Das ist selten: Auf Platz 4 der deutschen Charts steht diese Woche ein französischer Song. Er heißt »Avenir«, also »Zukunft«, doch natürlich kauft kaum jemand in Deutschland ausgerechnet wegen der Textzeilen französische Songs. Die Sprache schafft es eher selten in die Top 5: zuletzt 2010, da war es der Hit »Alors On Danse« von Stromae. Fünf Jahre später also »Avenir« - warum?
Sehen wir uns kurz die Eckdaten der Sängerin an. Louane Emera hat mit ihren 18 Jahren schon einen respektablen Lebenslauf: Als Achtjährige beim ersten Musikwettbewerb angetreten, mit 13 bei der ersten TV-Castingshow, mit 16 bei einer anderen. Im Anschluss schaffte sie es mit einem Song in die französischen Top 10 und bekam letztes Jahr die Hauptrolle in der Komödie »Verstehen Sie die Béliers?«. Darin spielt sie die Tochter von zwei Taubstummen, die unbedingt Sängerin werden will. Das Titellied (von ihr gesungen) wurde gleich wieder ein Hit in Frankreich (Platz 2). Und mit der Rolle gewann sie einen »César«.
Warum also entdeckt Deutschland diese Louane Emera erst jetzt? Schließlich lief der Film auch hier recht erfolgreich im Kino, es hätte also auch einer ihrer ersten beiden Hits mal rüberkippen können ins Nachbarland. Diese beiden Lieder (»Jour 1« und »Je vole« aus dem Kinofilm) sind zarte Chansons, fein-säuselige Hits. Schon sehr französisch, aber nichts, was sich einem hiesigen Ohr grundsätzlich versperren würde.
Und doch: die Deutschen hören Louane Emera erst jetzt, wo sie »Avenir« singt, eine poppige Umpta-Umpta-Nummer, die ganz anders klingt als ihre bisherigen Songs. Jawoll, das geht gut rein, das könnte man ohne weiteres ins deutsche Jahres-Best-Of mischen, nahtlos zwischen die anderen Elektrohits der letzten Monate - aber französisch ist daran eigentlich nur noch die Stimme.
Womit wir zurück bei der Eingangsfrage wären: Das Erfolgsrezept von Louanes neuem Hit ist seine dezidierte Heimatlosigkeit. Der Text ist französisch - aber das Drumherum ist ein Mantel aus bewusst generischem Elektropop, wie er völlig selbstverständlich auch aus einem Osnabrücker Tonstudio stammen könnte. Ein französisch-trojanisches Pferd.
Erinnert an: Industriespionage
Wer kauft das? Abgesehen von den Deutschen: Franzosen (Platz 1) und Belgier (Platz 5).
Was dem Song gut tun würde: Etwas mehr Nationalbewusstsein, mon Dieu!
Foto: Universal Music