Als im vergangenen Dezember der Briefwechsel zwischen Thomas Bernhard und Siegfried Unseld erschien, rührten die enthusiastischen Reaktionen auf dieses Buch auch von einer Textform her, die bis dahin nur ganz wenige Leser gekannt hatten: jenen Reiseberichten und Chroniken Unselds, die in den Kommentaren zu den Briefen immer wieder ausführlich zitiert wurden. Offenbar führte der Verleger seit seiner Übernahme des Hauses im Jahr 1959 genaue Protokolle über seine Besuche bei den Autoren; zudem schrieb er nach dem Aufstand der Lektoren, die im Herbst 1968 eine radikaldemokratische Verfassung des Suhrkamp Verlags forderten, regelmäßig Tagebuch über die Verlagsarbeit.
Im Archiv des Suhrkamp Verlags, so wurde bei der Lektüre des Briefwechsels wieder deutlich, musste sich noch eine unendliche Fülle faszinierender Dokumente befinden, die diskrete, aber ebenso leuchtende Innenseite der viel beschworenen »Suhrkamp-Kultur«. Jetzt ist diese Innenseite für die Forschung zugänglich geworden: Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach hat das Archiv des Suhrkamp Verlags (und des 1963 von Unseld hinzugekauften Insel Verlags) für über acht Millionen Euro erworben. Der größte Teil, der Bestand seit Peter Suhrkamps Tod, ist bereits gesichtet und vorsortiert. In zwölf kleinen Ausstellungen wird Marbach einen Bruchteil des Archivs in den nächsten Jahren präsentieren; die erste, vom 11. Juni an zu sehen, widmet sich dem Thema Suhrkamp und die südamerikanische Literatur. Mehr als 20 000 Ordner mit Manuskripten, Korrespondenzen und internem Schriftverkehr sind in den labyrinthischen Kellerräumen aufgestellt. Dank des ausgeprägten »Archivbewusstseins« Unselds, wie es Jan Bürger nennt, der Leiter der Suhrkamp-Abteilung in Marbach, ist die Arbeit des Verlags fast lückenlos nachzuvollziehen. Der Schriftverkehr mit den bekanntesten Autoren ist in jeweils eigenen Ordnern abgeheftet, und es genügt ein Blick in diese Korrespondenzen, um zu wissen, dass in Zukunft weitere großartige Bände mit dem Briefwechsel zwischen Unseld und seinen Autoren folgen werden, mit Enzensberger etwa, Bachmann, Handke, Walser, Nizon oder Goetz.
Auf den folgenden Seiten ist eine Auswahl bislang noch ungedruckter Dokumente zu sehen, Briefe, Aktennotizen, Rechnungszettel oder Reiseberichte. Eine der allerersten Reisen als Verlagschef führt Unseld im Mai 1959 nach Montagnola ins Tessin, wo er Hermann Hesse vom Tode Peter Suhrkamps erzählt. Nicht umsonst möchte er Hesse diese Nachricht persönlich überbringen, einem jener Autoren also, die die Gründung des Suhrkamp Verlags erst ermöglichten: Peter Suhrkamp, seit 1933 im Berliner S. Fischer Verlag angestellt, führte den Verlag nach der Emigration der Familie Fischer 1936 weiter.
Seine widerständige Publikationspolitik brachte ihn immer wieder in Schwierigkeiten; im April 1944 wurde er festgenommen und im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert, das er schwerkrank überlebte. Im Oktober 1945 erhielt Suhrkamp die erste deutsche Verlagslizenz, und als es nach Gottfried Bermann Fischers Rückkehr aus dem Exil zum Zerwürfnis kam, wurden alle Autoren, die seit 1936 von Suhrkamp verlegt worden waren, gefragt, ob sie künftig wieder bei Fischer oder in einem neu zu gründenden »Suhrkamp Verlag« publizieren wollten. Die meisten entschieden sich für Suhrkamp. Es war der Gründungsakt eines Verlags, der das literarische und intellektuelle Leben der Bundesrepublik wie keine andere Institution geprägt hat.
Adornos Noten zur Literatur von 1958 und Nossacks Unmögliche Beweisaufnahme von 1959.
Willy Fleckhaus: Die Revolution der Buchgestaltung
Die Erscheinungsdaten dieser beiden Bände aus der Reihe »Bibliothek Suhrkamp« liegen nur ein paar Monate auseinander – designgeschichtlich trennt sie eine ganze Epoche. Das Buch von Hans Erich Nossack, im Herbst 1959 veröffentlicht, ist der erste »Bibliothek Suhrkamp«-Band, den Willy Fleckhaus gestaltet hat. Vier Jahre später dann wird das charakteristische Fleckhaus-Design in der »Edition Suhrkamp«, der ersten Taschenbuchreihe, endgültig zum Markenzeichen des Verlags. Die Modernität seiner Arbeit zeigt sich nicht zuletzt darin, dass das Design dieser beiden Buchreihen bis heute, fünfzig Jahre später, kaum verändert worden ist.
Im Archiv des Verlags taucht der Name Fleckhaus zum ersten Mal in einem Reisebericht im Juni 1959 auf. Der neue Grafiker ist bei der Produktion eines Hesse-Bildbandes behilflich. Die Neugestaltung der »Bibliothek Suhrkamp« wird dann in einem Protokoll vom August fixiert. Bemerkenswert ist, dass Fleckhaus von Unseld offenbar zu den verschiedenfarbigen Umschlägen der Reihe überredet werden musste: »Herr Fleckhaus«, heißt es in dem Protokoll, hatte »zuerst große Bedenken gegenüber den farbigen Umschlägen«; er stellte sie dann aber, nach dem Anblick der ersten Probeexemplare, zurück.
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