Aber Anspielungen alleine reichen ihm nicht aus. Also rief er kurzerhand das Museum of Modern Fiction ins Leben, einen Blog, in dem ausschließlich Fabeln erzählt werden, Gute-Nacht-Geschichten für Erwachsene, wie Lee sie nennt. Für Erwachsene deshalb, weil in den Geschichten keine Rücksicht auf genretypische Konventionen genommen wird, es gibt keine, oder sagen wir andere, Happy Ends. Da werden eher Obszönitäten ausgeschmückt. Auch wenn die Erzählungen optisch sehr stark an eine Kinderbuch-Ästhetik angelehnt sind, die Geschichten sollten Eltern lieber alleine lesen. Oder anderen Erwachsenen zeigen; Menschen, die Sarkasmus ganz sagenhaft finden. Menschen, die auf der dunklen Seite des Humors stehen. So wie Josef Lee.
Haben Sie Angst davor, dass die Menschheit ihr Interesse an Märchen verlieren könnte?
Das Szenario im Einleitungstext ist bewusst so dunkel und trostlos gehalten. Ich wollte damit die Wichtigkeit von Märchen unterstreichen. Gerade für Kinder. Man sollte Märchen nicht als gegeben hinnehmen, wenn man älter wird. Ich glaube zwar, dass das klassische Märchen auch in Zukunft weiter erzählt werden wird, aber gleichzeitig muss man auch sehen, dass Kinder, die einen mehr und mehr digitalen Background haben, allmählich das Interesse an der klassischen Erzählform verlieren könnten.
Aber neue Technologien können doch neue Formen des Märchenerzählens mit sich bringen?
Meine Befürchtung ist, dass Kinder, die in einem Umfeld aufwachsen, in dem das technologische Wunder einfach dazu gehört, Probleme mit Ausgedachtem, also Fantasieprodukten, haben könnten. Verglichen mit den Kindern von damals.
Warum brauchen wir überhaupt noch Märchen?
Märchen beflügeln unsere Fantasie, sie erweitern unseren Horizont. Wenn Kindern keine Märchen oder Gute-Nacht-Geschichten erzählt würden, ich glaube, dass wir alle ein Stück weit weniger glücklich, weniger einfallsreich und weniger kreativ wären. Und genau das spornte mich dazu an, Gute-Nacht-Geschichten zu schreiben, für Erwachsene. Damit wir alle phantasievoll bleiben..
Wie sehr sind diese Märchen mit Ihrer Vita verknüpft?
Es ist ganz natürlich, dass ich alles, was ich schreibe, auf irgendeine Art oder Weise bereits erlebt habe. Mein Interesse ist recht breit gefächert, das fängt an bei Märchen, geht über Science-Fiction und endet bei Kunstgeschichte und Wirtschaftswissenschaften. Außerdem komme ich aus Singapur, einem kulturellen Schmelztiegel, an dem östliche und westliche Kultur aufeinander treffen.
Wir lernen englisch und chinesisch, wodurch ich einen Zugang zur westlichen und östlichen Kultur bekommen habe. Deswegen sind auch meine Zeichnungen und Geschichten nicht an irgendwelche Genres gebunden. „Adam's Apple" zum Beispiel ist von der biblischen Geschichte von Adam und Eva inspiriert, aber „Feb 14" wiederum ist eine Liebesgeschichte zwischen der Freiheitsstatue und einem Giganten.
Sie bezeichnen Singapur als kulturellen Schmelztiegel. Welche Funktion übernehmen Märchen in diesem Kontext?
In Asien sind Märchen in der Form der Folklore gehalten. Viele dieser Folkloren zeigen uns die Ursprünge von Festen und Kulturen. Um ein Beispiel zu nennen: In China feiert man das Dumpling-Festival. Dieses Fest geht auf eine Geschichte zurück, in der ein patriotischer Dichter den Freitod wählt. Die Bevölkerung ist sehr traurig darüber und aus Angst davor, dass die Fische eventuell den leblosen Körper essen könnten, werfen sie Reisknödel in den Fluss. Eine andere klassische Form von Märchen in Asien wäre vergleichbar mit den Fabeln des griechischen Dichters Äsop. Hier sollen den Kindern moralische Werte beigebracht werden.
Ihre Geschichten sind aber eher obszön, also nicht kindgerecht. Warum?
Ich bin eher auf der dunklen Seite des Humors. Meine Geschichten schreibe ich in erster Linie für das erwachsene Publikum, darum ist die Handlung oftmals einen Zacken extremer und verdorbener. Da muss es dann auch keine Happy Ends geben.
Auffällig ist, dass jede Story anders gezeichnet ist. aber die Typographie unverändert bleibt. Warum?
Als ich das Projekt begonnen habe, habe ich immer im Hinterkopf gehabt, diese Kurzgeschichten eventuell in Buchform zu veröffentlichen. Ich bin ausgebildeter Grafik-Designer, also wusste ich, dass ich ein Element brauchen würde, damit das Buch nicht zu chaotisch wirkt, in sich stimmig bleibt. Also habe ich bereits in der ersten Story ein einheitliches Format vorgelegt und seither die gleiche Schriftart benutzt. Das ermöglicht es mir, in den Illustrationen variantenreicher zu arbeiten. Und weil der Leser normalerweise als Erstes auf die Bilder reagiert, ist es sinnvoller, den Zeichenstil zu variieren, nicht die Typographie. Außerdem bin ich mehr Designer als Illustrator. Also betrachte ich die Story eher wie ein Designer und suche die beste visuelle Form, um der Geschichte gerecht zu werden.
Haben Sie schon versucht, einen Verleger für Ihr Buch zu finden?
Bevor ich mich an einen Verlag wende, wollte ich erst mal genügend Geschichten haben. Mittlerweile gibt es sechs Stück davon, eine Weitere ist in der Mache, also genug für ein kleines Büchlein. Ich hoffe natürlich, die Aufmerksamkeit des Blogs führt dazu, dass sich einige interessierte Verleger an mich wenden. Aber es wird kein Kinderbuch, es sind schon Geschichten für Erwachsene.
Illustration: Josef Lee