Halloween ist kein stilles Fest, denn erstens klingelt es an der Tür – und zweitens sind seine Gegnerinnen und Gegner ausgesprochen laut. In Blogs und sozialen Netzwerken beschweren sich Eltern alljährlich: Kinder gingen »auf Betteltour«, es sei ein »Konsumfest, bei dem völlig falsche Werte vermittelt« würden, von den »ästhetisch fragwürdigen« Dekorationen ganz zu schweigen. Zudem würden ihre Kinder durch die Mechanik von »Süßes oder Saures« zur Erpressung erzogen.
Überhaupt, so klagen sie: Noch so ein amerikanische Erfindung, wann ist endlich Schluss damit – erst der Valentinstag, jetzt dieser Plastikhorror? Und dann die Gefahren für Fassade und Briefkasten: Es gibt Supermärkte, die räumen Ende Oktober den Rasierschaum aus den Regalen. Mancherorts hat die Polizei Ladenbesitzer gebeten, Jugendlichen Ende Oktober keine Eier in großen Mengen zu verkaufen. Weil Streiche immer wieder »ausarten«, wie die Allianz in gruseliger Versicherungspoesie informiert: »Im Schutze der Dunkelheit und versteckt hinter einer Maske, fallen bei vielen jugendlichen Geistern nicht selten die Hemmschwellen.«
Bei diesem Monster-Alarmismus reagieren die Kirchen vergleichsweise gelassen: Katholische Jugendorganisationen wollen »einen angstfreien 31. Oktober feiern«. Und evangelische Gemeinden verteilen »Luther-Bonbons«, um an den zeitgleich mit Halloween stattfindenden Reformations-Tag zu erinnern. Gegen zusätzliche Süßigkeiten ist an Halloween natürlich nichts einzuwenden und »angstfrei« klingt erstmal gut.
Aber grundsätzlich ist die Anti-Halloween-Stimmung doch traurig, denn Halloween ist der beste von allen Feiertagen – subjektiv betrachtet, nicht theologisch. Und zwar aus folgenden Gründen:
1. Wir reden über den Tod
In der irischen Volksmythologie wandern an Halloween die Seelen der Toten unter den Lebenden. Diese Vorstellung gibt es auch in anderen Kulturkreisen, wie beim Día de Muertos am 2. November in Mexiko. Halloween bietet sehr lebensnah den Anlass, mit Kindern über den Tod und das Nicht-Verschwinden, also die Gegenwart der Toten zu sprechen. Und zwar so, dass man sich danach verkleiden, im Dunkeln rumlaufen und Süßigkeiten essen darf – was normalerweise nach ernsten Familiengesprächen nicht der Fall ist (aber vielleicht sein sollte).
2. Halloween als Gemeinschaftserlebnis
Halloween ist das letzte wirklich die Gemeinschaft fördernde und fordernde Fest. Der Osterspaziergang ist als soziales Ereignis seit Goethes »Faust« im Abstieg begriffen. An Weihnachten sind nur die Menschentrauben vorm Krippenspiel und die Diskussionen im Vorfeiertags-ICE mit Reservierungsausfall noch Gemeinschaftserlebnisse. An Halloween aber können und müssen ganze Straßenzüge und Siedlungen einigermaßen zusammenhalten, um Kinder großflächig mit preiswerten Süßigkeiten zu versorgen. Und es passiert endlich wieder das, was sonst viel zu selten geworden ist: Fremde klingeln an der Tür. Den ganzen Abend über. Bei jedem Mist-Technik-Gadget und jedem räudigen Plattform-Dienstleister wird so etwas als »Disruption« gefeiert, warum die Störung also nicht da feiern, wo sie hinpasst: in unseren tristen Herbstalltag.
3. Es gibt Suppe!
Es gibt Kürbis. Kürbissuppe mit Ingwer und Kokosmilch. Abgebunden mit einem Schuss Orangensaft. Und etwas Kürbiskernöl. Sie steht den ganzen Abend auf dem Herd, und wenn die Kinder wiederkommen, dürfen sie erst an die Süßigkeiten, wenn sie eine Schale Kürbissuppe gegessen haben.
4. Verkleiden
Wer sich als Erwachsener gerne verkleidet, findet zu Halloween noch eine unauffällige Nische, in der man sich an faschingsfernen Orten entweder einmal im Jahr ohne gesellschaftlichen Kostümdruck ausleben kann, oder aber, andernorts, schon mal die eine oder andere Verkleidung für die eigentliche Faschingszeit ausprobieren kann. Die Verkleidung ist eine Kulturerrungenschaft, die in allen Menschheitsepochen eine wichtige rituelle Funktion hatte, außer in unserer. Wer Verkleidungen ablehnt, ist geschichts- und kulturvergessen.
5. Mal wieder Scherze machen
Man kann beim Süßigkeitenverteilen alberne Scherze treiben – eine weitere Kulturtechnik, die heutzutage angesichts der Abschottung von Kleinfamilien völlig in Vergessenheit geraten ist. Allerdings muss man sich dafür auch sehr viele gleichförmige und schlechte kindliche Droh-Gedichte anhören. Faustregel: je kürzer der Vers, desto mehr Süßes gibt es.
6. Entspanntes Feiern
Halloween ist das letzte Fest, bei dem es auf nichts ankommt. Nirgends ist die Schwelle niedriger, um eine schöne Zeit zu haben. Eigentlich interessiert sich so gut wie niemand hierzulande für Halloween, darum muss man keine Nachbarn mit der Deko beeindrucken, keine Verwandten einladen, und anders als beim Kinderfasching rümpft niemand die Nase, wenn die Verkleidung aus dem Ein-Euro-Shop ist und nur zwei Stunden hält. So lange man auf diesem niedrigen Niveau noch eine so gute Zeit haben kann, sollte man Halloween feiern, auch wenn es vielen nicht gefällt.