So kann man sich täuschen: Man sieht Schreibtische auf poliertem Parkett unter barocken Stuckdecken und denkt an größenwahnsinnige DAX-Vorstände oder europäischen Hochadel. Doch die Bilder zeigen die Arbeitsplätze der Bürgermeister von Städten wie Schwäbisch Hall, Bochum oder Ravensburg. Große Räume für mittelgroße Politik.
Jörg Winde hat die Arbeitszimmer von nahezu 120 deutschen Bürgermeistern fotografiert, »von Aachen bis Zwickau«, wie er sagt, kleine Städte, große Städte. Seine Fotos zeigen viel, viel dunkles Leder und glänzendes Holz, und doch mehr als das: Die Zimmer machen deutlich, wie sich Politik in unseren Städten über die Jahrhunderte verändert hat. Rathäuser stehen oft im Kern der Altstadt, sie waren schon da, als der Wald noch fast bis zum Marktplatz reichte und Deutschland ein Fleckenteppich aus Kleinstaaten war. Bürgermeister konnten damals nach Gutdünken regieren, Steuern kassieren oder ihre Gegner ins Gefängnis stecken. Gewählt werden sie erst seit dem 19. Jahrhundert, vorher wurden sie oft einfach von Herrschern ernannt.
Die Macht von damals sollen die Büros weiter ausstrahlen, auch wenn hier immer weniger entschieden wird: Der deutsche Städtetag schätzt, dass 70 Prozent der Beschlüsse in den Rathäusern zumindest teilweise von EU-Gesetzen vorgegeben werden. Und auch sonst läuft nicht viel: Die Bundesländer bestimmen Bildungs- und Familienpolitik, wie viel Geld den Gemeinden bleibt, ist auch Sache der Bundesregierung.
Bürgermeister, ein seltsamer Beruf: Es gibt etwa 12 000, aber ihr Einfluss ist von Region zu Region verschieden: Manche sind auf zehn Jahre gewählt (etwa im Saarland) und verdienen selbst in Kleinstädten knapp 5000 Euro im Monat, anderswo ist der Job nur ein Ehrenamt. Aber immerhin - was an den Schreibtischen auf diesen Bildern entschieden wird, ist näher dran am Leben als irgendwelche EU-Haushaltsverordnungen: Wo steht das neue Klärwerk, wann kommt die Umgehungsstraße, wird das Gymnasium renoviert? »Es geht den Bürgermeistern vor allem ums Repräsentieren«, sagt der Fotograf Jörg Winde, »wenn hoher Besuch in die Stadt kommt, wird er in diesem Büro empfangen.« Welcher hohe Besuch wohl zuletzt in Schwäbisch Hall war?
Wahrscheinlich geht es den Bürgermeistern auch noch um etwas anderes. Denn ihre Arbeitszimmer kann man auch als raumgewordene Trotzgeste interpretieren: Ihr Bürokraten in Brüssel und Berlin dürft vielleicht bestimmen, wie wir hier zu regieren haben. Aber eure Büros sind einfach nur banal.
Fotos: Jörg Winde