»Ich bin Elternbeiratsmitglied an einem Gymnasium. Oft betonen Eltern mir gegenüber in übertriebener Weise die intellektuellen Fähigkeiten ihres Kindes. Ich ärgere mich sehr über dieses Angeben, vor allem wenn ich weiß, dass das Lob nicht wirklich gerechtfertigt ist und andere Eltern mithören, deren Kinder vielleicht weniger begabt sind. Ich behalte meine Gefühle für mich. Ist das richtig?« Anonym
Eine Rückfrage: Wer außer den eigenen Eltern sollte denn an ein Kind glauben? So nervig es für Sie sein mag, jeden seinen eigenen Nachwuchs loben zu hören, allein schon vom Zeitaufwand her – ist es nicht eigentlich ganz schön? Keine Sorge, das Leben wird diese potenziellen Überflieger schon noch auf Mittelmaß zurechtstutzen. Oder vielleicht ist ja wirklich eine neue Curie, ein neuer Einstein dabei – ausgerechnet an Ihrem Gymnasium. Wer weiß das schon?
Wenn ich Sie richtig verstehe, hören Sie sich bisher äußerlich ruhig, aber innerlich kochend die Lobpreisungen des jeweils eigenen Nachwuchses an, ohne das Ganze weiter zu kommentieren. Ich möchte Ihnen dazu raten, diese Contenance beizubehalten. Lassen Sie die Eltern einfach angeben, offenbar haben die das nötig, was auch immer das wiederum zu bedeuten hat (klingt ja beinahe, als müssten sie es sich selber erzählen und sich so über den Umweg ihres Kindes dazu gratulieren, wie unglaublich toll sie selbst sind).
Vielleicht aber könnten Sie etwas für die Schülerinnen und Schüler tun, deren Eltern die Begabung ihrer Kinder etwas übersehen? Loben Sie diese Schüler. Sie müssen ja nicht lügen, aber irgendein bemerkenswertes Detail findet sich schon. Diese Eltern werden möglicherweise überrascht darüber sein, was andere in ihrem Nachwuchs sehen, welches Talent, welchen Mut, welche Originalität. Vielleicht sehen sie ihre Kinder anschließend mit anderen Augen, und wer weiß, welche Auswirkungen das wiederum auf ihre Kinder hat. Ach so, und wenn Sie es irgendwie einrichten können, und das können Sie doch ganz bestimmt, dann loben Sie die Übersehenen so, dass es die nervigen Angeber-Eltern auf jeden Fall mitbekommen. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie sich selbst damit eine Riesenfreude machen, ohne jemandem zu schaden.