SZ-Magazin: Sie sind mit Laetitia Casta verheiratet. In Deutschland ist sie bekannter als Sie. Würde es Sie stören, als ihr Mann vorgestellt und definiert zu werden?
Louis Garrel: Gar nicht. Immerhin bin ich ihr Mann, nicht ihr Liebhaber. Ich finde starke Frauen attraktiv. Ich habe keine Angst, meine Männlichkeit einzubüßen, wenn ich mit einer starken Frau zusammen bin.
Sie stehen, mal oberflächlich betrachtet, für den unwiderstehlichen französischen Mann: schwarze Locken, schöne Mischung aus Bourgeoisie und Rebellion. Wie finden Sie das?
Das sind natürlich Klischees. Aber sie sind nett. Manchmal stören mich Klischees, aber diese stören mich nicht.
Die Pariserin ist auch so ein Phänomen. In Deutschland bewundert man sie, weil man denkt, sie schafft alles: beruflich erfolgreich zu sein, Mutter dreier Kinder, super angezogen, unterhaltsam, tolle Köchin …
Das ist Coco Chanel, von der Sie sprechen. Sie hatte nur keine Kinder, glaube ich.
Ein treuer Mann heißt Ihr neuer Film, Sie führen Regie und spielen die Hauptrolle. Es geht fast nur um Untreue. Ist der Titel ironisch gemeint?
Abel ist seiner Frau treu, indem er ihr untreu wird, weil sie es so möchte. Er übergibt sich und sein Schicksal in die Hände seiner Frau, die ihm überlegen ist. Das ist eine Art von Treue für mich. Er vertraut sich ihr an, weil er glaubt, dass sie weiß, was gut für ihn ist. Und schließlich könnte man noch sagen, dass der Film François Truffaut die Treue hält.
An welche Phase von Truffaut denken Sie da?
An die Filme mit Antoine Doinel. Abel ist wie Antoine Doinel: Er ist naiv. Es interessiert ihn nichts anderes, als mit Frauen zusammen zu sein. Er nimmt die Dinge, wie sie kommen, und beklagt sich nicht. Er ist von einer zarten Männlichkeit.
Louis Garrel
wuchs mitten in Paris in einer filmverrückten Familie auf. Sein Gesicht ähnelt dem seines Großvaters, Maurice Garrel, Theaterschauspieler und markanter Nebendarsteller in Filmen von François Truffaut, Jacques Rivette, Claude Chabrol. Sein Vater, Philippe Garrel, der als junger Mann zehn Jahre mit der ehemaligen Velvet-Underground-Sängerin Nico zusammenlebte, drehte bereits mit 17 Filme im Stil der Nouvelle Vague und gab seinem Sohn später zahlreiche Rollen, für Unruhestifter bekam Louis Garrel 2006 den französischen Filmpreis César. International bekannt wurde Louis Garrel schon 2003, als Bernardo Bertolucci auf die Idee kam, ihn in Die Träumer zu besetzen. Zurzeit dreht der 36-Jährige mit Woody Allen.
Antoine Doinel war ein Alter Ego für Truffaut. Der erste Film über ihn, Sie küssten und sie schlugen ihn, entstand 1958, es folgten unter anderem Geraubte Küsse und Tisch und Bett. Zwanzig Jahre eines fiktiven Lebens. Was interessiert Sie an so einem Mann?
Abel ist wahrscheinlich auch für mich ein Alter Ego, ich bin allerdings ängstlicher als er. Aber er ähnelt mir sehr darin, wie es ihm gefällt, die Dinge geschehen zu lassen. Ich war und bin von starken Frauen umgeben. Ich frage sie ständig, was ich machen soll. Das ist mein Alltag.
Eine Welt, in der die Frauen bestimmen: Wäre das in Ihren Augen eine bessere Welt?
Es ist meine Welt. Und ich mag sie. Wenn ich große Entscheidungen fällen muss, höre ich auf die Frau, mit der ich lebe. Ich habe mehr Vertrauen in den Instinkt meiner weiblichen Freunde als in den meiner männlichen Freunde.
Im Film spielt Laetitia Casta Ihre Freundin, Marianne. Sie heißt wie die Nationalfigur der französischen Republik, für deren Büste Laetitia Casta mit 21 Modell stand. Ganz schön symbolträchtig, finden Sie nicht?
Das war Zufall, wirklich. Jean-Claude (Carrière, der Co-Autor, Anm. d. Red.) und ich haben es erst bemerkt, als der Film fast fertig war. Aber es ist das erste Mal, dass ich Laetitia in einem Film als souveräne Frau erlebe. Sie hat nur naive Frauen gespielt, hier ist sie kühl, distanziert, steht über den Dingen. Auf den ersten Blick jedenfalls. Denn das ist ja der tie-fere Sinn eines jeden Films: dass die Figuren verbergen, was wirklich in ihnen vorgeht. Sie verbergen es nicht nur vor anderen, sondern auch vor sich. Ich liebe Marivaux, und das ist sein Lieblingsthema: die Menschen, die ihre Gefühle verbergen. Vielleicht ist das sogar ein französisches Thema.
Sie meinen, es ist französisch, stets die Fassade zu wahren?
François Truffaut hat mal gesagt, es gebe Momente, in denen würde er einen Menschen mit Taktgefühl einem ehrlichen Menschen vorziehen. Die Franzosen haben ein ziemlich gespaltenes Verhältnis zur Wahrheit, das kann man schon daran sehen, dass ein paar Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ganz Frankreich angeblich in der Résistance gewesen war. Für einen Film ist Selbstbetrug natürlich toll, weil es ja nichts Schöneres für den Zuschauer gibt als das Gefühl, dem Helden auf etwas gekommen zu sein, von dem er selbst nicht weiß.
Im Film konkurrieren zwei Frauen um Abel. Was fasziniert die Franzosen so an der Dreiecksbeziehung?
Die Ménage-à-trois ist gar nicht so französisch. Jules et Jim zum Beispiel ist eine Hommage an Ernst Lubitschs Serenade zu dritt. Aber ich glaube, dass Filme, in denen es um nichts anderes als um die Liebe und die Erziehung des Herzens geht, sehr französisch sind.
Ladies first
Kommt nur selten vor, dass die Partnerinnen bekannter sind als ihr bekannter Mann. Bei Regisseur und Schauspieler Louis Garrell allerdings schon:
Wie französisch war Ihre Kindheit? Sind Sie jeden Sommer in den großen Ferien zur Großmutter aufs Land gefahren?
Haha, wieder so ein Klischee. Ich war im Sommer im Ferienlager. Ich habe das geliebt. Man fährt mit anderen Kindern oder Jugendlichen weg, ohne Eltern, zum Bergsteigen oder Kanufahren. Ich war immer am liebsten mit Gleichaltrigen unterwegs.
Hatten Sie in Paris Ihre Clique?
Klar. Mit zwölf ging das los, da waren wir ständig in der Gruppe unterwegs, erst um Pigalle herum. Da bin ich aufgewachsen. Dann sind wir auf Rollerblades durch ganz Paris geflitzt. Ich bin auf der rechten Seite der Seine aufgewachsen. Es gab diese Konkurrenz zwischen der rechten und der linken Seine-Seite: die Rive Gauche, die reich ist und voller Snobs, und die Rive Droite, wo die Leute das Leben lockerer nehmen.
Und jetzt?
Lebe ich auf der linken Seite. Aber heute gibt es diese Konkurrenz nicht mehr so. Jetzt denkt man in Paris darüber nach, die Banlieues einzugemeinden, auch weil im historischen Zentrum der Stadt die Zeit stehen geblieben ist. Man bewegt sich wie in einem Museum. Das macht ein bisschen Angst. Gleichzeitig ist es eine wunderschöne Stadt. Mich begeistert Paris immer noch, obwohl ich immer hier gelebt habe. Die Häuser, die Brücken, die Seine – wenn man sich auf eine Brücke stellt und auf die Stadt schaut, das ist ergreifend. Das Schönste daran, wegzufahren, ist nach Paris zurückzukommen.
Aber im Film, obwohl er in Paris spielt, erkennt man keinen einzigen Ort.
Als ich klein war, habe ich oft mit meiner Großmutter Filme angeschaut. Immer wenn wir einen Film guckten, der zwar in Paris spielte, aber in dem man nicht gleich erkannte, wo er gedreht wurde, mochte ich das. Also habe ich den sportlichen Ehrgeiz entwickelt, Orte zu finden, die die Leute nicht sofort erkennen, bestenfalls gar nicht kennen. Und es ist schön zu sehen, dass es immer noch Orte zu entdecken gibt in dieser Stadt.
Früher wurde in französischen Filmen Kette geraucht und Rotwein getrunken. In Ein treuer Mann gibt es abends Tee. Ist es jetzt so in Paris?
Ich trinke keinen Alkohol, ich mache mir nichts daraus. Claude Sautet hat immer in Cafés gedreht, überall wurde geraucht und getrunken, das war seine Marke, und mit diesen Filmen wurde das französische Kino berühmt. Aber jetzt ist es in den Restaurants verboten zu rauchen, das schlägt sich natürlich in den Filmen nieder.
Die Pariser gelten gemeinhin als arrogant, die Pariser Gesellschaft als kaum zugänglich für Fremde.
Ach nein, das ist übertrieben. Allein die Cafés. Die Franzosen hängen ständig im Café. Dabei ist der Kaffee sehr schlecht, was ich bis heute nicht begreife. Wir können Brot backen, aber wir können keinen Kaffee kochen. In Italien schmeckt der Kaffee überall. In Paris nirgends. Nicht mal ein Italiener macht in Paris guten Kaffee.
Hat sich die Stimmung in Paris in den vergangenen Jahren sehr verändert?
Zwischen den Fahrradfahrern und den Autofahrern herrscht Krieg. Die Bürgermeisterin möchte weniger Autos auf den Straßen haben, mehr Fahrradwege, aber alle fahren Auto in dieser Stadt. Dabei ist die Stadt so klein. Die Leute hier lieben es, sich am Steuer zu streiten.
In Virginie Despentes Trilogie über Vernon Subutex ist der Überlebenskampf für normale Menschen in Paris brutal.
Ja. Wie bei Houellebecq, die beiden sind unerbittlich. So kann man Paris sicher auch sehen. Paris ist teuer, zu teuer für junge Leute oder für Leute, die keinen Erfolg haben. Diese Menschen ziehen weg.
Sind die Nachtclubs auch zu teuer für die jungen Leute? Es heißt, in Paris trifft man sich privat und geht nicht aus.
Man geht auf Privatpartys. Hauspartys. Das stimmt. Als ich jung war, waren samstags manchmal fünf oder sechs Partys an einem Abend. Aber man geht schon auch aus. Nur sind die Clubs so schnell wieder weg, wie sie gekommen sind. Neulich wollte ich in einen Club gehen, da war eine Metzgerei drin.