Die Optimistin
Andrea Freundt, 32, im 9. Monat schwanger, steht mit ihren Kindern Lara und Ben an der Schiffsanlegestelle in Immenstaad am Bodensee. Ihr Mann Mario, 44, Steuermann auf einem Touristendampfer, legt mit seinem Schiff für ein paar Minuten an, umarmt die Kinder und seine Frau.
Familientreffen für ein paar Minuten: Mario Freundt, Steuermann auf einem Bodenseedampfer, mit seiner Frau Andrea und den Kindern Lara und Ben.
Andrea: Wir haben uns bei den Bodensee-Schiffsbetrieben kennengelernt. Ich habe im Marketing gearbeitet, Mario im Fahrbetrieb. Jeden Morgen habe ich ihm die Kasse gebracht, abends hat er sie mir zurückgebracht. Irgendwann hatten wir einen unsinnigen Streit und ein halbes Jahr nicht miteinander geredet. Bis zu unserem ersten Date haben wir zwei Jahre gebraucht. Aber von da an haben wir uns jeden Tag gesehen. Das ist sechs Jahre her. Vor fünf Jahren kam Lara, und als wir geheiratet haben, war ich mit Ben schwanger.
Wir haben nie etwas aneinander auszusetzen. So etwas gibt es bei uns gar nicht, wir nehmen uns so an, wie wir sind, wir lieben uns weiter. Mario ist immer für mich da. Ich habe mich in sechs Jahren kein einziges Mal im Stich gelassen gefühlt. Obwohl so viele Kinder eigentlich nicht geplant waren. Mario wollte eines, ich wollte zwei, jetzt werden es drei. Noch ein Junge. Ans Arbeitengehen ist für mich natürlich nicht zu denken. Lara läuft weg, ehe man sichs versieht, und Ben möchte immer zum Wasser hin. In der Saison sehen die Kinder ihren Vater wenig, darum gehen wir ihn hier besuchen, am Steg, wenn er für ein paar Minuten anlegt. Da freuen sie sich.
Mario: Ich mag alles an meiner Frau. Nicht nur das Äußere, auch das Innere. Es hat von vornherein gepasst. Liebe auf den ersten Blick, auch wenn der erste Blick sich ein bisschen Zeit gelassen hat. Es war immer mein Traum, so zu leben, mit einer solchen Frau und Familie. So soll’s sein. Im Sommer habe ich wenig Zeit, da bin ich ja von früh bis spät auf dem Schiff. Und weil ich weiß, dass meine Frau mit den Kindern viel zu tun hat, rufe ich oft an und sage: Schatz, ich habe schon gegessen, mach dir keinen Stress. Dann ist sie nicht so angestrengt, wenn ich heimkomme.
Der Kämpfer
Der Kämpfer
Ein Bauernhof in Isny im Allgäu. Christian Wagner, 37, hat keinen Führerschein und fährt jeden Tag per Autostopp zu seiner Arbeit in einer Druckerei. Er führt eine schwierige Fernbeziehung.
Christian Wagner hat eine Fernbeziehung mit Baby, »Wir schaffen das.«
Über die Liebe wollt ihr reden? Da seid ihr bei mir richtig. Ich wohne gern hier, schon 13 Jahre. Und doch bin ich kurzzeitig nach Bremen gezogen – ihretwegen. Ich habe sie bei Myspace kennengelernt. So viele große Lieben gibt es ja nicht, und eine Fernbeziehung zwischen Bremen und Isny ist schwierig – mit 750 Kilometern zwischen uns. Sie ist schwanger geworden, zwei Monate, nachdem wir uns kennengelernt hatten. Es ging alles zu schnell. Jedenfalls ging es nicht gut. Nach sechs Wochen bin ich zurück ins Allgäu. Das war vor einem Jahr. Seitdem geht es nicht mit ihr und nicht ohne sie. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Am Freitag fahre ich wieder hoch, 14 Tage. Eines Tages werden wir den Ort erreichen, von dem wir träumen. Aber ich kann nicht noch mal alles aufgeben. In der Druckerei, in der ich 20 Jahre gearbeitet habe, verdiene ich jetzt als Leiharbeiter viel weniger als früher. Ich weiß, ich liebe sie. Wir werden weitermachen.
Die Nachdenkliche
Die Nachdenkliche
Eva Maria Engelen, 47, ist Professorin in Konstanz und lebt mit ihrer Familie im Schanzenviertel in Hamburg. Die Philosophin vertritt die Theorie, dass die Erfahrung von Gefühlen wesentlich für die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins ist.
Die Liebe im Spiegel der Philosophie: Professorin Eva Maria Engelen.
SZ-Magazin: Ist Liebe ein Wort, eine Konstruktion? Oder ist Liebe ein natürlicher Zustand?
Es gibt einen Stamm in Indonesien, der kein Wort für Verliebtsein hat. Eine Ethnologin hat sich gefragt: Können sie verliebt sein, obwohl es keinen Begriff dafür gibt? Und es stellte sich heraus, dass sie einen Begriff für eine Krankheit haben, die nur Menschen im Alter zwischen 13 und 16 befällt. Die Symptome: Herzrasen, Sehnsucht, sie wünschen sich immer die Nähe eines anderen. Sie sind, in unseren Worten, verliebt. Aber sie sind krank und werden eingesperrt: Man muss auf sie aufpassen, weil sie Muslime sind und vor der Ehe keinen Sexualkontakt haben dürfen.
Ihrer Ansicht nach lassen sich Liebe und Erkenntnis nicht trennen. Warum?
Die Begriffe Erkenntnis und Liebe gehören nicht nur in der Philosophie zusammen. Auch in der Religion sind sie ganz eng verbunden: Gott erkennt und liebt Sie. Denken Sie an Dr. House! Er weiß immer gleich, mit wem er es zu tun hat. Und obwohl er sich unmöglich benimmt, nehmen es ihm die Leute nicht übel, weil sie sich von ihm erkannt fühlen. Er ist wie der alttestamentarische, zornige Gott, der den anderen kennt.
Was hat Sie bewogen, sich mit den Gefühlen philosophisch zu befassen?
Ich habe bei sehr rationalistisch denkenden Philosophen studiert. Und ich fand es verblüffend, dass sie zwar alles einkalkuliert haben, aber dennoch so oft falsche Entscheidungen getroffen haben.
Was hat gefehlt?
Vertrauen. Vertrauen in die eigenen Urteile und Urteilsgrundlagen. Vertrauen ist ein wichtiger Begriff für das Konzept der Liebe. Man muss bestimmte Dinge einfach annehmen und kann sie nicht auch noch hinterfragen. Sonst bricht das ganze Erkenntnissystem durch radikalen Skeptizismus zusammen, und man wird handlungsunfähig.
Ist Liebe das wichtigste Gefühl?
Sie bewegt einiges. Sie schafft ein Interesse daran, dass es dem anderen gut geht. Das ist die Liebe im nichtromantischen Sinn: eine Liebe, die den anderen als Menschen anerkennt mit seinen Bedürfnissen und dem, was ihm als Menschen zusteht.
Manche behaupten, Liebe sei ein Trick der Natur.
Liebe ist viel zu komplex, um ein Trick der Natur zu sein. Der philosophische Begriff der Liebe ist weiter gefasst: Er geht über die körperlichen Aspekte hinaus oder darüber, dass Liebe zur Kinderversorgung wichtig ist und dazu, die eigenen Gene durchzusetzen.
Was ist das Rezept der Philosophin für ein Gelingen der Liebe?
Die Grundlage ist Vertrauen. Und Sie müssen den anderen mögen, so wie Sie ihn kennen. Manchmal findet man etwas am anderen blöd und will es verändern, aber zu oft sollte man das nicht so empfinden. Was der andere denkt und tut, muss man immer wieder anregend finden. Es muss eine Bereicherung sein, diesen Menschen weiterzulieben.
Wie definieren Sie Vertrauen?
Ein Grundvertrauen in den anderen. Ein Sich-Verlassen darauf, dass der andere das Beste für einen will und auch meistens tut.
In der partnerschaftlichen Liebe will man oft das Beste für sich.
Sicher. Aber man sollte auch ein Interesse daran haben, dass der andere den besten Weg für sich findet. Nicht nur daran, dass es einem selbst gut geht.
Das müsste so weit gehen, dass man jemanden auch ziehen lassen kann?
Ja, das müsste so weit gehen.
Wenn Sie an die Hippies denken und ihren Glauben an Love and Peace: Ist Liebe ein Konzept, das die Welt retten könnte?
Das glaube ich nicht. Man kann nicht alle lieben. Manche Menschen mag man eben nicht.
Die Erfahrenen
Die Erfahrenen
Brandenburg. Felder, so groß, dass das Auge sich verliert. Ein Dorf, das Herzsprung heißt. An einem Zaun steht ein Mann: »Über die Liebe wollen Sie reden? Klingeln Sie bei den Fanos.« Drei Häuser weiter öffnen Albert und Christel Fano, 81 und 75 Jahre, beide Rentner, die Tür.
Die Liebe von Albert und Christel Fano begann in der Nachkriegszeit.
Albert Fano: Ich bin in Moldawien geboren und Anfang 1945 mit einem Flüchtlingstreck hierher gekommen, mit 15.
Christel Fano: Ich war zehn und habe schräg gegenüber gewohnt.
Albert: Als sie 15 war, wollten wir ein Theaterstück aufführen und haben dafür ein Töchterchen gebraucht. Also bin ich zu Christels Vater. Er war einverstanden. Bring sie unbeschadet wieder, hat er gesagt.
Christel: Er hat so gut auf mich aufgepasst, dass er mich heiraten wollte. Er war mein erster Freund. Mit 19 habe ich ihn geheiratet, das Festessen fand hier im Haus statt, Hühnerbrühe, Frikassee, Schnitzel, Braten. Auch die silberne und goldene Hochzeit haben wir im Dorf gefeiert.
Albert: Nach dem Krieg wurde alles zusammengeschmissen in den LPGs. Meine Frau war Mähdrescher-Fahrerin, ich Melker. Wir bekamen zwei Mädels, beide verheiratet, sie haben Kinder. Nach der Wende wurden wir in den Vorruhestand geschickt.
Christel: Die Leute haben heute alles, nehmen Kredite auf und stellen sich die Bude voll. Wir haben noch jeden Stuhl einzeln gekauft.
Albert: Wie viele Hochzeitskleider meine Frau für die Leute genäht hat, damit wir uns etwas leisten konnten! Früher war das Dorf größer, jetzt gibt es keine Arbeit mehr. Immerhin fanden im letzten Jahr noch zwölf goldene Hochzeiten statt.
Christel: Man muss Kompromisse machen. 26 Jahre hat die kranke Schwiegermutter mit uns gelebt, danach seine Schwester, dann war meine Mutter so weit. Jetzt müssen Sie bald zur Kur, sagte der Arzt. Es ging aber auch ohne.
Albert: Wir haben als Jugendliche viel erlebt, viel gesehen, sind immer weiter zusammen durchs Leben gegangen. Ich musste mich auf der Flucht eingraben. Und die Todesmärsche sind durch Herzsprung gegangen, die Juden haben geschrien vor Durst, Christel hat ihnen Wasser gebracht.
Christel: Viele sind tot auf den Boden gefallen. Das geht einem nicht mehr aus dem Kopf. Auf den Straßenfesten sitzen wir zusammen und reden darüber.
Albert: Alle, die in unserem Hochzeitsjahr geheiratet haben, sind noch zusammen. Fünf von denen gibt es noch hier. In unseren letzten Jahren werden wir wohl auch nicht mehr auseinandergehen.
Fotos: Armin Smailovic; Illustration: Olaf Breuning