Darf ich darauf bestehen, dass ein Fötus erbt?

Das Testament sagt, dass alle Urenkel 10.000 Euro erben sollen. Einer ist noch nicht geboren, aber unterwegs. Können die Eltern das Erbe für das Ungeborene einfordern?

Illustration: Serge Bloch

»Mein Vater ist gestorben. Sein Testament lautet unter anderem: ›Meine Urenkel sollen jeweils € 10.000 er­halten.‹ Nun ist einer der Urenkel noch nicht geboren, aber unterwegs. Seine Witwe, meine Mutter, sowie fast alle anderen gehen davon aus, dass der ungeborene Urenkel mit dem Vermächtnis nicht gemeint ist. Mein Mann dagegen meint, auch dem Ungeborenen stehen 10.000 Euro zu. Ich schäme mich, dies gegenüber ­meiner Mutter anzusprechen. Mein Vater hat seine ­vielen Enkel und Urenkel großzügig bedacht. Ist es nicht dreist, jetzt noch mehr zu verlangen?« Regine B., München

Ich gestehe, anfangs dachte ich, Ihre Frage sei eine dieser Denksportaufgaben, wo man am Ende beantworten muss: Wer ist der Vater? Oder: Wie viele Kinder gibt es insgesamt? Es dauerte auch einen Moment, bis ich die Familienverhältnisse verstanden hatte. Das noch ungeborene Kind ist also Ihre Enkelgeneration. Ihre Tochter oder Schwiegertochter (oder eine von einem Ihrer Kinder beschäftigte Leihmutter – dies der Vollständigkeit halber, mehr Möglichkeiten fallen mir dann aber auch nicht ein) ist gerade schwanger.

Mein Gefühl wäre, dass es völlig egal ist, was mein Gefühl wäre. Denn für so etwas gibt es Fachleute. Es wird ja nicht das erste Mal sein, dass jemand, der etwas zu ver-erben hat, ausgerechnet dann stirbt, wenn ein Nachfahre erst unterwegs ist. Ich habe den Münchner Rechtsanwalt Anton Steiner gefragt, der als Fachanwalt für Erbrecht viele Testamente vollstreckt hat und außerdem Präsident des Deutschen Forums für Erbrecht ist. Er sagt: »Vorrang hat die Testamentsauslegung.« Das bedeutet, es kommt darauf an, wie man den letzten Willen interpretiert. Wenn davon auszugehen ist, dass der Urgroßvater tatsächlich seine Urenkel in ihrer Gesamtheit meinte, wie er vielleicht auch all seine Enkel gleichermaßen bedacht hat, und dieser letzte Wille nicht spezifisch personenbezogen war, dann ist es tatsächlich so, dass auch dem noch ungeborenen Urenkel 10.000 Euro aus dem Erbe zustehen. Vor dem Recht ist schon ein Fötus erbberechtigt (§ 1923 Abs. 2 BGB). Beziehungsweise eine Eizelle, die zum Zeitpunkt des Ablebens des Erblassers (hier: des Urgroßvaters) bereits befruchtet war. Im Zweifel begünstigt das Recht hier übrigens das noch ungeborene Kind. Ob Sie sich schämen, noch mehr zu verlangen, ist allein Ihre Sache. Von Rechts wegen scheint Ihrem nächsten Enkelkind das Geld zuzustehen.