»Schreiben ist wie Licht machen«

Die Französin Virginie ­Despentes hat mit »Das ­Leben des Vernon Subutex« eine Trilogie geschrieben, die sie vom Punk zur ­renommierten Literatin ­gemacht hat. Sie erzählt von Menschen am Rande der Gesellschaft – in deren Welt kennt sie sich aus.

Virginie Despentes wird seit ihrer Trilogie über Das Leben des Vernon Subutex mit ­Michel Houellebecq ­verglichen.

Virginie Despentes hat als Treffpunkt eine Bar im Pariser Viertel Belleville vorgeschlagen, nicht weit vom Parc des Buttes-Chaumont, wo der zweite Teil ihrer Trilogie über das Leben des Vernon Subutex spielt. In der Bar läuft Musik, Pretenders, Talking Heads, Musik aus den Achtzigerjahren, als Virginie Despentes in einem Plattenladen arbeitete, wie ihr Held Vernon Subutex.

Jetzt lebt Despentes, 49, in diesem Viertel mit ihrer spanischen Freundin zusammen. Als sie 35 war, beendete sie ihre letzte hetero­sexuelle Beziehung. Es sei nichts für sie, beweisen zu müssen, dass sie eine liebenswerte Frau sei, schreibt sie in der King Kong Theorie, die in neuer Übersetzung gleichzeitig mit dem dritten Subutex-Band – Das Leben des Vernon Subutex 3 – im September erschienen ist. »Den Männern gefallen ist eine komplizierte Kunst, die ver­langt, dass man alles unterdrückt, was mit Macht zu tun hat.« Die King Kong Theorie ist eine feministische Streitschrift, angereichert mit wichtigen biografischen Details, aus denen sich die Weltsicht der Autorin erklärt: Virginie Despentes, geboren und aufgewachsen in Nancy, wurde mit siebzehn beim Trampen vergewaltigt. Mit Anfang zwanzig arbeitete sie als Prostituierte, und das war für sie, als würde sie sich ihre Würde zurückholen. In der Zeit schrieb sie Baise-moi, ein Skandalbuch, aus dem sie ein paar Jahre später einen Skandalfilm machte: Zwei Frauen auf einem Rachefeldzug gegen die Männer.

Despentes, ungeschminkt, schwarze Hose, schwarzes T-Shirt, bestellt ein kleines Glas Weißwein und spricht erstaunlich leise.

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SZ-Magazin: Sie sind eine erklärte Feministin. Warum haben Sie für die Trilogie über Vernon Subutex eine männliche Hauptfigur gewählt?
Virginie Despentes:
Erstens, weil Musik, also Punkrock, wirklich wichtig für das Buch ist. Da war es einfacher, einen Mann zunehmen. Die meisten Punkrocker waren doch Jungs. Zweitens, weil alle meine Romane bisher Frauen als Helden hatten. Ich musste sie immer verteidigen und hatte einfach Lust auf etwas anderes. Und ich glaube, dass mein Unterbewusstsein­ mir eingeflüstert hat, ein Buch mit einem Mann als Protagonisten könnte ernster genommen werden. Und so ist es. Ich bin mir sicher, wenn an diesem Roman alles genauso wäre, nur Subutex wäre eine Frau, dann wäre er anders wahrgenommen worden.

Wie denn?
Jetzt ist Subutex ein Gesellschaftsroman, ein Roman über Paris, über unsere Zeit, über Politik. Wäre Subutex eine Frau gewesen, wäre der Roman als die Geschichte dieser Frau gelesen worden.

Sie meinen, der Roman wäre in der Schublade Frauenliteratur gelandet?
Natürlich. In Frankreich ist es für Frauen schwierig, nicht als Frauenliteratur ab­gestempelt zu werden. Auch wenn es gar nicht wirklich eine Kategorie ist. Ich habe übrigens auch darauf bestanden, dass auf dem Cover der Bücher mein Vorname nicht mehr auftaucht. Ich glaube, dass allein ein weiblicher Vorname dafür sorgt, dass weniger Männer dich lesen.

In der King Kong Theorie, die Sie 2006 veröffentlicht haben, stellten Sie fest, dass man Sie systematisch mit Frauen wie Amélie Nothomb verglich und Sie damit auf Ihren Platz »als Weibchen« verwies. Ist das jetzt anders?
Ich habe an Glaubwürdigkeit gewonnen. Und ich werde für intelligenter gehalten.

Ist es dann nicht kontraproduktiv, dass Ihre feministische Streitschrift aus­gerechnet jetzt in Deutschland wiedererscheint?
Nein, gar nicht. Das bin ja ich. Und aktuell ist das Buch nach wie vor. Aber wenn ich einen Roman schreibe, ist der natürlich mehr als nur feministisch. Und ich habe es satt, dass meine Protagonistinnen so schonungslos betrachtet und beurteilt werden. Männern gegenüber ist der Leser großzügiger. Es ist einfach so: Die Frauen lieben die Männer. Und die Männer lieben die Männer auch.

Die King Kong Theorie ist autobiografisch. Man begreift, wie viel die Frauen um Vernon Subutex herum mit Ihnen zu tun haben: ein ehemaliger Porno­star, eine junge Frau, die vergewaltigt wird, eine ehemalige Bassistin …
Ja, sie sind alle ein bisschen ich.

Und »die Hyäne«, eine charismatische, clevere Lesbe: Ist das Ihr Alter Ego?
Ich wäre froh, wenn sie mein Alter Ego wäre, ich finde sie sehr cool, stark und tüchtig. Aber ich bin viel schüchterner als sie. Die Hyäne taucht schon in meinem Roman Apocalypse Baby auf, sie begleitet mich schon lange. In Vernon Subutex ist sie milder geworden. Menschlicher.

Warum haben Sie die Figur Hyäne genannt?
Ich habe mir einen weiblichen Clint Eastwood aus Dirty Harry vorgestellt. Das ist keine sympathische Figur. Er ist der Jäger, die Hyäne ist die Jägerin. Eine desillusionierte, zynische, effektive und sehr witzige Privatdetektivin.

Eine wichtige Rolle in den Büchern spielt Dopalet, ein sexistischer, rassis­tischer, skrupelloser Filmemacher. Er wird zum Opfer, weil zwei Frauen ihn fertigmachen. Über ihn heißt es: »In ihm wütet der Zorn, der Zorn des Opfers, dessen rettende Schärfe er nicht kannte.« Den Zorn des Opfers kennen Sie gut. Sind Sie auch Dopalet?
Als Opfer ist man ja immer wütend. Man wurde ungerecht behandelt, einem wurde Gewalt angetan, dann wird man wütend. Ich kenne diesen Zorn, er ist mir sogar sehr vertraut. Ich unterscheide mittlerweile zwischen der Wut, mit der man sich verteidigt und die einen am Leben erhält, und der Wut, mit der man zerstört, andere und auch sich selbst. Viele der Gedanken der gewaltbereiten Männer in Subutex wie Patrice oder Xavier oder Dopalet sind meine eigenen Gedanken, ihr Leben Teil meines Lebens. Wichtig ist bei der Wut, dass man den Moment erkennt, in dem die Wut, die zerstört, sich Bahn bricht.

Wie erkennt man den Moment?
Man ist unglücklich. Diese Wut erstickt einen, zerfrisst einen, macht einen kaputt.

Virginie Despentes

geboren 1969 in Nancy, wurde mit ihrem Skandalbuch Baise-moi – Fick mich Anfang der Nullerjahre auch in Deutschland bekannt, mit der Trilogie Das Leben des Vernon Subutex hat sie nun drei Bestseller nach­gelegt. Gerade wird der Stoff als Serie fürs Fernsehen verfilmt. Seit 2016 ist die Autorin Mitglied der Jury des Prix Goncourt, des wichtigsten französischen Literatur­preises. Sie lebt mit ­ihrer Partnerin in Paris.

Und was macht man?
Da muss man schnell etwas ändern. Wirklich ändern.

Ging es Ihnen mal so?
Als ich ungefähr dreißig Jahre alt war, habe ich versucht, eine gute Frau zu sein. Eine anständige Frau, mit einem Mann und Kinderwunsch, wie die französische Gesellschaft sich das vorstellt. Eine weibliche Frau. Aber Weiblichkeit ist ja nichts anderes als die Kunst der Servilität. Verführerisch sein, aber unauffällig. Häuslich. Niedlich. Weiblich. Und ich wurde wütend, wütender als je zuvor. Da wusste ich, das funktioniert so nicht, du musst etwas Grundlegendes ändern.

Wird nur eine mit einem Mann verheiratete Frau von der Gesellschaft akzeptiert?
Bei einer unverheirateten Frau denkt man in Frankreich sofort, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Zumindest sehen das die Männer meiner Generation noch so. Ich glaube, die jüngeren ändern sich. Das hat man bei #MeToo ja auch gesehen.

Was meinen Sie damit?
Die Emanzipation der Frauen macht die Männer zwischen fünfzig und sechzig wütend, weil sie sich dadurch schwächer fühlen. Sie denken, dass eine Frau nicht da draußen unterwegs wäre, wenn sie eine gute Frau wäre, sondern bei ihrem Mann und ihren Kindern. Wenn eine Frau einen angesehenen Posten hat, wenn sie gute Arbeit leistet, sich in die Öffentlichkeit begibt, mit Männern in Konkurrenz tritt, ist sie sexuell antastbar. Sie riskiert es, sexistisch behandelt zu werden. Eine Ehefrau nicht.

Sie vergleichen die Ehefrau mit einer Prostituierten. Wie begründen Sie das?
Beide wollen was vom Mann. Gerade Frauen, die mit mächtigen, reichen Männern verheiratet sind. Wenn ich mir Melania Trump anschaue, denke ich sofort, dass sie mit diesem Mann verheiratet ist, weil er ihr ein Leben bieten kann, das sie ohne ihn nicht hätte. Und er ist mit ihr verheiratet, weil sie schön und jung ist. Das ist nicht weit weg von der Prostitution. Eine Frau, die ihr Aussehen benutzt, um an das Geld eines Mannes zu kommen, verhält sich wie eine Prostituierte, halt auf der Luxusebene. Ich verurteile das nicht, ich war ja selbst mit Anfang zwanzig Prostituierte. Als ich darüber in der King Kong Theorie geschrieben habe, ging es mir nicht darum, Ehefrauen zu kränken, sondern ein Plädoyer für die Prostitution zu halten, die ich einigen anderen Arbeiten vorgezogen habe, bei denen ich mehr Geld hätte abgeben müssen. Zum Beispiel an der Aldi-Kasse.

Sie fühlten sich als Prostituierte von Männern sogar respektvoller behandelt als in Ihrer Eigenschaft als junge, ungebundene Frau. Wie erklären Sie sich das?
Wenn eine Frau mit einem Mann ins Bett geht, weil sie Lust dazu hat, kein Geld dafür möchte und voraussichtlich nicht seine Ehefrau wird, ist das immer noch unanständig. Männer respektieren solche Frauen nicht. Bei der Prostituierten fällt diese Abwertung irgendwie weg. Die Sexualität der Frau ist immer noch so unfassbar kompliziert. Ich glaube, es ist heute sogar wieder problematischer als noch in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Zu der Zeit durfte man sich immerhin mal für Jungs und Sex interessieren. Instagram und Snapchat haben das total verändert. Solche Frauen sind heute wieder Schlampen. Und das ist sofort publik. Sie werden ständig kontrolliert.

Erleben wir einen Rückschritt?
Wir erleben eine Verbesserung und eine Verschlechterung zugleich. Seit #MeToo ist klar, dass Frauen heute erzählen können, wenn sie Opfer von Sexismus wurden oder werden. Und dass sie ernst genommen werden, das wäre in den Siebzigern oder Achtzigern nicht so gewesen. Damals war es nicht selbstverständlich, dass Mädchen sich auf offener Straße herumtrieben, trampten, rausgingen, Spaß hatten. Es war sogar gefährlich. Sie betraten die Straße auf eigene Gefahr.

Haben Sie deshalb Ihren Eltern nie erzählt, dass Sie vergewaltigt wurden? Weil Sie dachten, Sie seien selbst schuld?
Ich habe es ihnen vor allem nicht erzählt, weil sie mich dann nicht mehr rausgelassen hätten. Das wäre das Ende meiner Freiheit gewesen. Heute würden die Frauen sich wehren, das haben wir nicht getan, wir fühlten uns nicht im Recht dazu. Das Gleiche mit der Arbeit: Frauen in den Siebzigern und Achtzigern waren so glücklich darüber, überhaupt arbeiten zu dürfen, dass sie sich nicht über Männer beklagt haben, die ihre Macht missbrauchten.

Was ist schlechter geworden?
Der Körperkult. Die soziale Kontrolle. Frauen müssen immer schöner, perfekter, verführerischer sein. Frauen müssen sich im Griff haben. Es ist nicht mehr vorgesehen, dass Frauen ab fünfzig zunehmen. Auch die Heiligsprechung der Mutterschaft ist ein Rückschritt für mich. Aber so ist es immer, nach der Befreiung kommt ein Rückschlag. Zum Glück wird trotzdem nie mehr alles so wie früher.

Sondern?
Wenn ich heute zwanzigjährige Frauen sehe, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie wirklich daran glauben, in der Ehe und Mutterschaft ihr Glück zu finden. Man kriegt sie nicht zurück in die Fünfzigerjahre.

»Im Filmgeschäft hat man die Frau schlecht behandelt, erniedrigt, schlecht bezahlt. Seit den Fünfzigerjahren lief das so, durch alle Jahrzehnte hindurch«

Sie haben Dopalet, über den wir schon sprachen, schon vor #MeToo pro­phetisch weinsteinhaft angelegt. Wie kamen Sie darauf?
Das ist kein bisschen prophetisch, das Kino war schon immer so. Die Regisseure, die ganze Stimmung im Filmgeschäft war super­-sexistisch, jedenfalls in Frankreich. Da gab es übrigens auch keinen nennenswerten Unterschied zwischen normalen Filmen und Pornofilmen, die Atmosphäre war sexuell aufgeladen, man hat die Frauen schlecht behandelt, erniedrigt, schlecht bezahlt, seit den Fünfzigerjahren lief das so, durch alle Jahrzehnte hindurch. Das Kino hat auch immer mächtig Propaganda für die perfekte, anständige, weibliche Frau gemacht. Als ich meinen ersten Film gedreht habe, im Jahr 2000, und meine Vorstellungen durchgesetzt habe, mit zwei Hauptdarstellerinnen, die sonst Pornos drehten, habe ich sofort gemerkt, was für ein scharfer Wind mir entgegenschlug. Der Film hatte dann auch nicht die geringste Chance bei den Kritikern. Er wurde nach wenigen Tagen ver­boten, wegen Pornografie.

Der Film hieß Baise-moi. Zwei Frauen, denen Männer übel mitgespielt haben, ziehen durchs Land und rächen sich an allen Männern. Eine Mischung aus Thelma & Louise und Natural Born Killers, mit einigen sexuell brutalen Szenen. Ein ziemlicher Wutausbruch von Ihnen. Sind Sie bis heute so wütend?
Weniger als früher. Wahrscheinlich sogar wegen Weinstein. Weil es mich zufrieden macht, dass eine junge Komödiantin, die sich für ein Casting ausziehen soll, heute Nein sagen kann. Oder ihr Telefon nimmt und erzählt, was ihr passiert ist.

Der Regisseur Elia Kazan hat mal gesagt, das künstlerische Genie sei der Schorf, der sich auf den Wunden gebildet habe. Ist man als Künstler stärker, wenn man etwas Abstand gewonnen hat?
Nein. Ich glaube sogar, dass es ein guter Moment ist, künstlerisch tätig zu werden, wenn die Wunde noch blutet. Schreiben ist doch wie Licht machen. Filmen auch. Das kann chaotisch sein. Aber sobald man eine Sprache findet, entsteht ein Werk. Baise-moi war nie sophisticated, das stimmt. Aber das Rohe, Derbe ist für mich auch eine Qualität. Es ist kein Wert für mich, über den Dingen zu stehen. Und meine Sprache ist immer noch derb.

Ihr Blick auf die Gegenwart, auf Frankreich, auf Paris, ist auch immer noch ungnädig.
Na ja, das ist natürlich auch eine Alters­erscheinung. Ich bin nun fast fünfzig Jahre alt, und vieles an der Welt, wie ich sie geliebt habe, als ich jung war, ist verschwunden. Ich mag die Musik von vor zwanzig Jahren lieber als die Musik von heute. Ich mag Paris, aber ich fand Paris vor zwanzig Jahren schöner. Paris ist so auf­geregt. Paris ist Krieg. Auch schon vor den Attentaten. In der U-Bahn, im Taxi, alle sind aggressiv, man wird selbst aggressiv. Ich beklage all das, was man so in meinem Alter beklagt, das Verschwinden der kleinen Geschäfte, an deren Stelle jetzt die Ketten sind. Die Buchläden sind weg. Und ich muss mir Mühe geben, die Vorteile der heutigen Welt zu erkennen. Ich bin ständig im Internet, ich profitiere davon, aber es trägt auch so viel Elend, Hass, Aggression, Lärm an mich heran, dass ich das manchmal kaum aushalte. Früher wusste ich nicht, was mein rassistischer Nachbar dachte. Heute kann ich nicht anders, als es zu erfahren.

Nachdem anfangs in Subutex alles den Bach runtergeht, schöpfen die Hauptfiguren wieder Hoffnung, weil sie sich zur Gruppe zusammentun. Ist die Gruppe für Sie die Hoffnung?
Natürlich. Es ist das Geld gewesen, das sie alle auseinandergebracht hat. Oder die Politik. Musik – die einen hören die Musik, die anderen diese. Kinder – die einen kriegen welche, die anderen nicht. Das ist bei einer Gruppe wie bei einem Paar: Wenn die Gemeinsamkeiten verloren gehen, ist es vorbei. Und es ist wahr, das, was mir in Paris am meisten fehlt, ist die Gruppe. Man lebt hier sehr isoliert.

Sind Sie einsam?
Das nicht. Ich habe nicht ständig viele Leute um mich, aber ich lebe mit meiner Freundin zusammen. Und wir haben einen kleinen, aber treuen Freundeskreis. Ich hatte meine einsamen Momente im Leben, aber gerade ist es nicht einsam. Dennoch ist die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die zusammenhält, etwas, das ich gern noch einmal erleben würde.

Die Mitglieder der Gruppe, die sich in Subutex findet, gehörten alle schon mal zusammen. Das macht es einfacher, oder?
Klar. Auch das ist wie bei einem Paar. Es spricht viel dafür, dass sie sich verstehen. Und genauso viel dagegen. Aber dass sie sich lange kennen, dass sie sich schon jung kannten, dass sie in den jeweils anderen auch noch den jungen Menschen sehen und sich alle schwertun mit dem Älterwerden, macht es leichter.

Die Gruppe trifft sich zu sogenannten Convergences, Raves ohne Drogen, ohne Licht, ohne Alkohol. Und fast alle erleben so etwas wie Erleuchtung. Schwingt da Ironie mit bei Ihnen?
Nein. Tanzen und Musik hören ist eigentlich alles, was sie alle miteinander machen können. Und ich bin immer gern auf Konzerte gegangen. Es hat mich gewundert, dass ich da unter Tausenden stehen konnte, ohne mich zu quälen. Wir alle haben die­selbe Musik gehört und so etwas wie Glück empfunden. Ein kollektives Glück. Ich gehe immer noch gern auf Konzerte. Ich war zum Beispiel voriges Jahr bei Nick Cave, und das war so ein Erlebnis. Überwältigend. Er ist sechzig. Und das Publikum respektiert ihn, schätzt ihn, es ist ein gutes Publikum, eine Gruppe. Auch wenn sie sich nach dem Konzert wieder auflöst.

Die King Kong Theorie haben Sie »für alle vom großen Markt der tollen Frauen Ausgeschlossenen« verfasst, wie Sie in den ersten Zeilen des Buches erklären. Für wen haben Sie Das Leben des Vernon Subutex geschrieben?
Genauso für die Frauen, die außerhalb der Gesellschaft gelandet sind. Aber auch für die Männer, die außerhalb der Gesellschaft gelandet sind. Für alle Abgeschlagenen, Ausgemusterten. Damit meine ich nicht zwingend das Prekariat, sondern die, die sich außerhalb der Gesellschaft befinden, weil sie saufen, weil sie einen schlechten Charakter haben, weil sie hässlich sind, weil sie Mist bauen, weil sie unangepasst sind. Und auch weil sie reaktionär geworden sind.

Sie wurden mit Balzac verglichen und sind in die Jury des Prix Goncourt, des wichtigsten französischen Literaturpreises, aufgenommen worden. Verzeiht man Ihnen Ihre Weigerung, gesellschaftlichen Normen von Weiblichkeit zu entsprechen?
Die Franzosen haben meine Vergangenheit und den Skandal um Baise-moi nicht ver­gessen, aber zurzeit redet niemand davon. Das ist angenehm. Ich werde besser behandelt. Und es gibt in der französischen Literatur eine Tradition von verlorenen Frauen, die anerkannte Schriftstellerinnen wurden. Anaïs Nin, Colette, Simone de Beauvoir, Violette Leduc. Vielleicht werde ich eines Tages zu ihnen gehören.