Hoffnungsschwimmer

An Sommertagen zieht es die Menschen massenhaft an See oder Meer. Der Zauber liegt aber darin, erst in der Nacht baden zu gehen.

Ob im See oder am Meer: Wenn nur der Mond zuschaut, fühlt sich die Freiheit im Wasser schier grenzenlos an.

Foto: Oscar Zabala

Könnte man aus Tagträumen Postkarten senden, sie zeigten im Sommer den See. Wenn Sonnenstrahlen wie Säbelhiebe treffen und in der Hitze der Wind zu schwach zum Wehen ist, sehnen sich die Gedanken ans Wasser. Aber die Arbeit. Aber die Pflicht. Ein Glück, dass es sie gibt, denn dieser Tagtraum vom See wird besser in der Nacht Wirklichkeit. Sommertags ist am See nur Rummel. Wer kann, schwimmt nachts.

Der See liegt dann still und verlassen, und schon der Weg zu ihm ist verwunschen. Schöne Seen kennen keine Lampen. Wenn das Licht des Tages vergangen ist, schluckt sie die Nacht. Die Wege ans Wasser sind dann vage Pfade durch Dunkelheit, die plötzlich andere Richtungen als tagsüber weisen. Schatten stellen sich in die Sicht, jedes Gehölz wirkt groß wie ein Wald, und die Wiesen dahinter, noch zerrauft vom Tag, liegen menschenleer. Voraus ein flüchtiger Schimmer. Der See.

Nachtbaden ­bedeutet Nacktbaden, zumindest unter Freunden

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Vom schwarzen Spiegel des Wassers steigen Libellen auf. Der Wind geht sanft wie die Brise eines Fächers, der Rand des Ufers ist mit Schilf und Ried bewachsen, um die das Wasser silberne Ringe legt. Es braucht nur den Wunsch zu baden, die Bekleidung dafür ist nicht nötig. Nachtbaden bedeutet Nacktbaden, zumindest unter Freunden.

Der erste Schritt ist der schönste. Ohne Strömung oder Tiden ist der See blanke Oberfläche, und wenn der Mond sich nicht hinter Wolken verbirgt, wirft er ein mattes Licht, welches das Wasser düster und abgründig wirken lässt. Schon ein Tritt schreckt es auf und schickt kleine Wellen über den See, die in Staffeln vorauseilen.

Den Weg hinaus muss man waten. Eindrücke, die tags überlagert werden, drängen sich ins Bewusstsein: die Kühle, die den Sommerschweiß vom Körper spült. Der letzte Schritt, wenn die Füße vom Kies in jenen Schlick tief unten treten, der zwischen den Zehen aufquillt. Der erste Zug, der einen durch den See schnellen lässt. So nah an der Wasseroberfläche atmet man frische, herrliche Luft, sie trägt einen beinahe.

Wer nicht allein ist, spricht während des Schwimmens. Stimmen tragen weit über Wasser, und es verstärkt den Zauber des nächtlichen Sees noch, über Dutzende Meter flüstern zu können. Wer allein ist, lässt sich treiben. In einer Sommernacht im See zu driften, toter Mann unter freiem Himmel, das ist, als ließen die Sterne ihren Schleier fallen. Wenn man Glück hat, wehen Fledermäuse vorbei. Im Pech glaubt man nur, Glühwürmchenflügel hören zu können.

Die Zeit verliert sich schnell im See. Eine Minute: eine Ewigkeit. Eine Stunde: schon vorbei. Aber irgendwann muss man auf zu alten Ufern. Dann im Mondschein aus dem Wasser steigen, die Körper glitzernd, als ob jeder sich in Tautropfen gewälzt hätte. Es ist wahr: Es gibt Lichtschwimmer, und es gibt Schwimmer.