Ich bin Jahrgang 1995 und gerade noch so Angehöriger der sogenannten Gen Z, über die es heißt, dass die meisten darin hochsensible Müßiggänger seien. Die Beratungsagentur McKinsey teilt die Jahrgänge 1995 bis 2010 in die Generation Z ein, die vorher Geborenen gehören demnach der Gen Y an, den Millennials, über die wiederum erzählt wird, sie seien ehrgeizige High-Performer.
Wie es das Schicksal will, trennen mich und Millennials ein Monat, neun Tage, zwölf Stunden und 36 Minuten. Ein biografischer Zufall, mehr nicht. Und trotzdem richten sich in Redaktionssitzungen, in Kneipenrunden oder auf Familienfeiern regelmäßig Augenpaare auf mich. Und die Frage lautet meistens: Na, was sagt die Gen Z dazu?
Seit Jahren verfolgt mich der Generationenbegriff. Ich habe Essays über das Altern geschrieben, junge Menschen und Senioren getroffen. Ich habe über den Tod oder den demografischen Wandel geschrieben. Und immer wieder geriet ich dabei in Diskussionen über Gen Z, Gen Y, Boomer und wie sie alle heißen. Die Generationen lauern überall, und jedes Mal, wenn ihre Namen fallen, klinke ich mich frustriert aus oder lege mir die Sätze für eine Tirade zurecht, die ich dann doch nicht loslasse. Ich bin davon überzeugt, dass der Generationenbegriff ein Fluch ist. Und ich würde ihn gern ein für allemal loswerden.
Das Wörtchen »Generation« sortiert die Gesellschaft in Gruppen, die kaum messbare Eigenschaften teilen. Es suggeriert Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Konflikte entlang von Trennlinien, die nicht existieren. Und es verschleiert etwas sehr Wichtiges: Macht wird nicht qua Geburtsdatum und vor allem nicht gleichmäßig unter den Menschen verteilt.
Historiker gehen davon aus, dass der Generationenbegriff schon vor 3000 Jahren existierte, aber so richtig populär wurde er 1928 durch einen Aufsatz mit der Überschrift »Das Problem der Generationen«. Der Autor des Textes, der Soziologe Karl Mannheim, schlug vor, Generationen flexible Start- und Endpunkte zu geben. Starre Alterskohorten von beispielsweise 30 Jahren hielt er für nutzlos. Wichtiger als ein Geburtsdatum war ihm, dass ihre Angehörigen ein bedeutendes Jugenderlebnis miteinander teilen. Zum Beispiel einen Weltkrieg, wie er und seine Altersgenossen ihn erlebt hatten.
Doch Karl Mannheim ging es um mehr als nur darum, den Generationenbegriff zu präzisieren. Er wollte sich mit diesem Text vom Marxismus seiner ungarischen Lehrmeister lossagen. Der Generationenbegriff war ihm heilig, weil er die Menschen in andere Kategorien einteilte als in Arbeiter und Kapitalisten. So begann der Spuk.
Je mehr ich mich nun mit dem Generationenbegriff beschäftige, desto mehr Gleichgesinnte kreuzen meinen Weg. Nils Minkmar schrieb in der Süddeutschen Zeitung, das »G-Wort« simuliere bloß eine Erklärung und ersetze Aufklärung durch Marketing-Hokuspokus. Die Autorin Sophie Passmann schrieb in der Zeit, Generationenbeschreibungen seien ein »Vehikel eines sehr kleinen, sehr speziellen Milieus«, das in der Lage sei, sich selbst in der Gesellschaft zu verorten, darüber hinaus allerdings weitestgehend nutzlos.
Auch der Soziologe Martin Schröder teilt meine Skepsis. 2018 verfasste er eine Studie mit dem Titel »Der Generationenmythos«. Auf der Basis des »Soziooekonomischen Panels«, der größten und am längsten laufenden Langzeitbefragung des Landes, untersucht er Einstellungen der Geburtsjahrgänge 1925 bis 2000. Die Daten zeigen auf den ersten Blick: Die jüngeren Jahrgänge scheren sich immer weniger um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes und die wirtschaftliche Entwicklung. Das Bedürfnis, sich politisch und gesellschaftlich zu engagieren, wächst hingegen mit jedem neuen Jahrgang.
Doch Schröder glaubt nicht, dass diese Beobachtungen etwas über die Eigenschaften der Generationen besagen. Er nennt zwei Gründe. Erstens sei da der Alterseffekt, der sich aus dem Alter der Befragten zum Zeitpunkt der Umfrage ergibt. Die allermeisten Menschen übernehmen im Laufe ihres Lebens immer mehr Verantwortung, zum Beispiel wenn sie Kinder bekommen, Angehörige pflegen oder eine wichtigere Rolle im Beruf einnehmen. Im Alter wird man immer fragiler und zerbrechlicher. Es überrascht nicht, dass dann das Sicherheitsbedürfnis steigt. Wie wichtig einer Person etwa ein sicherer Arbeitsplatz ist, hängt demnach nicht in erster Linie damit zusammen, zu welcher Generation sie gehört, sondern vor allem damit, wie alt sie ist, wenn man sie danach fragt.
Für eine zweite Verzerrung macht Schröder den Periodeneffekt verantwortlich. Dieser beschreibt, welchen Einfluss das Zeitgeschehen hat. Großereignisse oder wirkungsvolle Veränderungen, etwa der Ausbruch eines Krieges, die Erfindung des Smartphones oder eine Konjunkturkrise, prägen die Einstellungen der Menschen – allerdings die Einstellungen aller Menschen, nicht nur einzelner Altersgruppen. »Wenn beispielsweise heute alle weniger arbeiten wollen als früher, sagt das nichts über Generationen aus, sondern ist vielmehr ein Effekt des historischen ›Zeitgeistes‹«, schreibt Schröder. Von echten Generationenunterschieden könne man nur sprechen, wenn man Menschen im gleichen Alter und zum gleichen Zeitpunkt Jahr für Jahr befragt und dabei feststellt, dass sich ihre Einstellungen je nach Geburtsjahrgang unterscheiden.
Schröder bereinigt die Daten des Soziooekonomischen Panels sowohl vom Alters- als auch vom Periodeneffekt. Mehr als 80 000 Menschen wurden mehr als 600 000 Fragen gestellt. Ein gigantischer Datensatz, von dem Schröder nur jene Daten nutzt, die tatsächlich einen Generationeneffekt beweisen könnten. Doch seine Berechnungen zeigen, dass es Unterschiede zwischen den Generationen so gut wie nicht gibt. Ob es um berufliche Ambitionen, die Wichtigkeit von Beziehungen, das politische Engagement oder andere Einstellungsfragen geht – die Ähnlichkeiten überwiegen, von 68er bis Zoomer. Schröder ist nicht allein mit seinen Erkenntnissen. Auch andere Demoskopen und Sozialforscherinnen in aller Welt kritisieren das Generationenkonzept. Das große US-Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center schwört der Kategorie deshalb seit 2023 fast vollständig ab.
Diese Befunde hätten den Generationenbegriff endlich entzaubern können. Doch die Google-Suchanfragen zu Schlagworten wie »Gen X«, »Boomer« und vor allem »Gen Z« steigen seit gut fünf Jahren deutlich. Ich frage mich, warum sich das Konzept so hartnäckig hält, dass trotz all der Gegenargumente ein ganzer Kanon von Werken entstanden ist, die die vermeintlichen Eigenheiten der Generationen zu erklären versuchen.
Wahlweise heißt es dort, die jüngeren Generationen seien »faul« (Arbeitgeber), »beziehungsunfähig« (Michael Nast), »verweichlicht« (Susanne Nickel) oder »zerstritten« (Rüdiger Maas). Aber wenn wir den Ergebnissen der Studien von Michael Schröder glauben, ist die Empirie, auf der all diese Aussagen fußen, ganz schön dünn.
Ich denke, dass es zwei Standbeine sind, die dem Generationenbegriff seine Stabilität geben. Erstens ist es gerade seine Eigenschaftslosigkeit, die sich unheimlich gut mit den Ungewissheiten unserer Gegenwart mischt. In Generationen, diese unendlich großen Projektionsflächen, kann man alles hineindeuten. Im Bundestag wird das Konzept der Generationengerechtigkeit deshalb genutzt, um praktisch jeder Position zusätzliches Gewicht zu verleihen. 2006 haben 100 junge Politikerinnen und Politiker von Grünen, SPD und Union sogar ein »Generationengerechtigkeitsgesetz« ausgearbeitet. Es sollte Artikel 20 und Artikel 109 des Grundgesetzes, also die Schuldenbremse, um ein Argument ergänzen: Die Spielräume der nächsten Generation sollten nicht durch die Schuldenlast eingeengt werden, die ihre Vorgänger angehäuft hatten, argumentierten die Verfasserinnen und Verfasser damals. Das Gesetz wurde nie verabschiedet, weil die Legislaturperiode endete. Die Schuldenbremse steht daher ohne den Generationenpassus im Grundgesetz.
Das Paradoxe daran: Das Bündnis aus eben diesen drei Parteien, mit teils demselben Personal und derselben Argumentation, stimmte im Frühjahr 2025 für ein großes Schuldenpaket. Und obwohl es im Gegensatz zu ihrem Gesetzentwurf von 2006 steht, lautete die Begründung wieder: »Generationengerechtigkeit«. Schließlich könne man der Jugend kein Land hinterlassen, dessen Substanz zerspart wurde. Generationengerechtigkeit scheint ein wahllos einsetzbares Etikett zu sein.
Ich google meine prominentesten Altersgenossen. Joshua Kimmich, Megan Thee Stallion, Timothée Chalamet oder Frédéric Arnault, der Erbe des Luxusgüterimperiums LVMH. Alle Jahrgang 1995. Auf der Liste erscheint auch der Name von Trayvon Martin, einem schwarzen Jugendlichen aus Florida, der 2012 von einem Polizisten erschossen wurde, nachdem er Süßigkeiten gekauft hatte. Ich denke an den Jungen aus meiner Nachbarklasse, dessen Mutter Heroin nahm, und daran, wie er in der siebten Klasse mit einer halb leeren Wodkaflasche auf den Schulhof taumelte. Die Vorstellung, all diese Altersgenossen ließen sich in einer so eigenschaftslosen Kategorie wie Gen Z zusammenfassen, kommt mir absurd, ja unverschämt vor.
Das zweite Standbein, auf dem der Generationenhype steht, ist eine gefühlte Alternativlosigkeit. Seine Anhänger krallen sich an diesen zehn Buchstaben fest, weil es ihnen schlicht an Vorstellungskraft fehlt. Der britische Kulturwissenschaftler Fredric Jameson formulierte einst eine These, so eingängig, dass sie zur Binsenweisheit wurde: Unsere Gesellschaft habe ein Stadium erreicht, in dem sich die Menschen das Ende der Welt besser ausmalen können als das Ende des Kapitalismus.
Ebenso erscheint es heute nahezu unvorstellbar, dass in einer Gesellschaft eigentlich ganz andere Konfliktparteien miteinander streiten als Boomer, Millennials und Zoomer. Dass sie nicht entlang der Generationen gespalten ist, sondern in die einen, die Vermögen, Immobilien, Firmen und Macht besitzen, und die anderen, die nichts haben außer ihrer Arbeitskraft. Am meisten frustriert mich daran, dass jeder weitere Schritt auf diesem Holzweg schlimme Folgen hat. Welche das sind, kann man im Buch Triggerpunkte von 2023 lesen. Dort stellen die Soziologen Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser die These auf, dass viele Menschen Wut und Ohnmacht empfinden, weil Großdebatten zumeist in den falschen »Arenen« verhandelt werden. Das funktioniert in etwa so: Wenn am Ende des Monats kaum Geld für die Miete übrig bleibt, denken die Menschen nicht an ihren Vermieter, der zu viel verlangt, oder den Arbeitgeber, der zu wenig zahlt. Das wäre die »Oben-Unten-Arena«. Nein, sie denken an den Ausländer oder die Bürgergeldempfängerin, die ihrer Meinung nach zu viel vom Staat bekommt. Die Soziologen nennen dies »Innen-Außen-Arena« oder »Wir-Sie-Arena«. Wut entsteht, wenn beispielsweise ein Verteilungskonflikt in der »Innen-Außen-Arena« verhandelt wird – weil er sich dort gar nicht lösen lässt.
Auch der vermeintliche Generationenkonflikt tut nichts anderes, als Probleme in eine »Innen-Außen-Arena« zu verschieben, obwohl sie dort nicht hingehören. Wir Medienschaffende sind daran nicht unbeteiligt. Deshalb sage ich: Jeder Text, in dem wir den Generationenkonflikt herbeischreiben, ist einer zu viel. Ich hoffe, dass wir in Zukunft über andere Dinge streiten als darüber, welchen Unterschied es ausmacht, ob ich einen Monat, neun Tage, zwölf Stunden und 36 Minuten früher oder später geboren wurde.

