»Ich erhielt vor Kurzem eine Mail, bei der es am Schluss hieß: ›Mit wenig freundlichen Grüßen‹. Ich hatte dies noch nie gelesen. Ist das einfach nur unhöflich, oder was soll damit gesagt werden?« Heidi Z., München
Ach, ist das schade, dass Sie uns die Vorgeschichte nicht erzählen. Denn: Ja, das ist einfach nur unhöflich. Beziehungsweise ist es nicht nur einfach unhöflich, es ist mit Vorsatz unhöflich. Die ungebräuchliche Grußformel »Mit wenig freundlichen Grüßen« ist das schriftliche Äquivalent zu einem Abgang mit Türenknallen. Wer auch immer Ihnen dies schrieb, hasste Sie in diesem Moment. Und zwar heiß und leidenschaftlich, Sie werden noch wissen, warum. Auf jeden Fall hatte diese Person sich nicht im Griff. Schön daran ist, dass es immerhin eindeutig ein echter Mensch war, der Ihnen schrieb – niemals würde eine KI sich zu einem solchen Fauxpas hinreißen lassen. Das ist ja das Eklige an künstlicher Intelligenz. Nein, dies schrieb jemand, in dessen Adern warmes Blut pulsierte und dessen Herzschlag in diesem Moment beschleunigt war. Jemand, der nicht verstanden hat, dass nichts so kalt und grausam sein kann wie formvollendete Höflichkeit. Und der einen der wichtigsten Grundsätze unseres Jahrhunderts nicht beherzigte: Beantworte niemals eine Mail in Rage.
Ihnen hingegen kann man zu Ihrer Reaktion nur gratulieren: Statt derart angepöbelt selbst in Rage zu geraten und sich mit einer Mail zu revanchieren, für die man sich Tage später in Grund und Boden schämt, weichen Sie der Konfrontation elegant wie ein Fechtmeister aus und ziehen eine dritte Instanz hinzu, die den Angriff des Gegners bewerten soll. Bis Sie diese Antwort hier erreicht, wird sich Ihr Mütchen, so es denn je erhitzt war, wieder heruntergekühlt haben. Sie werden sich kaum noch an den Vorfall erinnern. Es ist nunmehr zu spät für irgendeine Reaktion. Perfekt. Wie wusste schon Julien Sorel, der Held aus Stendhals Rot und Schwarz: »Höflichkeit, sagte er sich, ist nichts als das Fehlen des Ärgers, der einem schlechte Manieren bereiten würde.«