanten Gelddruckmaschinen überlassen werden. Wie tief die Vorstellung einer leicht mafiösen Organisation sitzt, beweist der Tatort »A gmahde Wiesn« von 2007. Der Mord an einem Münchner Stadtrat bringt in dem Krimi zahlreiche Verdächtige hervor, weil das Opfer seinen Einfluss bei der Vergabe von Zeltlizenzen jahrelang missbraucht und Geldbeträge oder Liebesdienste von Wirtinnen und Wirten entgegengenommen hat.

Im Film trägt der für die Wiesn zuständige Kommunalpolitiker den Namen Hubert Serner. Sein reales Vorbild, bis zu den Initialen des Namens, heißt Helmut Schmid und sitzt für die SPD im Münchner Rathaus. Seit den Achtzigerjahren ist er »Verwaltungsbeirat Veranstaltungen« (im täglichen Sprachgebrauch nur »Wiesn-Stadtrat«) und bearbeitet Jahr für Jahr die Bewerbungen der Schausteller und Wirte. Den Tatort hat er vor fünf Jahren gesehen und sich über die Bestechlichkeit des fiktiven Stadtrats und die schlampige Recherche (Lizenzen, die vier Wochen vor Beginn des Oktoberfests vergeben werden!) kolossal aufgeregt.

Wollte er sich damals beim Bayerischen Rundfunk beschweren?
»Ach, das wäre leider verschwendete Zeit. Ich hab versucht, mit den Schauspielern ein Gespräch zu führen. Um ihnen zu erklären, was für einen Schmarrn sie da gespielt haben!«

Die Darsteller der Komissare, Udo Wachtveitl und Miroslav Nemec, wollten aber nicht mit ihm reden.  
Hat er schon einmal selber etwas angeboten bekommen von einem Oktoberfest-Bewerber?
»Nie. Es hätte auch keinen Sinn. Die Vergabe ist letztendlich ein Gremiumsbeschluss. Im Wirtschaftsausschuss oder in der Vollversammlung könnte jeder Stadtrat aufstehen und eine unverständliche Entscheidung bei der Vergabe in Frage stellen.«

Die Paten der Theresienwiese

Wenn sich die Wiesnwirte der Öffentlichkeit präsentieren, wie bei der Vorstellung ihres selbst gestalteten Maßkruges, nimmt man sie als Einheit war. Sie betreiben die Traditionsgaststätten in der Münchner Innenstadt und die größten Biergärten, und im Herbst werden sie zum Oktoberfest berufen wie die besten Vereinsspieler zur Nationalmannschaft. Sobald man den einzelnen Menschen näherkommt, bemerkt man aber, wie breit das Spektrum der Charaktere und Biografien ist; ein Wiesnwirt kann Bankdirektor sein oder cleverer Metzger, der darunter leidet, nie Englisch gelernt zu haben, ein »gstandenes Mannsbild« im Roider’schen Sinne oder eine Frau, wie Anneliese Haberl und ihre Tochter Antje Schneider beweisen, die seit dem Tod von Hermann Haberl nun im zweiten Jahr die Ochsenbraterei leiten.

Wie eng oder distanziert ist also das Verhältnis der Wiesnwirte zueinander; hält der häufig zitierte Gipfel der Gastronomie genügend Platz für so viele verschiedene Persönlichkeiten bereit? »Man sieht sich selten gezielt«, sagt Peter Schottenhamel; Ludwig Hagn formuliert den Satz: »Man versteht sich sehr gut, aber geschäftlich geht jeder seinen Weg.« Jeder der Wirte kommt schnell auf die Konkurrenz zwischen den Zelten zu sprechen, die zwar seit der unglaublichen Popularität des Oktoberfests von mittags bis spätabends nachgelassen hat, aber vor allem unter Wirten der gleichen Brauereigruppe weiterhin immens ist. Auch Wilfried Blume-Beyerle muss auflachen, als in seinem Dachbüro mit Panoramablick (das den Eindruck vom stickigen Münchner Kreisverwaltungsreferat für alle Zeiten relativiert) die Rede auf die Verschworenheit der Wirte kommt: »Nein, die sind nur so lange eine Einheit, wie sie gegenüber der Stadt gemeinsame Interessen vertreten: mehr Gastplätze, höhere Preise, lautere Musik.«

Dass sich die Wirte aber trotz ihrer Differenzen und auch vereinzelter Antipathien als Gemeinschaft begreifen, zeigt ein seit mehr als 30 Jahren gepflegtes Ritual: Jeden Frühling unternehmen sie eine gemeinsame dreitägige Städtereise. »Ja, wir fahren in Urlaub miteinander, wie eine Großfamilie, mit den Kindern und sogar den früheren Wirten«, erzählt Ludwig Hagn. Dieses Jahr ging es nach Istanbul, letztes Jahr war es Stockholm, was den meisten Wirten aber nicht zusagte, weil, so Schottenhamel, »man gleich merkt, dass da seit vierhundert Jahren Protestanten leben, alles Grau in Grau«. Das Reiseziel wird in einer der Sitzungen der »Vereinigung der Wiesnwirte« bestimmt, die vier-, fünfmal im Jahr stattfinden; einem der Wirte fällt dann die Aufgabe zu, das Programm zu gestalten. »Das Schwierigste ist immer, einen Termin zu finden«, erzählt Peter Schottenhamel, »die Ausflüge haben aber ihren Zweck erreicht, dass man sich im privaten Bereich etwas näher kommt.« An manchen Orten, etwa am Bahnhof von Luzern, ist die Reisegruppe so ehrenvoll empfangen worden wie eine Regierungsabordnung, mit Blasmusik und Bürgermeister. Sie kamen damals aber Stunden zu spät, weil sie ihren eigenen Kurswagen bei der Deutschen Bahn gemietet hatten und versehentlich auf einem Abstellgleis in Zürich landeten.

Es gibt nur einen einzigen »Externen«, wie ihn Ludwig Hagn nennt, der bei den jährlichen Reisen und den Sitzungen des Vereins dabei sein darf: der Anwalt der Wiesnwirte, Richard Seifert. Er hat auch das Amt des Fotografen inne bei diesen Ausflügen, und die Bilder der letzten Jahrzehnte, aus Capri, St. Petersburg, Nizza oder Rom, würden bestimmt eine großartige Ausstellung ergeben. Es hat seinen Sinn, dass gerade ein Jurist zum exklusiven Vertrauten der Gruppe geworden ist. Denn auch wenn Korruption und tödliche Intrigen auf der Wiesn ein Gespinst von Schriftstellerhirnen bleiben: Die Gemeinschaft der Wirte umhüllt sich tatsächlich mit einem leichten Schleier, der manche Angelegenheiten im Verborgenen halten soll und hinter dem es um männerbündische Begriffe wie »Werte« und »Ehre« geht. Ein loyaler Jurist als Schriftführer kann da nicht schaden.

Die »Vereinigung der Wiesnwirte« hat keine Satzung, keine konkreten Aufgaben, die Gastronomen sind auch nicht verpflichtet, ihr beizutreten. Und dennoch hat ihr Votum für die Mitglieder eine Bedeutung, hinter der alle offiziellen, von der Stadtverwaltung aufgestellten Gesetze verblassen. Diese Bedeutung wird klar, wenn Ludwig Hagn, der sanftmütige Mann, von seinem Kollegen Sepp Krätz spricht, dem Wirt des Hippodroms, der durch seine Werbeallianzen mit Prominenten oder wiederholte Vorwürfe der Körperverletzung immer wieder in den Schlagzeilen der Boulevardzeitungen steht. Hagns Erzählton wird plötzlich leise und streng, er sagt: »Die Wiesnwirte haben kürzlich alle miteinander freundschaftlich mit dem Krätz Sepp gesprochen und wir haben ihm Ratschläge gegeben. Er hat das hervorragend weggesteckt und ist abgekommen von seiner ganzen negativen Publicity. Man liest jetzt nichts mehr.«

Was könnte Krätz denn schlimmstenfalls passieren?
»Wir könnten ihn aus der Vereinigung der Wiesnwirte ausschließen, aber dann wäre es keine Gemeinschaft mehr.«
Und? Seine Konzession würde er ja behalten.
»Das hat damit nichts zu tun. Er dürfte an unseren Treffen nicht mehr teilnehmen.«
Welcher Ehrenkodex ist es, der in dieser Gemeinschaft herrscht?
»›Ehrenkodex‹ wär vielleicht zu viel gesagt. Aber es gibt Regeln, von denen man nicht abweichen sollte. Die Wiesnwirte sind halt ein Aushängeschild der Stadt.«

Und gegen welche Regeln hat Krätz genau verstoßen?
»Der Verstoß von Sepp Krätz war in erster Linie, dass die Bevölkerung nicht mehr einverstanden mit ihm war.«
Unter dem Eindruck dieser Ausführungen bekommt auch Toni Roiderers erster Satz bei der Krugvorstellung im »Andechser am Dom«, einem der Wirtshäuser von Krätz, noch einmal einen anderen Beiklang. »Wir sind heute beim Sepp zu Gast«, hatte er gesagt »aus Verbundenheit zu ihm und um ihm zu zeigen, dass wir ihn alle mögen.« Es müsste einmal ein bayerischer Martin Scorsese kommen, um die Welt dieser Paten genauer zu porträtieren.

Die Seele des Zelts
Dass die Wiesnwirte alles in allem ein gefestigtes Kollektiv bilden, hat zu einem guten Teil wohl mit der unaufhörlich ansteigenden Beliebtheit des Oktoberfests zu tun, vor allem unter den jüngeren Besuchern. Vor einem Vierteljahrhundert war das Durchschnittsalter der Gäste Mitte 40, heute ist es um die 20, sagt Peter Schottenhamel, und der Grund für diesen Umschwung hängt mit dem Musikstil in den Bierzelten zusammen. Ende der Achtzigerjahre - Schottenhamel und Roiderer konkurrieren um die Pionierrolle - wurden die Blasmusikkapellen durch Bands ersetzt, die auch zeitgenössische Popmusik im Repertoire haben. Diese Veränderung spülte ein neues, aufgekratztes Publikum in die Zelte.

Heute tanzen Tausende von jungen, in Dirndl und Lederhosen gekleidete  Besucher auf den Bänken, und auch für diese merkwürdige Entwicklung haben die Wirte eine Erklärung. Ludwig Hagn - nicht nur ein Bilderbuchwirt, sondern auch ein exzellenter Soziologe des Oktoberfests - spricht die druckreifen Sätze: »Vielleicht ist der Erfolg der Wiesn darin begründet, dass wir eine Single-Gesellschaft sind, dass die Familienbildung weiter zurückgefahren worden ist und die Leute, ohne dass sie das nach außen tragen, Existenzangst haben. Auf der Wiesn sind sie für ein paar Stunden in einer Gesellschaft, in der alle dasselbe wollen; das ist wie beim Public Viewing.«

In seinem eigenen Zelt, sagt er, spiele das Familiäre eine besonders große Rolle. Wenn er durch die Reihen geht, erkennt er jedes Jahr die Gesichter von sicher 80 Prozent der Besucher wieder. Und dieselbe Kontinuität gilt auch für Hagns 400 Angestellte: »Ich habe 160 Bedienungen, und von 120 davon kenne ich die Vornamen.«
Und wie ist die Fluktuation bei Ihnen?
»Fast null.«
Das heißt, die 400 Leute, die 2011 für Sie auf dem Oktoberfest gearbeitet haben, sind auch dieses Jahr wieder dabei?
»Genau. Nur die schwangeren Bedienungen haben Babypause.«

Diese Erzählungen vermitteln noch einmal ein anderes Bild aus den Bierzelten als die bekannten Szenen von feierwütigen jungen Touristen, die ihre Maßkrüge gegeneinanderkrachen lassen. Tatsächlich besitzt jedes der 14 Zelte eine eigene Identität, vom gemächlichen Betrieb in der Ochsenbraterei oder bei Löwenbräu über das junge Münchner Schottenhamel-Publikum (das laut seinem langjährigen Wirt auf die Beliebtheit des Zeltes bei Studentenverbindungen Anfang des 20. Jahrhunderts zurückgeht) bis zu den internationalen Massendelirien im Hacker- und Hofbräuzelt.

Antje Schneider, Wirtin der Ochsenbraterei, hat dazu eine schöne Theorie: »Eigentlich ist es ganz einfach«, sagt sie, »man muss nur den Wirt anschauen - und so ist sein Zelt.« Und dann geht sie die Kollegen einen nach dem anderen durch und sieht sich in ihrer Theorie bestätigt: das brodelnde, laute Hacker-Zelt Roiderers, »so wie der Toni halt ist«, das moderne, dem Zeitgeist angepasste Hippodrom, das akkurate Weinzelt Kuffler, die Schützen-Festhalle Edi Reinbolds, »schick wie er«. In der eigenen Ochsenbraterei führt sie deshalb auch keine Neuerungen ein seit dem Tod ihres Vaters, »weil das nicht seinem traditionsverbundenen Charakter entsprechen würde«. Das Zelt, ein Abdruck der Seele jedes Wirtes.

Das letzte Geheimnis
Und was verdient nun ein Wiesnwirt? Diese Frage ist noch offen. Eine Marktforschungsstudie der Münchner Tourismusbehörde, 2010 in Auftrag gegeben, hat ermittelt, dass auf jedem Oktoberfest insgesamt rund 400 Millionen Euro umgesetzt werden. Das ist die genaueste offizielle Zahl, die es gibt. Auf die 14 Bierzelte fallen davon offenbar 120 Millionen Euro, wobei die umsatzschwächsten unter ihnen etwa fünf, die stärksten über zehn Millionen einnehmen. Stadtpolitiker, Brauereivertreter und Wirte erzählen unter der Hand gern von der Bedeutung, die nach jedem Oktoberfest die Liste der umsatzstärksten Zelte einnimmt; Toni Roiderer, der mit eigenen Worten »unheimlich Ehrgeizige«, hat sich in den letzten Jahren an die Spitze dieses Rankings gesetzt, und er bringt das Gespräch im Kollegenkreis wohl auch mit großem Vergnügen auf dieses Thema. Ein Profit, ein Profit der Gemütlichkeit.

Fotos: Robert Brembeck