Olivier Zahm schrieb in den Achtzigerjahren Kunstkritiken und gründete 1992 zusammen mit Elein Fleiss ein Magazin über Kunst und Mode: »Purple«. Seit 2004 gibt er zweimal im Jahr »Purple Fashion« heraus. Er konzipierte mehr als 150 Ausstellungen, unter anderem für das P.S.1 in New York und das Centre Pompidou in Paris, zuletzt zeigte er »The Kate Moss Show« in Amsterdam. Er arbeitet als Art Director – unter anderem entwarf er für Yves Saint Laurent Homme die Werbekampagne für das Früh-jahr 2007. Olivier Zahm ist 43 Jahre alt und lebt in Paris.
SZ-Magazin: Herr Zahm, Sie waren ursprünglich Kunstkritiker. Wie sind Sie zur Mode gekommen?
Olivier Zahm: Mir ging es schon immer um schöne Frauen in der Nacht – und damit um Mode. Mode ist nichts Alltägliches. Klar, hübsch im Büro angezogen zu sein ist auch nett. Aber was eigentlich zählt: Nachtleben, Sex und Glamour. Ich glaube, mit solchen Themen bin ich in der Mode richtig. Aber nur für Nachtleben, Sex und Glamour muss man ja kein Modemagazin herausgeben. Das Magazin ist der richtige Ort, um mit Mode zu arbeiten. Mir reicht es nicht, wenn man sie nur anzieht. Mein Interesse für Mode hat sich im Lauf der Jahre immer mehr spezialisiert. Über die Gegenwartskunst der Neunziger kam ich zur Fotografie, von da zur Modefotografie und jetzt bin ich bei einer Faszination für das Styling auf Modefotos gelandet.
Was ist am Styling so spannend? In sich stimmige Regeln zu entdecken, sie zu erforschen. Wie Formeln in der Mathematik. In meinem Magazin Purple versuche ich Fotografen und Stylisten zusammenzubringen, um genau die eine Regel zu finden, die eben nur für diese eine Fotostrecke gilt. Es gibt nur ganz wenige, die das können.
Wozu braucht man so eine Regel? Sicher nicht um zu sagen: Oh Gott, wie schrecklich ist eigentlich Victoria Beckham angezogen. Wenn ich von Styling-Regeln spreche, dann meine ich die Komposition von Kleidern für Modefotos. Das ist, zugegeben, schon sehr speziell. Aber es geht nicht darum, elitär zu sein, so wie sich beispielsweise Nicolas Ghesquière bei Balenciaga gern gibt. Mein Verständnis von Mode lautet einfach nur: Jeder der sich mit Mode beschäftigt, soll etwas erfinden. Ich will keine Stilpolizei. Mir geht es nicht um Geschmack.
Geschmack spielt keine Rolle? Nicht mehr. Jeder will heute individuell, anders und vor allen Dingen »modisch« sein. Jeder zelebriert seinen eigenen Geschmack. Aber wenn jeder seinen eigenen Geschmack hat, dann gibt es keinen Geschmack mehr. Das sieht man auf der Straße, egal ob in St-Tropez, auf Ibiza oder in Los Angeles. Ein Modekarneval. Schrecklich.
Geschmack hin oder her. Können Sie sagen, was Ihnen gefällt? Natürlich. Ich bleibe bei meinem Lieblingsthema. Was finde ich sexy?
Und? Eine schillernde Mischung aus Finsternis und Glamour, aus Begehren und Distanz, aus Klasse und Nonchalance.
Sehr konkret ist das nicht. Gut, ich sage Ihnen, was ich nicht sexy finde: Provokation, Pornografie und alles Vulgäre.
Zurück zum Thema Mode. Ist sie Kunst? Nein. Mode kann man mit einer Sprache vergleichen, die eine Verständigung erlaubt, zum Beispiel über Zusammengehörigkeit. Mode bleibt beim Erscheinungsbild des Menschen stehen. Kunst dagegen funktioniert wie ein Motor, der nie stehen bleibt. Ein Motor, der die Wahrnehmung vorantreibt, der auch mal nerven kann. Kunst kann helfen, die Grenzen unserer Vorstellung zu erweitern. So wie es der Künstler Matthew Barney mit seinen Werken macht oder der Regisseur David Lynch mit seinen Filmen.
Vertragen sich Kunst und Mode? Eigentlich schon. Aber speziell die deutsche Kunstszene kann mit Mode nichts anfangen, weil sie immer nur den kommerziellen Aspekt der Mode sieht und sich davon abgestoßen fühlt. Und natürlich ist es unangenehm, wenn es in den großen Modefirmen nur noch um Gewinnmaximierung geht. Ein anderer Grund, warum Mode von man-chen Künstlern nicht gemocht wird: weil sie immer noch an die Avantgarde und den Underground in der Kunst glauben.
Was sind denn Avantgarde und Underground? Nicht mehr als das diffuse Gefühl, dass eine bestimmte kleine Gruppe von Leuten die Einzigen sind, die Ideen produzieren. Der Underground meint, dass er immer recht hat. Aber: Der Underground ist tot und die Avantgarde stirbt gerade. Diese Entwicklung verbindet Mode und Kunst.
Vermissen Sie den Underground? Nein, da kommt sicher was Neues. Dazu muss man aber erst mal die Angst vor dem Erfolg ablegen. Ich denke nicht, dass man es sich automatisch leicht macht, wenn man erfolgreich ist. Das ist viel zu einfach gedacht.
Warum arbeiten Sie nicht mehr als Kunstkritiker? Ich kann Magazine wie Artforum nicht mehr lesen, obwohl ich dafür früher geschrieben habe. Dieses Pathos, diese Langeweile, die mir da entgegenkommt, halte ich nicht aus. Keine Ideen, keine Qualität, keine interessante Art zu schreiben.
Woran liegt das? Es gibt keine gute Kunstkritik mehr, weil die Kunstszene sich nur um sich selber dreht. Als ob es keine Welt außerhalb der Kunst gäbe.
Wie sollte man heute über Kunst schreiben? Der Kritiker muss den Künstler dazu bringen, über sich zu sprechen: Er soll erzählen, was er erlebt hat, warum er Künstler ist, was ihn beeindruckt – Details aus seiner Biografie. Auch Kinderfotos von einem Künstler können spannend sein. Wenn sich Jeff Koons für kindliche Dinge begeistert, will ich wissen, wie war denn seine Kindheit eigentlich? Das ist wesentlich interessanter, als ein pseudotheoretischer Aufsatz, der mit ästhetischem Halbwissen zum hundersten Mal auf Duchamp Bezug nimmt.
Kann man Kunst und Mode in Ausstellungen vereinen? Ich versuche es immer wieder. Bei der Ausstellung Rose Poussière, im Grand Palais in Paris hatte jeder Raum ein Label: ein Raum »Yves Saint Laurent«, einer »Dior Homme«, einer »Chanel« und so weiter. Sie wirkten wie Schaufenster in der Nacht. Mode hat man gar nicht gesehen, sondern nur Kunst. Ein nächtlicher Blick auf ein geträumtes Paris, eines aus der Vorstellung. Aber die Ausstellung hat die Kunstszene nicht interessiert.
Warum nicht? Die Künstler haben Angst, sich mit der Mode zu beschäftigen, sie denken sofort: Ich werde benutzt. Ich habe zum Beispiel Thomas Hirschhorn gefragt, ob er bei dieser Ausstellung mitmachen möchte. Wir kennen uns schon lange, früher hat er mich um meine Meinung zu seinen Werken gebeten – ich halte ihn für einen großen Künstler. Aber er sagte: Nein, ich bin gegen Kommerz, deshalb mache ich bei einer Ausstellung über Kunst und Mode nicht mit. Weil Mode auf der Seite der Macht ist, auf der Seite des Erfolgs, und sich dem Kapitalismus unterordnet, anstatt dagegen zu kämpfen.
Sie haben sich geärgert? Ich hab es einfach nicht verstanden. Warum wirft ein Künstler der Mode vor, dass sie eine Industrie ist? Die Gegenwartskunst ist selbst eine Luxusindustrie oder ein Luxushandwerk. Noch mal anders: Unter dem Geheimnis des Kapitalismus versteht man die künstliche Schaffung eines Wertes. Künstler machen nichts anderes als ständig Werte, noch dazu Originale, zu schaffen – sie stehen eigentlich an der Spitze des Kapitalismus. Der Gedanke kommt nicht von mir, aber ich kann ihn gar nicht oft genug zitieren.
Mode ist oberflächlich und Kunst geht in die Tiefe. Ein Vorurteil? Die Kunst bleibt meistens viel länger bestehen, sie kann etwas über die Gegenwart sagen, aber erst viel später, in der Zukunft. Sie kann sagen, was von einer bestimmten Zeit übrig geblieben ist. Mode dagegen sagt im Jetzt etwas über die Gegenwart aus. Nur weil sie sich mit äußerlichen Zeichen beschäftigt, muss sie aber nicht oberflächlich sein.
Kann Mode intellektuell sein? Man macht Mode mit einer Idee, mit nichts anderem. Wenn man keine Idee hat, wird man keine Kollektion entwerfen können, deshalb: Mode ist nichts anderes als Intellektualität.
Kann die Mode etwas von der Kunst lernen? Nein. Mode soll sich um sich selbst kümmern. Wenn die Mode ihre Ideen bei der Kunst klaut, ist das einfach nur doof. Und bitte, liebe junge Designer, lasst euch nicht von der Kunst inspirieren, und wenn doch, hört wenigstens auf, darüber zu reden. Riskiert etwas, seid radikal, aber geht von euch aus.
Kann denn die Kunst etwas von der Mode lernen? Nicht die Kunst, aber der Künstler. Wenn er kommerziell sein will, soll er sich anschauen, wie die Modeindustrie funktioniert. Aber dann stellt sich natürlich sofort die Frage, ob der Künstler sich mit seinem kommerziellen Erfolg beschäftigen sollte.
Die Antwort? Nein. Aber er sollte kein Problem damit haben. Und er kann noch was anderes lernen: dass man sich mit Hilfe der Mode gut anziehen kann. Wenn man sich ein bisschen mehr mit Mode beschäftigt, wird man merken, dass man als Künstler nicht unbedingt im Martin-Margiela-Einheitslook rumlaufen muss. Vor allem als Mann. Aber die Künstler denken wohl, wenn sie sich zurückhaltend kleiden, werden sie ernst genommen und kommen seriös rüber. Ich mag diese kalkulierte unauffällige Art sich zu kleiden nicht.
Sondern? Künstler sollen sich wie Dandys anziehen. Und sich auch so verhalten.
Was ist für Sie das nächste große Ding in der Mode MySpace, weil es eine Form ist, sich zu vernetzen, sich dazugehörig zu fühlen oder sich abzugrenzen. Und darum geht es ja in der Mode.