Meine Eltern haben ihn noch gekannt, den guten Bekannten. Oder den alten Bekannten. Das ist, haben sie gesagt, ein Bekannter von mir oder ein guter alter Bekannter oder eine flüchtige Bekannte. Kein Freund? Nein, gerade eben nicht. Ein Freund oder eine Freundin waren etwas anderes. Mit denen waren sie quasi groß geworden. Die meisten kannten sie aus ihrer Kindheit oder Jugend und es geschah nicht oft, dass im Laufe des Lebens neue Freunde hinzukamen. Freunde waren etwas Besonderes.
Und das lag nicht nur an meinen Eltern, es lag auch an der Zeit: Man siezte sich teils selbst im privaten Bereich und sprach nur mit den allerengsten Bezugspersonen über tiefere Gefühle, wenn überhaupt. Danach sehne ich mich nicht zurück, wohl aber nach dem Begriff des »Bekannten«, auch wenn ich noch nie gesagt habe: Das ist eine Bekannte von mir! Denn für mich, und das liegt nicht nur an meinem Temperament, sind ja quasi alle Freunde. Wen ich irgendwie interessant finde, mit wem ich mich gut unterhalten kann, wer ähnliche Sachen macht wie ich oder auch ganz andere, wen ich attraktiv finde und mit wem ich mal ein Bier oder einen Kaffee getrunken habe, peng: Freund/in!
Es steckt auch ein wenig Sehnsucht in diesem Begriff, bei einigen Menschen, die ich gerade kennen gelernt habe, wünsche ich mir eben, sie mögen meine Freundin oder mein Freund sein. Wobei Freund, von einer Frau als solcher bezeichnet, ja immer gleich was impliziert. So ähnlich wie: Ach, das ist nur ein Bekannter von mir, tütütüüü.
Das Problem ist also, dass man zu viele Freundinnen hat. Oder halt, das klingt nach überheblichem Luxusproblem: Es gibt eben nicht wenige Menschen, die ich als Freunde bezeichne. Aber was ist eine Freundin? Es ist eine, die ähnlich tickt wie ich, die über das Gleiche lacht, von der ich viel wissen und der ich mich anvertrauen will, weil ich sie oder ihn so klug, großherzig und witzig finde. Die ich sehr schätze, mag, ja fast schon liebe. Und für die ich möglichst da sein will. Und genau das geht eben nur bedingt. Man kann nicht für jeden immer da sein, dafür hat man selbst zu viel zu tun.
Und dann versagst du als Freundin, wenn die oder der ein Bedürfnis nach dir hat. Ich spüre dann dieses Bedürfnis und fühle mich überfordert, weil ich den Anspruch, den ich an mich als Freundin habe, nicht erfüllen kann und mir das jetzt gerade alles zu viel ist.
Zwei Möglichkeiten: Ich durchkämme meine Kontaktliste und sortiere alle aus, die ich nur flüchtig kenne und für die ich mich nur am Rande interessiere. Oder ich mache neue Schubladen auf, hier Freunde und da nette Menschen, zu denen ich mich entfernt bekenne. Gute Bekannte, entfernte Bekannte, alte Bekannte. Damit es nicht so altbacken klingt, müsste man die Schubladen aber anders etikettieren: Wie wäre es mit Koint (Kumpel + Freund). Oder, analog dazu, Frekannter (Freund + Bekannter)? Oder Bierette (lockere Biertrink-Bekanntschaft)? Oder Coffeeclutch (regelmäßiges Kaffee-Date)? Siezen muss man all die Leute ja deshalb noch lange nicht.