Das sagt die Frau:
Es ist fast unmöglich, einen Menschen zu lieben, aber seine Anziehsachen nicht. Zwar sagt die Kulturwissenschaftlerin Barbara Vinken, dass die Körperlichkeit des Mannes in der modernen Herrenmode preisgegeben werde. Alles, was schön und sexuell attraktiv mache, finde man – im Gegensatz zum 17. Jahrhundert etwa – heute ausschließlich in der Damenmode. Das mag historisch stimmen. Trotzdem kann es, wenn ich mich in einen Mann vergucke, unbedingt mit der Art zu tun haben, wie ein Jackett über der Schulter sitzt. Oder damit, wie das Blau eines Pullovers im Augenaufschlag seines Trägers blitzt. Wenn ein Mann seine Kleidung gut tragen kann, dann lässt es mich darauf schließen, dass er auch gut keine Kleidung tragen kann.
Ich weiß noch genau, was der Mann, mit dem ich heute verheiratet bin, an dem Abend trug, als wir uns ernsthaft zu mögen begannen: ein blaues Shirt mit einem Henley-Kragen, also einer Knopfleiste, einen Windbreaker – und eine Jeans.
Bei einer Umfrage des Mode-Versandhandels Zalando kam heraus, dass Frauen kein Kleidungsstück an einem Mann so attraktiv finden wie die Jeans. Mein Mann hat eine graue Levi's, an der nichts besonders ist. Er hat sie gekauft, da waren wir nicht lang zusammen, vor neun Jahren in San Francisco. Ich weiß nicht mal, wie gern er diese Jeans selbst hat. Aber ich weiß, dass es seine beste ist und dass ich jedes Mal schwach werde, wenn er sie trägt. Da er das auch weiß, nehme ich an, dass das der Grund ist, warum er die Jeans in derselben Waschung gerade nachgekauft hat. Sehr gut finde ich ihn aber auch in der Jogginghose, die ich ihm geschenkt habe – vielleicht, weil nur ich meinen öffentlich sehr genau gekleideten Mann darin sehe.
Wir teilen einen Schrank. Es ist ein großer. Mein Mann hat den Stauraum aufgeteilt und sich dabei mir gegenüber so großzügig und freigiebig verhalten wie immer: Ich habe viele Fächer und mehr Platz zum Aufhängen als er. Dafür dürfen seine Sakkos zwischen meine Kleider wandern. Sich so nah zu sein wie in einer Ehe bedeutet mitunter, dass die Grenzen verschwimmen. Dass man ganz schön viel voneinander mitbekommt. Und dass man zwischen sich gelegentlich aufräumen muss, um sich nicht zu verlieren. So ist das auch mit unserem Schrank: Weil wir beide nicht zur Ordnung neigen, verwursteln sich die Ärmel unserer Shirts, und seine graue Jeans muffelt auf meiner grauen Jeans herum. Seine Gewohnheit, Badehosen zu den Socken zu stopfen, finde ich, je nach Tagesform, rätselhaft bis problematisch. Dass sein Textil oft doppelt so teuer ist wie meins (auch wenn ich möglicherweise doppelt so viel Textil besitze, behauptet er jedenfalls), ist der Gender Gap, den ich ihm grummelnd zugestehe. Aber auf den Gedanken gekommen, seine Wäsche zu sortieren oder seine Hemden aufzuhängen, bin ich noch nie. Und ich kann mich darauf verlassen, dass er meine Stapel auch in Ruhe lässt. Irgendwann fasst sich einer von uns ein Herz und räumt bei sich auf, damit der andere wieder Platz und Ruhe hat.
Meine Bereitschaft, seinen Schrankteil so zu nehmen, wie er ist, hat nur eine Grenze: ein olles, algengrünes T-Shirt. Es sah schon fusselig aus, als er es gekauft hat, sollte wohl so. Jetzt ist es an einigen Stellen fast durchgescheuert. Es ist schwer, einen Menschen zu lieben, aber seine Kleidung nicht – aber dass es nicht unmöglich ist, zeigt mir dieser potenzielle Putzlappen, den er zum Relaxen trägt, immer wieder. Wir haben zwar einen echt großen Schrank, aber all meine Gefühle für ihn haben darin immer noch keinen Platz.
Das sagt der Mann:
Wenn ich meine Frau anschaue, was ich gern tue, und überlege, was für ein Kleiderschrank zu ihr passen würde, denke ich an einen Mid-Century-Traum aus Teak, einen Entwurf von Florence Knoll. In luftigen Fächern lägen nach Farben sortiert ihre Oberteile, darunter die feine Unterwäsche, von mir aus ungefaltet. An der Stange hingen ihre Kleider, die einzig für diesen Körper genäht zu sein scheinen, zuvorderst das schwarze, das ihren Rücken freilässt, gebügelt, Lavendel-Luft atmend.
Aber wenn ich den Kleiderschrank meiner Frau anschaue, was sich nicht vermeiden lässt, weil wir uns so einen Ikea-Oschi teilen, und mir überlege, zu was für einer Frau er passen würde, denke ich an eine echt anstrengende, raumnehmende, konfuse Trulla mit grundlegenden Problemen, von denen sie ununterbrochen redet. Meine Frau ist schöner, anziehender, entspannter und aufgeräumter als ihr Kleiderschrank, der leider auch meiner ist. Vor allem kleidet sie sich besser, als das Wäschechaos vermuten lässt, das sie hinter raumhohen Schiebetüren auftürmt. Es stimmt nicht, was sie sagt (wenn die Sale-Angebote Stockholmer Designer aus ihrem Smartphone leuchten): Dass sie nichts zum Anziehen habe. Sie hat mehr als ich, weswegen ich zu wenig Platz habe und meine Badehose zu den Socken quetsche. Es ist eher so: Sie hat zu viel zum Nichtanziehen. Sachen, die ich – zum Glück! – nie an ihr gesehen habe und die alles andere verschlucken. Bleiche Hosen mit Schlag. Schlabbrige Strickgewänder. Eine himmelblaue Trainingsjacke. Sogar: ein Höschen mit Cupcakes darauf. Süß, aber ich kenne die Person nicht, die das trägt. Ich wühle in meinem, ihrem Schrank und stoße auf ein fremdes Leben.
Von den Klamotten, die meine Frau tatsächlich anzieht, gibt es drei, die ich nicht verstehe. Ein Sweatshirt mit Leopardenprint. Ein Wollpulli mit einem Seventies-Blumenmuster, das einem frühestens nach 15 Joints einfallen kann. Und eine schimmelgrün-weiß gestreifte Bluse mit blauen Kreisen, Hersteller: »Crazy Horse«. Alles irgendwie gewollter, kratziger als alles andere, was sie trägt. Aber als ich die drei Teile für diesen Text aus dem Stoffmeer fischte und sie näher betrachtete, wurde mir erstmals klar, dass es sich um Erbstücke handeln muss. Sie sind Teil einer textilen Identität, die sich nicht erschließt, wenn man mit ihnen kein Gefühl verbindet.
Ich holte meine Favoriten unter ihren Klamotten hervor und merkte, dass es sich damit genauso verhält: Es geht nicht um Muster, Schnitt, Passform – sondern um Erinnerung. Ich fand das weiße Feinrippunterhemd und roch den uhrzeitlosen Sommer, in dem wir uns kennenlernten und in dem sie, meiner Erinnerung nach, obenrum nie was anderes trug. Ich sah das graue Cocktailkleid und hörte sie den Satz sagen, nach dem ich wusste, dass jedes Leben ohne diese richtige Frau das falsche wäre. Ich fuhr mit den Fingern über das rot-schwarze Holzfällerhemd und spürte das nervöse Glück, als sie mir das erste Ultraschallbild zeigte. Ich stand vor unserem Schrank und sah die Dia-Show einer neun Jahre dauernden Reise, unserer.
Aber ihre Geschichte begann 25 Jahre früher. Jeder Moment vor uns hat sie zu der Frau gemacht, die ich heute meine nennen darf. Ich mag an meiner Frau auch ihre Vergangenheit. Von all den Abenteuern und Erfahrungen profitiert nicht nur sie, sie haben auch mich zu einem anderen, ich glaube: besseren Menschen gemacht. Und von diesem Weg ins Jetzt erzählen ihre Nichtanziehsachen. Also: Ja, okay, ich liebe sogar unseren Schrank.
Illustration: Sara Andreasson