Ich suche den Traummenschen, und ich würde sagen, ich bin romantisch. Vielleicht sogar ein bisschen verkorkst. Vor zweieinhalb Jahren habe ich mir ein Profil beim Online-Dating eingerichtet. Anfangs habe ich Sachen geschrieben wie: »Ich mag den Gedanken, mit dir die Steilwände der portugiesischen Küste zu erobern. Aber leider ist es bis zur nächsten Reise noch ein bisschen hin – hättest du auch Lust, mich im Café in der Was-weiß-ich-Straße kennenzulernen?« Sie hatte in ihrem Profil angegeben, dass sie Portugal mag. Ich bin auf die Frauen eingegangen, habe ihre Interessen aufgegriffen, oft mehr als eine Seite geschrieben. Ich war ein kleiner Poet, habe lange nach den richtigen Worten gesucht.
Jetzt mache ich das nicht mehr, ich schreibe nur noch zwei, drei Sätze. Es kommt ohnehin kaum etwas zurück. 111 Initiativ-Mails habe ich geschrieben, auf die Hälfte habe ich Antworten bekommen. Das klingt nicht schlecht. Aber es fühlt sich schlecht an. Keine Antwort ist auch eine Antwort. Eine negative eben. Man zweifelt. Man denkt: Keiner mag mich, niemand interessiert sich für mich. Hinzu kommt: Man kann niemanden fragen, woran es liegt. Da ist nur der unendliche weite Raum des Internets. Und da sind Hypothesen. Vielleicht liegt es an meinem Bart? Gefällt den Frauen meine Nase nicht? Brauche ich ein Tattoo? Bilder sind so stark, und ich würde sicher keinen Coolheitswettbewerb gewinnen.
Ich habe 87 Initiativ-Mails bekommen, in 60 davon stand nur »Hey«. Was soll ein »Hey«? Ist das ein »Hier bin ich, schenk mir Aufmerksamkeit«? Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll, weil ich nicht weiß, ob die Frau mich überhaupt meint.
Die restlichen 27 dieser 87 Initiativ-Frauen haben mir eine echte, ausführliche Mail geschrieben, also ungefähr pro Monat eine. Dabei schauen sich jeden Tag zwei bis drei Frauen mein Profil an. Das macht 2300 in zweieinhalb Jahren. Ganz schön viele, die nicht schreiben. Darüber hatte ich gar nicht nachgedacht, bevor ich anfing, online die Liebe zu suchen: Dass man erfährt, wie viele sich gegen einen entscheiden. Ich weiß mittlerweile von anderen Online-Datern, dass es bei ihnen auch so ist, es sei denn, sie sehen aus wie ein Model. Aber ich finde es nicht so leicht, damit immer wieder klarzukommen.
Und dann gab es noch die echten Abfuhren. Auf jede dritte Initiativ-Mail, die ich verschickt hatte, kam zurück: »Tut mir leid, keine Zeit.« Oder: »Du bist nicht das, was ich suche.« Einerseits finde ich es besser, die Wahrheit zu hören als so ein scheinheiliges »Keine Zeit«. Das ist ja die gleiche Ausrede, die man offline zu hören bekommt. Und online ist sie noch unehrlicher als offline, weil es gar nicht sein kann, sonst wären die Frauen ja nicht registriert. Andererseits ist Ehrlichkeit auch wieder kränkend. Genau wie offline. Ich frage mich dann, wie kannst du so schnell wissen, dass ich nicht das bin, was du suchst? Ich sehe nicht aus wie ein Model, das hatten wir ja schon. Und ich kann mich nicht als jemand ausgeben, der ich nicht bin, denn spätestens beim ersten Treffen zerplatzt diese Mann-Illusion. Ich bin kein Haudegen. Ich bin ruhig, reflektiert, eher zurückhaltend. Waschbrettbauch habe ich auch keinen. Dafür habe ich noch kein schütteres Haar oder Geheimratsecken. Alles in allem bin ich durchschnittlich, würde ich sagen.
Mit den Frauen, mit denen ich gematcht werde, habe ich vieles gemeinsam, sonst wären wir ja nicht gematcht worden. Vielleicht liegt genau in diesen vermeintlich idealen Voraussetzungen die spezielle Gefahr des Online-Datens. Denn die Algorithmen der Datingseiten sind so gut, dass all die, die nicht meine Interessen haben, mir gar nicht als Suchergebnisse angezeigt werden. Aber mit denen, die mir angezeigt werden, verbindet mich viel: Hobbys, Lebensphilosophie, Filmgeschmack, Musikgeschmack, romantische Vorstellungen. Weil man schon diese imaginäre Verbindung hatte, ist man noch enttäuschter, wenn man nichts hört.
Ich habe angefangen, an meinem Profil zu feilen. Mehr Fotos, mal am See, mal in meinem Bus, mal mit Mütze, mal ohne. Am Text habe ich auch immer wieder etwas verändert. Anfangs habe ich als Hobby Videospiele angegeben, später wurden daraus lange Spaziergänge. Beides stimmt, nur die Prioritäten haben sich verschoben. So ein Profil ist wie eine Persönlichkeit, das entwickelt sich erst. Ich lerne ständig dazu. Was mir wichtig ist und bleibt: immer ehrlich zu sein.
Mit zehn Frauen, die ich online kennengelernt habe, hatte ich Sex.
Ein paar davon hatten mir gemailt, ein paar hatte ich angeschrieben.
Ich bin auch offline mutiger geworden. Vielleicht weil ich gemerkt habe, dass es gar nicht so geschützt ist, online zu daten. Dass man überall Abfuhren bekommt. Ich traue mich jetzt ab und zu, Frauen anzusprechen, die mir gefallen. Manchmal stellen wir fest, dass wir beide online daten, aber auf unterschiedlichen Plattformen. Das finde ich lustig. Da sucht man online und findet offline.
Illustration: R. Kikuo Johnson