Wenn man sicher ist, dass man sich verfahren hat, ist man richtig: Der Künstler Erwin Wurm wohnt im verlassensten Winkel Niederösterreichs; er residiert in einer Art spätgotischen Landschlösschen, drum herum Stallungen, Wiesen, Schafe, ein Teich und: schwere Mauern. Es scheint, der humorvollste Künstler unserer Zeit, der Chefblödler des Kunstmarkts, möchte sich gelegentlich zurückziehen, wenn nicht gar verstecken vor der Welt, die er in seiner Arbeit vor allem aufgedunsen und deformiert zeigt.
Erwin Wurm zählt zu den bedeutendsten Bildhauern unserer Zeit, sein Werk wird, je deutlicher sich die Widersprüche der westlichen Welt offenbaren, immer noch klarer und relevanter, ja eigentlich gewinnt es an Bedeutung und Sinn, ohne den Humor einzubüßen. »Humor ist eine Waffe«, hat er mal gesagt und führt jetzt hinein in die Tiefe seines Anwesens, geht voraus in die Küche, die Räume sind riesig, im Esszimmer hängen ein Beuys und ein Dürer nebeneinander. Wurm macht einen Espresso. Er wirkt jung, schnell, vital, dabei ist er 62. Das Gespräch soll sich um seine neueste Arbeit, die Nudelskulpturen, drehen, die er exklusiv für die Kunstausgabe, die Edition 46, des SZ-Magazins produziert hat.
Was hat er eigentlich gegen Pathos? Stört es ihn, dass so viele Menschen seine Arbeit zum Schießen finden? Ist er Zyniker oder heimlicher Romantiker, ein gekränkter Idealist? Und was empfindet der Bildhauer des 21. Jahrhunderts eigentlich, wenn er einer bedeutenden Plastik, Rodins Denker oder Michelangelos David, gegenübersteht? Es gibt jede Menge zu besprechen, um ein bisschen Licht in Wurms Komik-Kosmos zu bringen: Die Nudelskulpturen habe er schon länger mit sich herumgetragen, sagt er, jetzt habe er die Möglichkeit am Schopf gepackt: Menschen, ganz normale Menschen, mit Nudeln im Gesicht, bedeutende Gemälde mit Nudeln drauf, ein ausgestopfter Vogel, eine Statue, sein Cocker Spaniel - auch sie geschmückt, beschwert, belästigt von diesen nicht in den Griff zu kriegenden Spaghetti. »Wenn man eine Nudel auf einen echten Kippenberger legen will, muss man schon seinen eigenen nehmen«, sagt er. Oder: »Ein Zufall kann schöner und schlüssiger sein als ein Plan.« Große, lustige, wahrhaftige Sätze sind das, die ihm ganz nebenbei aus dem Mund purzeln, während er erzählt. Und natürlich seien diese Skulpturen gefährlich nahe am Klamauk, aber eben nur nahe dran. Es brauche schon den fantasievollen, sensiblen Betrachter, um die minimale Verschiebung der Wertigkeiten als aufregend zu empfinden. »Ich spüre sie«, sagt er, »wenn ich diesen Vogel betrachte. Mein Gott, dieser arme Vogel. Er ist mal durch die Luft geflogen, und jetzt ist er ausgestopft und tot und hat auch noch eine Nudel im Gesicht kleben.«
Die Frage seines Lebens lautet: Was ist eine Skulptur? Oder anders: Wo liegen die Grenzen der Skulptur? Erwin Wurm hat Häuser (fat house) und Autos (fat car) aufgebläht und geschrumpft (narrow house), er hat Skulpturen aus Museumsbesuchern, Essiggurken, ja sogar aus Staub gemacht. »Kann der Begriff der Lächerlichkeit eine Skulptur sein? Kann der Begriff der Peinlichkeit eine Skulptur sein? Darüber denke ich seit Jahren nach.«
Das Gespräch dauert 90 Minuten, Wurm redet schnell, aber nie hastig, er ist ein Effizienzapostel, schnell, konzentriert, zackzack, abgehakt, neues Projekt, nächster Termin. Allein im nächsten Jahr hat er zehn Einzelausstellungen in Museen auf der ganzen Welt. »Wenn du da nicht super strukturiert bist, hast du keine Chance.« Es geht dann noch um Richard Wagner und Richard Serra, um Exzesse des Saufens und seinen Maserati, seine Lebenskrise in den Neunzigern und was gerade alles schief läuft in der Welt. Und Am Ende steht fest: Ja, der Mann hat schon Humor, aber vor allem ist er melancholisch und wütend und unzufrieden. Sein Humor ist nicht nur eine Waffe, sondern auch eine Erlösung, ein kleine zumindest, vor den Zumutungen des Lebens.
Foto: Peter Rigaud/Shotview