SZ-Magazin: Frau Zielbauer, wie haben Sie in der Nacht, bevor Sie die tausend Euro ausgeben konnten, geschlafen?
Elfriede Zielbauer: Sehr schlecht. Ich bin gegen zehn ins Bett und um zwei Uhr lag ich wieder wach, konnte kein Auge zumachen. Ich war so aufgeregt, dass ich das Ganze abbrechen und Ihnen sagen wollte: »Tut mir leid. Bitte geben Sie das Geld jemand anderem.«
Warum waren Sie so aufgeregt?
Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viel Bargeld auf einmal gesehen und bin ein sehr sparsamer Mensch.
Für das Geld haben Sie sich einen Fernseher, eine Zimmerantenne, drei Pullover, Unterwäsche und sechs Tafeln Schokolade gekauft.
Ja, drei Tafeln habe ich meiner Schwiegertochter und meinem Sohn geschenkt, weil sie mich den ganzen Tag begleitet haben. Die Unterwäsche war nötig, ich hatte nur noch zwei Schlüpfer. Und mein alter Fernseher war schon zwanzig Jahre alt.
Wann waren Sie denn das letzte Mal einkaufen?
Vor acht Jahren. Da hab ich mir zum letzten Mal neue Pullover gekauft.
Sie werden dieses Jahr 88. Ihr Mann starb vor zwanzig Jahren, Sie haben gemeinsam vier Söhne groß gezogen. Da blieb früher wohl nicht sehr viel übrig?
Mein Mann hat im Innendienst bei der Post gearbeitet, obwohl er in Russland einen Lungensteckschuss erlitten hatte und auf dem rechten Auge blind war. Doch auch mit seiner Kriegsrente und dem Gehalt von der Post kamen wir nur gerade so über die Runden. Wir konnten uns zum Beispiel jahrzehntelang nur eine Wohnung ohne Heizung und ohne Dusche leisten. Ich hatte mir mein Leben immer ganz anders vorgestellt.
Vielleicht etwas luxuriöser?
Das soll jetzt nicht überheblich klingen, aber als 18-, 19-jähriges Mädel habe ich für eine Molkerei in Österreich immer Milch an verschiedene Cafés geliefert und sah dort Frauen in langen, hübschen Kleidern, wie sie sich nachmittags unterhalten haben. So habe ich mich nach meiner Heirat natürlich auch gesehen. Aber es kam ganz anders. Nach meiner Heirat war ich vielleicht zweimal in einem Café, um eine Melange zu trinken und ein Törtchen zu essen. Für meinen Mann warenCafé- und Wirtshausbesuche immer tabu. Ich habe heute ständig das Gefühl, dass mein ganzes Leben an mir vorbeigeflogen ist, ohne dass ich es wirklich genießen konnte.
Das klingt alles nicht gerade nach wahrer Liebe.
Wahre Liebe? Ich bitte Sie. Die wahre Liebe ist eine Luxusvorstellung von 18-jährigen Mädchen, die sich ein buntes Leben ausmalen. Ich möchte meinen Mann jetzt nicht verteufeln, aber er war nun mal ein richtiger Geizhals. Ich habe von ihm immer nur die Worte »sparen, sparen, sparen« gehört. Er hat sich zu Tode gespart, ohne je einmal mit mir und den Kindern in Urlaub zu fahren.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Das Zimmer im Heim ist schon eine Art Luxus für mich."
Wie viel Rente bekommen Sie denn heute?
1060 Euro.
Und wie viel kostet Sie das Altersheim, in dem Sie seit zwei Jahren wohnen?
Zwischen 1500 und 1600 Euro plus Telefon.
Wie können Sie sich das leisten?
Als mein Mann 1988 starb, hat er mir knapp 70 000 Mark hinterlassen. Davon bezahle ich die monatliche Differenz von 500, 600 Euro.
Und wenn Sie sich heute was Gutes tun wollen – was unternehmen Sie dann?
Mein ganzer Stolz war immer mein Fahrrad. Damit bin ich durch München geradelt. Aber als ich siebzig wurde, musste ich das aufgeben. Meine Knie haben nicht mehr mitgemacht.
Und was bedeutet Luxus für Sie heute?
Na ja, das Zimmer im Heim ist schon eine Art Luxus für mich. Und als Ersatz für mein Fahrrad kaufe ich mir im Sommer immer eine Monatskarte für Senioren: Bus fahren ist mein wahrer Luxus.
Und wohin fahren Sie am liebsten?
Vor meinem Altersheim liegt die Bushaltestelle der Linie 132. Da steige ich ein, fahre bis zum Harras. Am Harras nehme ich den 134er-Bus bis Fürstenried West. Dann steige ich in den 56er über Pasing bis zur Endstation Blutenburg. Oft bleibe ich dort im Bus sitzen und unterhalte mich mit den Busfahrern. Die kennen mich fast alle. Manchmal setze ich mich auch auf eine Bank und genieße die Sonne, bis ich dieselbe Strecke wieder zurückfahre.
Wir mussten Sie auch geradezu überreden, von dem Geld, das Sie von uns bekommen haben, mal nett essen zu gehen.
Ja, das war toll. Es gab Cevapcici. Ich habe die Sparsamkeit wohl von meinem Mann übernommen. Die steckt mir immer noch in den Knochen.
Glauben Sie, der Mensch braucht einen gewissen Luxus, um glücklich zu sein?
Ich glaube nicht. Wenn sich zwei Menschen wirklich lieben, gesund sind und nicht jeden Cent dreimal umdrehen müssen – das ist doch das größte Glück.
(Interview); Christopher Thomas (Fotos)