Seit letzter Woche liefert der Chartermittler Gfk Entertainment einen direkten Blick ins Hirn von Extremisten. Es gibt eine neue Hitparade, die Vinyl-Charts. Was erstmal kein Wunder ist, sondern die logische Folge eines Trends: Seit ein paar Jahren gehen die Vinyl-Verkäufe durchs Dach, letztes Jahr verkauften sich 1,8 Millionen Platten, 33 Prozent mehr als im Vorjahr. Verglichen mit dem Rest der Musikverkäufe ist die Schallplatte zwar immer noch ein winziger Splitter - aber ein besonders interessanter.
Denn weil es nur ungefähr eine halbe Million Vinyl-Käufer gibt, sind sie extrem scharf definiert. So klar umrissen ist keine andere Hörergruppe. Nur mal zum Vergleich: Wer CDs kauft, ist ein Marktforschungs-Wolpertinger, zu 58 Prozent Mann, 42 Prozent Frau, irgendwo zwischen Ende 30 und Mitte 60. Ah ja, so so. Aber vom Vinyl-Käufer zeichnet das Jahrbuch der Musikindustrie ein fast schon holografisch genaues Bild. Dieser Käufer ist tatsächlich ein »er« - 80 Prozent aller Schallplatten werden von Männern gekauft. Und nicht von irgendwelchen, sondern von 40- bis 49-jährigen. Sie bezeichnen sich selbst als riesige Musikfans. Sie sind sozusagen Anti-Helden der Streamingkultur: Wo alle nur noch Spotify-Abos abschließen, wendet sich der Vinyl-Mann zurück zur haptischen Platte – wenn er sich überhaupt je abgewendet hatte. Er beklagt sich laut Jahrbuch-Statistik besonders gerne, dass »überall die gleiche Musik« laufe. Der Vinyl-Mann hört nicht irgendeinen Murks, der gerade läuft – im Gegenteil.
Uns von der Chartkolumne freut das natürlich. Neben der elendig basisdemokratischen Mainstream-Hitparade, die von jedem Schulhof-Streamer mitgesteuert und verwässert wird, liegt uns von nun an immer auch eine Liste der Platten vor, die Gourmet-Hörer bevorzugen. Also Geschmacks-Extremisten, Edelohren, die wählerischsten Käufer, die die Branche zu bedienen hat!
Und, was hören die nun?
Platz 1: Das neue Album von Iron Maiden.
Platz 2: Das neue Album von David Gilmour.
Platz 3: Das neue Album von Slayer.
Platz 4: Das neue Album von Keith Richards.
Platz 5: Das neue Album von Motörhead.
Wer es also im Jahr 2015 ernst meint mit der Musik, hört Bands, die seit 30 Jahren exakt das gleiche machen. Die chartgewordene Langeweile.
Um das mal ins Bild zu setzen: Die Deutschen kaufen also Alben von schwäbischen Schlagersängern, US-Rappern oder schwedischen DJs in die Top 5 der Charts – aber auf Vinyl wollen sie nur Heavy Metal und Hard Rock? Ist es die unbeirrbare Konstanz dieser Musikrichtung, die besonders gut zum altmodischen Medium der Vinylpressung passt? Oder prügelt die Double-Bass besonders brachial, wenn man sie über den Plattenspieler hört?
Wahrscheinlicher ist eine andere Erklärung – auch sie geht aus der Jahrbuch-Statistik hervor. Der Vinyl-Mann legt nämlich am allermeisten Wert auf “Bonusmaterial und Booklets”. Verständlich, dass so jemand lieber die 12-Zoll-Platte kauft als die Motörhead-Playlist auf Spotify zu abonnieren. Gerade die Cover von Metal-Alben sind ja berühmt für ihre kleinteilige Ästhetik (Nicht-Fans würden vielleicht sagen: dieser Kitsch mit den vielen Monstern, Schwertern und Totenschädeln). Und schließlich ist es kein Wunder, dass das Vinylcover sich ausgerechnet in der Szene hartnäckig hält, die vor Jahrzehnten Jeanskutten mit Aufnähern erfunden hat. Das Schallplattencover ist das neue Band-Shirt.
Erinnert an: Die oberste Zeile auf dem “Rock im Park”-Plakat (1993 bis heute)
Wer kauft das? Gitarrenlehrer (zwischen 40 und 49)
Was den Charts gut tun würde: Der Abwechslung halber: Wenn die Bravo Hits mal auf Vinyl rauskämen!
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