Hoffnung

Kommt dann doch alles anders: die schönsten Prophezeiungen über die ganze Sache mit den Computer.

    »Arbeitslosigkeit würde für immer vom Antlitz der Erde verschwinden. Denn bedenken Sie die Größe der Aufgabe, die Programme des Netzes an all die neuen Generationen von Computern anzupassen, die immer schneller aufeinanderfolgen werden, bis die gesamte Weltbevölkerung in einem unendlichen Crescendo von Fehlerbehebungen beschäftigt ist.« Joseph C. R. Licklider, Computerpionier, April 1968

    Tatsächlich kam es so: Im April 2010 waren allein in Deutschland rund 3,6 Millionen Menschen arbeitslos.
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    »Die Zahl der Berufstätigen, die täglich zwischen Wohnung und Arbeitsplatz hin- und herfahren, wird sinken. Das entlastet Straßen, Eisenbahnen, U- und S-Bahnen. Die Städte werden weniger verschmutzt und überfüllt sein.« P. J. Blumenthal, »PM Magazin«, Juni 1994 Tatsächlich kam es so: Die Zahl der Pendler stieg in Deutschland zwischen 1994 und 2008 um 3,1 Millionen auf 34,6 Millionen. Das sind laut Statistischem Bundesamt fast 90 Prozent der Berufstätigen.
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    »Geschäftemacherei aber, so die Übereinkunft der globalen Gemeinde bisher, hat im Netz nichts zu suchen.« Der Spiegel, August 1994

    Tatsächlich kam es so: eBay verzeichnete im vergangenen Jahr einen Gewinn von 1,8 Milliarden Euro.
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    »Es werden diejenigen von uns gefragt sein, die Inhalte produzieren. Der Marktwert von Journalisten und Redakteuren wird deutlich steigen.« Marshall Loeb, »New York Times«, Mai 1994

    Meistgelesen diese Woche:

    Tatsächlich kam es so: Die Printmedien befinden sich in einer
    historischen Krise.

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    »Fast alles wird über eine Internet-Protokoll-Adresse verfügen - Getränkeautomaten, Ihr Kühlschrank, vielleicht Ihr Toaster. Wir alle werden IP-Adressen haben und genau dies wird das Internet herstellen: die Vernetzung von Geräten.« John Patrick, Vize-Präsident von IBM, Januar 1995

    Tatsächlich kam es so: Toaster sind heute doch nicht online.
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    »Mit der VirtualTouch-Technologie können potenzielle Käufer Kleidung prüfen, als wären sie in einem Showroom - über ein Headset können sie das Gewebe in einer virtuellen Welt ›erfühlen‹. Dieser ist über einen Satelliten mit der VirtualTouch-Webseite verbunden.« Peter McGrath, »Newsweek«, Januar 1997

    Tatsächlich kam es so: Virtuelle Probierkabinen gibt es inzwischen zwar, durchgesetzt haben sie sich nicht. Wer den Stoff eines Kleidungsstücks erfühlen möchte, muss es dafür immer noch in die Hand nehmen.
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    »Auch sehr ungewöhnliche, esoterische, avantgardistische, selbst tabuisierte Sujets und Künstler finden ihr Publikum. Das Internet sorgt für eine weltweite und kostengünstige Verbreitung ihrer Werke.« Winfried Schulz, Kommunikationswissenschaftler, 1997

    Tatsächlich kam es so: Das Internet ist voll von ungewöhnlichen Seiten. Dass alle avantgardistischen Sujets jedoch auch ein Publikum finden, kann man nicht sagen.
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    »In Zukunft werden wir unsere Beziehungen über das Internet pflegen. Die von uns entwickelte digitale Vase erinnert an Freunde und Verwandte. Das funktioniert so: Per Funk ist sie mit einem Internet-PC verbunden. Jedem Blütenstiel in der Vase ist ein Freund zugeordnet. Hängt der Stiel weit nach unten, wissen Sie mit einem Blick auf die Vase, seit Wochen haben Sie nicht mehr mit Tante Gertrud telefoniert. Leuchtende Knospen zeigen an, wer angerufen hat.« Ian Pearson, »Wirtschaftswoche«, März 2003.

    Tatsächlich kam es so: Die digitale Vase hat sich nicht durchgesetzt, aber der Rest der Prophezeiung eingetreten.  
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    »Sie werden auch imstande sein - vielleicht nicht in meinem Leben, aber sicherlich bald -, ein unauffälliges Gerät zu tragen, das in voller Farbe und Ton alles aufnehmen wird, was Sie sehen oder worauf Sie zeigen.« Robert W. Taylor, »New York Times«, Dezember 1999

    Tatsächlich kam es so: Die Prophezeiung ist eingetreten.
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    Illustration: Christoph Niemann