Es ist seltsam, weil, eigentlich mögen wir Frauen es ja, wenn Menschen zugeben können, dass sie unsicher sind. Es ist sogar oft genau das, was darüber entscheidet, ob wir jemanden arrogant oder sympathisch finden. Wenn Sheryl Sandberg zum Beispiel gesteht, dass sie manchmal zweifelt, ob sie das Richtige tut, wenn sie ihre Kinder in die Kita bringt und die dann »Mummy, don’t go!« rufen, dann erscheint diese sonst so unerreichbare Frau gefühlvoll und verletzlich. Und bei Männern funktioniert es noch viel besser. Ewan McGregor zum Beispiel sagt, dass er vor jedem Dreh so nervös sei wie beim ersten, weil er Angst habe, alles zu verbocken, und wir sagen: Oh mein Gott, ist der süß.
Unsicherheit, Zweifel, Vorsicht – das alles kann durchaus anziehend, ja sogar sexy sein. Wenn uns ein Kollege in der Kaffeepause gesteht, dass er sich vor Katzen fürchtet, verlieben wir uns auf Anhieb ein bisschen in ihn. Oder wenn der Mann unserer besten Freundin uns heimlich anruft und darum bittet, mit ihm gemeinsam das Geburtstagsgeschenk für seine Frau auszusuchen, weil er nicht so recht weiß und überhaupt – Riesenpluspunkt. Hin und weg.
Aber fragt uns ein Mann einmal zu oft mit zitternder Stimme, ob wir es mögen, wenn er an unserem großen Zeh lutscht, dann ist die Stimmung im Eimer, weil wir ja schon beim ersten Mal nur »Ja« gesagt haben, um ihn nicht zu verunsichern. Noch schlimmer finden wir es nur, wenn er an unserem großen Zeh exakt so herumsaugt, wie es in dem Männermagazin beschrieben ist, das bei ihm auf dem Klo liegt, und er immer wieder Bestätigung suchend zu uns nach oben schielt. Auch wenn es sonderbar klingt, für eine Frau ist es wirklich angenehmer – oder sagen wir: weniger unangenehm –, wenn ein Mann ihren Zeh in den Mund nimmt und gleichzeitig ausstrahlt, dass es ihm völlig gleichgültig ist, ob sie es gut findet oder nicht.
Lässt sich also eine Regel formulieren, wann Unsicherheit anziehend ist und wann abstoßend?
Der eine Faktor ist wahrscheinlich: die Fallhöhe. Wenn jemand unsicher ist, der sowieso schon wenig auf die Reihe kriegt, finden wir ihn bemitleidenswert. Sobald Unsicherheit aber überraschend auftritt und einen Bruch darstellt, weil der Mann ansonsten charmant, erfolgreich, selbstbewusst ist, finden wir sie irgendwie gut. Dann kann so ein Geständnis, ein Zaudern, eine kleine Neurose durchaus attraktiv sein. Und das passiert bei Männern wahrscheinlich öfter als bei Frauen, weil Männer Fehler ja gern erst mal nicht bei sich verorten. Sie kennen doch den alten Witz? Wenn eine Frau nicht mehr in ihre Hose passt, denkt sie: Oje, ich habe zugenommen. Passt ein Mann nicht mehr in seine Hose, denkt er: Mit der Hose ist was nicht in Ordnung.
Der zweite Faktor ist wohl: der Sex. Und wie immer ist da alles noch mal ein bisschen komplizierter. Einerseits nämlich sollte der Mann gerade da besonders respektvoll mit uns umgehen, andererseits nervt es nirgendwo heftiger als im Bett, wenn er unsicher wie ein neugeborenes Hündchen herumtapst. Wenn ein Mann sagt: »Dreh dich um!«, dann aber hinterherschiebt: »Oder findest du das demütigend?«, funktioniert es einfach nicht. Schweißnasse Hände, die einen abtasten, als wäre man ein Soufflé, das gleich in sich zusammenfallen könnte, und bei jeder unserer Regungen zucken, weil sie die Wegschiebebewegung schon antizipieren, oder noch schlimmer, ängstliche Blicke und Passivität, damit bloß kein Fehler passiert, das alles macht aufregenden Sex unmöglich.
Und jetzt ist es Zeit für ein kleines Geständnis: Wir Frauen sind nämlich auch oft unsicher im Bett. Und deshalb wird es echt kompliziert, wenn ihr Männer es auch noch seid. Wir können nicht abschalten, wenn wir die ganze Zeit irgendwas oder irgendwen analysieren, bewerten oder verbessern müssen. Vielleicht verstehen wir unter leidenschaftlichem Sex, mit einer gewissen Bestimmtheit angefasst zu werden. Schon sensibel, aber zielstrebig und entschieden.
Und ich weiß, jetzt erinnert ihr euch an Fifty Shades of Grey und denkt: »Na toll, erst haben uns die Emanzen zu Luschen gemacht, und jetzt werfen sie es uns vor.« Aber so ist es nicht. Es geht eher um die Überllegung, dass auch der Mann seinen Spaß haben soll, was aber nicht funktioniert, wenn er sich zu sehr auf unseren Spaß konzentriert, was diesen wiederum zunichte macht.
Fassen wir zusammen: Wir Frauen sind groß und stark. Wir sagen es, wenn wir etwas nicht gut finden. Ehrlich, ihr könnt getrost einfach mal machen, vielleicht finden wir es toll. Und wenn nicht, keine Sorge, wir geben Bescheid. Dann aber heißt »Nein« wirklich »Nein« und nicht »Ja, aber« oder »vielleicht«. Und was das restliche Leben angeht: Ein guter Typ wird nur dann zu einem richtig guten Typen, wenn er sich auch mal unsicher fühlt und den Mut hat, es nicht zu verstecken. Ganz einfach, oder?
Illustration: Rami Niemi