Der Hochstapler zeigt keine Reue, Christophe Rocancourt würde alles noch einmal genauso machen. Zehn Jahre im Gefängnis haben sich rentiert: »Dafür habe ich auch zehn Jahre in den tollsten Hotels der Welt verbracht, ordentlichen Rotwein getrunken, bin tolle Autos gefahren, tolle Flugzeuge geflogen und habe mit den schönsten Frauen geschlafen. Auch heute geht es mir gut.« Der Hochstapler bekommt inzwischen Rollenangebote als Schauspieler, sagt er.
Talent dazu hat Rocancourt jedenfalls reichlich bewiesen. In seinen verschiedenen Rollen überzeugte er über Jahre hinweg, in Kalifornien und an der amerikanischen Ostküste trat er unter anderem auf: als Box-Champion, Formel-1-Rennfahrer, wahlweise unehelicher Sohn oder Neffe von Dino De Laurentiis, Sophia Loren oder Oscar de la Renta; so lernte er auch Prominente wie Mickey Rourke oder Bill Clinton kennen »Ich habe ihm schließlich 100000 Dollar für den Wahlkampf gespendet«. Sein Meisterstück gab Rocancourt als Spross der Rockefeller-Familie. Die Rolle des Christopher Rockefeller spielte er so gut, dass niemand in den USA sich fragte, warum eigentlich ein Nachkomme einer amerikanischen Millionärsdynastie nur gebrochen Englisch mit französischem Akzent sprach.
Mit Naomi Campbell soll er nun die Hauptrolle in einem Liebesfilm der angesehenen Regisseurin Catherine Breillat spielen. Rocancourt sagt, im letzten Jahr habe er zwischen vier und fünf Millionen Euro verdient.
Mit seinen drei Autobiografien, den Filmrechten an seiner Geschichte. Rocancourt behauptet auch, er habe in den zehn Jahren vor seiner Verurteilung 48 Millionen Dollar ergaunert. Ob er die noch besitze? »Welche Antwort möchten Sie denn gern hören?«Das ist das Problem mit Hochstaplern: Man kann sich nie sicher sein, ob und wann sie die Wahrheit erzählen.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: In Frankreich ist der heute 40-Jährige ein Held.)
Als gesichert darf gelten: In Frankreich ist der heute 40-Jährige so etwas wie ein Held. Ein Robin Hood, der reichen Amerikanern das Geld nahm, um es einem armen Franzosen zu geben, sich selbst. In Paris erkennen ihn die Menschen auf der Straße. Paparazzi verfolgen ihn, seitdem er nach seiner Freilassung aus dem amerikanischen Vollzug vor zwei Jahren erster Klasse nach Paris einflog. Vor Kurzem war er sogar beim französischen Präsidenten eingeladen, als ein Freund eine Auszeichnung bekam.
Von seiner dritten Autobiografie verkaufte Rocancourt allein in Frankreich 150000 Exemplare, Ich, Christophe Rocancourt, Waisenkind, Playboy, Knacki schaffte es auch in Italien in die Bestsellerliste und wurde sogar ins Thailändische und Griechische übersetzt. Rocancourt trat in der US-Fernsehsendung 60 Minutes auf, gab während seiner Flucht der New York Times ein Telefoninterview; seine Geschichte erschien in der japanischen Vogue und der spanischen Vanity Fair. 6000 Artikel weltweit, nur in Deutschland nicht. »Seltsam, nicht wahr? Dabei liebe ich Deutschland. Nietzsche ist doch mein Lieblingsschriftsteller.«
Rocancourt hat dem Hochstapeln nach seiner Haftstrafe abgeschworen, sagt er. Mit drei Stunden Verspätung ist er in seinem Pariser Lieblingsbistrot erschienen, die Achse seines neuen Geländewagens sei gebrochen, entschuldigt er sich. Das Bistrot »Le Fumoir«, gleich gegenüber dem Louvre, ist ein charmantes, für Pariser Verhältnisse gar nicht mal so teures Lokal und eher kein Treffpunkt für die Art von Leuten, die er einmal bevorzugt übers Ohr gehauen hatte: die Nouveaux Riches, die Prominenten und die, die so gern dazu gehörten.
Außer Dienst trägt ein Hochstapler Jeans, weißes T-Shirt, blaues No-Name-Sakko, nicht mehr Armani und Versace. Sicher, er sieht gut aus, muskulös, schlank, die Haare trägt er etwas länger, aber ein Beau, nach dem sich alle umdrehen würden, ist der eher kleine Mann nicht. Sein Handy klingelt unentwegt. Die Agentin, eine Freundin aus Los Angeles, eine Regisseurin, die gleich vorbeikommen will »Bussi, Bussi«. Rocancourt flüstert nicht im Lokal, wenn er über die Annehmlichkeiten des G4-Luxusjets und die Härten des US-Vollzugs spricht. Er scheut sich auch nicht, das T-Shirt hochzuziehen, um seine Tiger-Tatoos auf Rücken und Armen zu zeigen, die er sich im Gefängnis stechen ließ.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: »Ich liebe Rollenspiele. Ich brauchte Geld. Da lag das irgendwie nah.« Als Prinz Gallitzin fällt der unerfahrene Laiendarsteller bei seinem Publikum noch durch.)
Rocancourt schert sich eben nicht darum, was die Leute von ihm denken mögen: »Ich bin nicht stolz darauf, was ich gemacht habe, aber es gibt auch keinen Grund, sich zu schämen. Dort, wo ich herkomme, stellte sich nur die Frage, ob ich verhungern, Drogen verkaufen, die Leute auf der Straße überfallen oder lieber die Reichen ausnehmen sollte, die ohnehin mehr als genug haben. Die letzte Wahl schien mir am meisten Spaß zu versprechen. Und ich musste für den Spaß bezahlen. Das darf man alles nicht dramatisieren.« So lautet für ihn die Moral seiner Geschichte.
Rocancourt stammt aus der Normandie, Kindheit und Jugend verlaufen »beschissen«. Seine Mutter Prostituierte, sein Vater Säufer, mit neun Jahren kommt er ins Waisenhaus. Mit 17 geht er nach Paris und startet seine Hochstapler-Karriere mit dem Verkauf eines Hauses, das ihm nicht gehört. Er gibt sich als russischer Adeliger aus, Prinz Gallitzin. »Ich liebe Rollenspiele. Ich brauchte Geld. Da lag das irgendwie nah.« Als Prinz Gallitzin fällt der unerfahrene Laiendarsteller bei seinem Publikum noch durch: Zwischen 1987 und 1992 muss Rocancourt gleich fünfmal ins Gefängnis, wegen Betrugs, Hochstapelei, kleinerer Diebstahlsdelikte. Im September 1991 wird er mit einem Juwelenraub in Genf in Verbindung gebracht und flieht nach Los Angeles.
Seine nächste Rolle in den USA: amtierender Box-Europameister, der sich schnell Freunde macht. Der Boxer gibt vor, ein Apartment in Bel Air kaufen zu wollen, er zieht ein, kauft dem Besitzer mit entwendeter Kreditkarte ein Ticket für eine Europareise und kann so mehrere Monate mietfrei leben, bevor er den Deal nach endlosen Verhandlungen platzen lässt. Er heiratet zum ersten Mal, wird zum ersten Mal Vater. Auch seine Frau hört verschiedenste Legenden. Rocancourts wahren Lebenslauf wird sie erst nach Ende der Beziehung vom FBI erfahren.
1993 spricht Rocancourt immer noch schlecht Englisch und engagiert einen Dolmetscher. Er zieht ins »Peninsula Beverly Hills Hotel«. Er leiht sich von mehreren Leuten unter verschiedenen Namen Geld, das er länger als versprochen schuldig bleibt. Als Christopher De Laurentiis und Neffe des Filmproduzenten will er ein Weingut erwerben. Mit Rolls-Royce und Chauffeur taucht er vor einem In-Italiener auf und gibt vor, das Restaurant kaufen zu wollen. Der Verkäufer zahlt ihm ein Ticket nach Italien, damit er Geld holen kann. Nach einem längeren Aufenthalt in Mailand platzt auch dieser Deal, der Verkäufer bleibt auf der exorbitanten Hotelrechnung sitzen.
Das FBI wird auf Rocancourt aufmerksam und weist ihn aus den USA aus, Rocancourt muss in Paris wegen Betrügereien ins Gefängnis Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Ende 1995 kehrt Rocancourt mit einem überzeugenden Geschäftsmodell nach Los Angeles zurück: Unter verschiedensten Namen bietet er Bekannten an, ihr Kapital in kürzester Zeit zu vermehren. Oder behauptet, ihnen Geld zu leihen, wenn sie ihm nur die Vorschusszinsen vorstrecken würden, um festgelegtes Kapital von der Bank auszulösen: »Gib mir jetzt 85000 Dollar, und du bekommst in drei Monaten 340000 zurück.« Der Trick funktioniert Dutzende Male. Rocancourt besitzt jetzt die ausreichende Unverschämtheit, die ein exzellenter Hochstapler wohl benötigt.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: »Warum hat denn später kaum jemand vor Gericht gegen mich ausgesagt? Warum haben mich so wenige Leute angezeigt?«)
»Je glänzender der Haken, desto mehr Fische beißen an«, erklärt Rocancourt seine neue Methode, die man auch mit Think Big umschreiben könnte. Er sagt auch, er wisse heute nicht mehr, wie viele verschiedene Rollen er benutzt hat und wie viele Menschen ihm in seiner Hochzeit auf den Leim gegangen seien. Ein schlechtes Gewissen oder Skrupel sind ihm bis heute fremd: »Die Leute tun mir höchstens leid, weil sie so gierig und eitel waren. Ehrliche Menschen kann man ohnehin nicht betrügen. Nur die Gierigen, die nie genug bekommen. Warum hat denn später kaum jemand vor Gericht gegen mich ausgesagt? Warum haben mich so wenige Leute angezeigt? Diejenigen, die ich betrog, haben ihr Geld in der Regel doch auch nur zusammengegaunert. Oder betrachten Sie es als ehrliche Arbeit, Damenhandtaschen für 10000 Dollar zu verkaufen?«
1996 steigt Rocancourt von Rolls-Royce auf einen grauen Ferrari um. Auch die Frauen liegen dem Hochstapler jetzt zu Füßen. Seine zweite Frau ist ein Playboy-Playmate, das er mit einem Playboy-Playmate betrügt. »Die Ehe mit Christophe war sehr aufregend, als ob ich mit hundert verschiedenen Männern verheiratet gewesen wäre«, erzählt seine zweite Frau, die in einem Restaurant arbeitet und Rocancourt dort kennenlernt, als es beim Bezahlen Probleme mit seiner Kreditkarte gibt. Das Ehepaar zieht ins »Regent Beverly Wilshire Hotel«.
Rocancourt lernt unter vielen anderen die Schauspieler Mickey Rourke, Dolph Lundgren, Robert De Niro und Jean-Claude Van Damme kennen, auch den Regisseur Martin Scorsese. Mit Rourke »mein bester Freund damals« wohnt er zwei Jahre lang in einem Haus »Mickey wusste über alles Bescheid. Freunde belügt man nicht.« Bei einem gemeinsamen Abendessen erzählt ihm Marlon Brando, wie gern er selbst Hochstapler geworden wäre, die Schauspielerei sei im Grunde ja sterbenslangweilig. 1997 kauft Rocancourt den Hummer-Geländewagen von Dodi Al-Fayed.
Verschiedene Gläubiger drängen auf Rückzahlung, Rocancourt engagiert erst einen Bodyguard, um seine Geschäfte dann lieber nach Italien, Südfrankreich und schließlich New York zu verlegen, wo er in den nahen Hamptons auf Long Island in der Rolle des Christopher Rockefeller seine größten Erfolge erzielt. Im Jahr 2000 wird er verhaftet, gegen 40000 Dollar Kaution freigelassen. Er flieht, blond gefärbt, nach Kanada, zieht in ein »Fairmont«-Hotel nahe Vancouver, wo er erst neun Monate später nach abermaligen Geschäften verhaftet und schließlich in die USA ausgeliefert wird. Verschiedene Luxushotels treten vor Gericht als Kläger auf, doch nur vergleichsweise wenige geschädigte Privatpersonen wollen sich öffentlich zu erkennen geben und vor Gericht aussagen. Auch Mickey Rourke verweigert gegenüber der Presse jedes Statement zu Rocancourt.
Der Staatsanwalt fordert zwanzig Jahre Haft für Betrug in gerade mal 19 Fällen, aber ein New Yorker Staranwalt erstreitet ein vergleichsweise mildes Urteil: Fünf Jahre, und der angeblich mittellose Rocancourt tritt 75 Prozent der Erlöse seiner ersten Memoiren ab, die er in U-Haft schrieb. »Ich bin einer der wenigen gewesen, die von meinem Mandanten auch bezahlt wurden«, verkündet der Anwalt, der schon den Mafia-Boss John Gotti vertrat, stolz der anwesenden Weltpresse. Nach seiner Entlassung 2006 wird Rocancourt in Paris vom Fernsehen und von Fans empfangen. T-Shirts tragen sein Konterfei. Er verkauft erste Interviews, engagiert eine Agentin, lässt verschiedenste Geschäftsangebote sondieren, entwirft eine eigene Homepage und bekommt mit einer ehemaligen Miss France sein drittes Kind »aber ich bin ein schlechter Ehemann. Ich will meine Freiheit nicht aufgeben«.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum lieben Frauen den Hochstapler?)
Darum drehe sich schließlich doch sein ganzes Leben: »Mit Fantasie die eng gesetzten Grenzen zu sprengen.« Fantasie hat der Hochstapler reichlich bewiesen. Darauf ist er ganz sicherlich stolz. Angst vor Rache scheint er dagegen nicht zu kennen: »Meine Opfer waren dumm und ich habe ihnen eine Lektion erteilt. Jetzt respektieren sie mich. Niemandem tut das bisschen Geld, das er verlor, wirklich weh.«
Catherine Breillat, die befreundete Regisseurin, betritt das Bistrot. Filmkritiker wie Publikum hat sie immer wieder mit freizügigen Sexszenen in ihren Kinofilmen provoziert. Ob sie ihrem Freund Rocancourt heute Geld leihen würde? Natürlich, sagt Breillat, aber Christophe verdiene doch heute fast mehr als in seiner aktiven Hochstapler-Zeit, und sie zeigt ihre diamantbesetzte Cartier-Uhr, die sie letzte Weihnachten von ihm geschenkt bekam.
Wieder ein Anruf für Rocancourt »Ich muss weg. Sofort. Ruf mich an. Du hast ja meine Handynummer.« Rocancourt steckt seiner Freundin Breillat einen 500-Euro-Schein zu, für einen neuen Pullover. Warum Frauen den Hochstapler lieben? »Er ist charmant, er hat Fantasie, er ist gebildet, er sieht gut aus und er ist ein bisschen Macho.« Was ihn zu einem so erfolgreichen Hochstapler gemacht hat? »Sein besonderes Talent liegt darin, dass ihn jeder mag, obwohl er gar nicht oberflächlich ist. Er ist intelligent und die Leute vertrauen ihm und mögen ihn.«
Natürlich ist er auch ein wenig eitel: Für den ersten Artikel über ihn in Deutschland wünscht sich der Hochstapler standesgemäß von dem deutschen Starfotografen Peter Lindberg fotografiert zu werden. Auch den habe er früher kennengelernt, sagte der Hochstapler und wieder wusste man nicht, ob man ihm nun glauben darf oder eher nicht. Peter Lindberg, das ist später zu erfahren, erinnert sich jedenfalls nicht an ihn. Aber vielleicht hat er ihn ja unter dem Namen Rockefeller kennengelernt.
Fest steht: Das Leben des französischen Hochstaplers Christophe Rocancourt dient kaum als abschreckendes Beispiel.